Konzernchef Rüdiger Grube sieht Nachteile gegenüber Entschädigungen bei Fluggesellschaften. Eine Million Anträge bei der Bahn wegen Verspätungen und Zugausfällen.

Berlin/Frankfurt/Main. Neuer Ärger um das Erstatten von Fahrkarten, Kundenbeschwerden und Rechte von Fahrgästen: Die Deutsche Bahn wehrt sich dagegen, dass sie im Falle höherer Gewalt ihre Kunden entschädigen muss. Fluggesellschaften, Bus- oder Schiffsunternehmen müssen das nicht. Dies benachteilige Bahnunternehmen gegenüber anderen Verkehrsmitteln, beklagt Bahn-Chef Rüdiger Grube in einem Brief an EU-Verkehrskommissar Siim Kallas. Der Konzernchef fordert in dem Schreiben, dass der Nachrichtenagentur AFP vorlag, deshalb eine Klarstellung in der EU-Richtlinie zu Fahrgast-Rechten.

Die Bahn zahlt bei Verspätungen wegen Unwetter, Hochwasser oder Streik nach eigenen Angaben seit Langem aus Kulanz Entschädigungen. Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ende September ist sie dazu rechtlich verpflichtet. Die Richter hatten entschieden, Bahngesellschaften müssten auch bei höherer Gewalt Entschädigungen leisten – denn anderes sei in der EU-Richtlinie nicht vorgesehen.

Das EuGH-Urteil beruhe „zweifellos auf dem Geist des Verbraucherschutzes“, schrieb Grube am 11. November in dem Brief an Kommissar Kallas. Es missachte aber „das legitime Bedürfnis nach einem einheitlichen Wettbewerbsstandard“ zwischen der Bahn, Luftfahrt, Schifffahrt und Busbranche, beklagte der Bahn-Chef. Die Regelung stehe zudem in „Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien europäischen Vertragsrechts“: Nur Eisenbahn-Kunden könnten Entschädigungen auch dann verlangen, wenn das Unternehmen „in keiner Weise Verantwortung für die Zugverspätung trägt“. Das sei „ein nicht haltbarer Zustand.“

Grube führt in seinem Brief gleich zwei konkrete Beispiele an, in denen die Deutsche Bahn verpflichtet war, ihre Kunden zu entschädigen. Dies sei etwa bei dem Orkantief „Christian“ in Norddeutschland der Fall gewesen, als der Zugverkehr in Folge des Sturms auf vielen Strecken eingestellt werden musste. Vergleichbar war demnach die Lage beim schweren Hochwasser in Ost- und Süddeutschland im Frühsommer. In Folge war unter anderem die wichtige Bahnstrecke Berlin-Hannover über Monate gesperrt.

„Obwohl die erwähnten Ereignisse absolut nicht zu kontrollieren waren, war die Deutsche Bahn gezwungen, einer große Zahl Fahrgäste zu Entschädigungen wegen der daraus folgenden Verspätungen zu zahlen“, kritisiert der Bahn-Chef. Grube fordert daher „eine Neuordnung des Rechtsrahmens“, um „weiteren Schaden an der Wettbewerbsfähigkeit der Schiene abwenden“.

Bei der Deutschen Bahn sind nach Unternehmensangaben bis Oktober rund eine Million Anträge auf Entschädigung wegen Verspätungