Handy-Werkstätten in Hamburg sind auf Expansionskurs, beim Schuster gibt es Wartelisten und immer mehr Menschen gehen in Repair-Cafés: In der Wegwerfgesellschaft zeichnet sich ein Umdenken ab.

Hamburg Das iPhone auf dem Tisch vor Mladen Tunjic sieht mitgenommen aus. Mit voller Wucht muss das Edelhandy auf den Boden geknallt sein, zig feine Risse durchziehen das berührungsempfindliche Glasdisplay. Ein Totalschaden, könnte man annehmen. „So etwas ist eine einfache Standardreparatur bei uns“, sagt der 28 Jahre alte Techniker der Hamburger Firma iHelpStore und zückt seinen winzigen Schraubenzieher. Routiniert entfernt Tunjic die Schrauben am Boden des ramponierten Geräts und hebelt dann vorsichtig das Display ab.

Aus einer langen Reihe grüner Boxen mit Knöpfen, Lautstärkereglern oder Akkus aus Fernost angelt sich der Spezialist einen Austauschbildschirm, setzt Handykamera und Knöpfe um. Zehn Minuten dauert die ganze Prozedur, dann wirkt das Gerät wie neu. Ein kurzer Funktionscheck, und die Reparatur ist abgeschlossen.

„Über mangelnde Aufträge können wir uns im Augenblick wirklich nicht beklagen“, sagt der Geschäftsführer von iHelpStore, Andreas Timke. „Wurden defekte Smartphones früher einfach durch neue Modelle ersetzt, so lassen heute immer mehr Kunden ihre teuren Geräte reparieren.“ Dies habe nicht nur mit den geringeren Kosten zu tun. „Manchen Nutzern sind die älteren Modelle auch einfach ans Herz gewachsen, sie wollen sich nicht von ihnen trennen und sich an ein neues Bedienkonzept gewöhnen.“

Rund 300 ramponierte Smartphones und Tablet-PCs bringen die Hamburger nach eigenen Angaben täglich wieder in Schwung, die zuvor aus ganz Deutschland eingesandt oder in den drei Filialen der Firma abgegeben wurden. Mal sind die Geräte zuvor in eine Kaffeetasse geplumpst, mal ist der Besitzer aus Versehen mit dem Auto darüber gefahren. Oft ist aber auch nur der fest verklebte Akku defekt, oder ein Schalter muss ausgetauscht werden. „Alles schon gesehen, selbst die meisten schweren Fälle kriegen wir wieder hin“, sagt Timke.

Erst im November des vergangenen Jahres ist die 2010 gegründete Firma mit insgesamt 30 Beschäftigten in ihre neue Zentralwerkstatt am Mühlenkamp umgezogen, weil die alten Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten. Weitere Filialen in ganz Deutschland sollen folgen.

Umdenken in der Wegwerfgesellschaft

Die guten Geschäfte bei Firmen wie iHelpStore könnten ein Indiz dafür sein, dass sich in der deutschen Wegwerfgesellschaft langsam ein Umdenken abzeichnet. Während auf der einen Seite die Industrie in immer kürzeren Abständen neue Autos, Handys oder Fernseher auf den Markt wirft und der Berg des Elektromülls immer weiter anschwillt, wollen auf der anderen Seite viele Konsumenten diese Entwicklung nicht mehr mitmachen. Dieser Trend geht weit über die Elektrobranche hinaus. Traditionelle Schuster berichten ebenso von qualitätsbewussten Kunden, die ihre abgetragenen Stiefel vermehrt zur Reparatur schleppen, wie auch Schneider, die alte Jacken oder Hosen wieder in Schuss bringen und sich vor Aufträgen kaum retten können. Secondhandklamotten, über die viele Jahre die Nase gerümpft wurde, sind längst wieder salonfähig.

Bei Schuhmachermeister Christian Schmidt in Ottensen beginnen die Kundengespräche vor diesem Hintergrund daher meist mit einer Entschuldigung. „Ich kann diese Stiefel gern für Sie reparieren, Sie müssen aber schon bis Ende Januar darauf warten“, gesteht Schmidt einer Dame, die bei ihm gerade ein paar abgelaufene Absätze ersetzt haben möchte. Die Kundin muss kurz schlucken, akzeptiert dann aber doch die Wartezeit. „Ich hänge sehr an diesen Stiefeln und will, dass es ordentlich gemacht wird.“

Wochenlange Wartelisten

Schmidt ist über Wochen ausgebucht, in seinem Geschäft De Schooster und im Keller lagern rund 200 Paar Schuhe, die auf neue Reißverschlüsse, Futter oder Sohlen warten. Die gute Auftragslage des Meisters dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass der 47-Jährige sein Handwerk noch von der Pike auf gelernt hat und auch nicht vor schwierigen Fällen zurückschreckt.

„Wenn die Schnellreparatur-Shops nicht mehr weiterwissen, dann schicken sie die Kunden zu mir“, sagt Schmidt, während er an seiner Nähmaschine die Naht an einem alten Herrenstiefel erneuert. Die Maschine Modell Adler ist selbst schon eine Rarität, Baujahr 1940. Bedient wird sie mit dem Fuß, einen Motor gibt es nicht. „So habe ich mehr Gefühl bei der Arbeit“, sagt Schmidt. „Ich bin halt ein Gewohnheitstier.“

Viele der Schuhe, die bei Meister Schmidt landen, haben ihre beste Zeit längst hinter sich. Bei den türkisfarbenen Pumps einer Altonaer Künstlerin etwa ist die ursprüngliche Form und Farbe kaum noch zu erkennen. Die Reparatur dürfte mehr als 100 Euro kosten, für etwas mehr könnte sie sich auch leicht ein neues Paar kaufen. „Sie hängt an den Schuhen“, sagt Schmidt. Da spiele der Preis nur bedingt eine Rolle.

Bundesweit sind derzeit aber nicht nur die Reparaturprofis gut ausgebucht, es gibt auch immer mehr Verbraucher, die selbst zu Schraubenzieher oder Nähnadel greifen, um ausgedienten Geräten oder Kleidungsstücken neues Leben einzuhauchen. Autoren wie Wolfgang Heckl, Direktor des Deutschen Museums in München und nebenbei passionierter Bastler, sprechen schon von einer neuen „Kultur der Reparatur“ in der Bundesrepublik.

Gegen wachsende Müllberge

In seinem gleichnamigen Buch sieht der Wissenschaftler in der Rettung von kaputten Toastern oder Bohrmaschinen eine kulturkritische Haltung gegen wachsende Müllberge und die Konsumgesellschaft. Reparieren sei ein Grundprinzip der Natur, das der moderne Mensch nur nicht mehr beachte, so der Professor.

Mit diesem Gedanken kann sich auch Kristina Deselaers anfreunden. Die Hamburgerin hat im vergangenen Jahr in Sasel das erste „Repair-Café“ in der Hansestadt ins Leben gerufen. Dort treffen sich Menschen bei Kaffee und Kuchen zum gemeinsamen Schrauben an alten Diktiergeräten oder Fahrrädern, stopfen Socken oder versuchen, einen Rasenkantenschneider wieder flottzumachen (wir berichteten). „Bei unserem zweiten Treffen im November sind wir förmlich überrannt worden“, berichtet Deselaers. Mehr als 380 Besucher seien binnen drei Stunden gekommen. „Das ging schon an unsere Kapazitätsgrenze.“ Wegen der großen Nachfrage sind in diesem Jahr bereits mehrere weitere Termine in Sasel angesetzt worden, zudem ist am 19. Januar das erste Repair-Café in Bergedorf geplant (weitere Infos im Internet unter www.repaircafe.de)

Dabei machen es die Hersteller den Hobbybastlern aber häufig nicht gerade leicht. „Viele aktuelle Elektrogeräte sind mit ihren fest eingebauten Akkus, die nach wenigen Jahren den Geist aufgeben, bewusst so konstruiert, dass sie sich nur schwer reparieren lassen“, sagt Deselaers. Auch sei sie mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass in vielen Geräten Verschleißteile eingesetzt werden, die die Lebensdauer bewusst verkürzten.

Eine Konkurrenz zu den Profis wollen die Aktivisten in den Repair-Cafés auf keinen Fall sein, vielmehr sehen sie sich als Teil einer großen Bewegung. „Wir nehmen niemandem die Arbeit weg, sondern treiben die Grundidee voran, dass man mehr Dinge reparieren und nicht gleich wegwerfen sollte“, sagt Deselaers. „Das hilft am Ende dann auch den kleinen Werkstätten vor Ort in den Stadtteilen.“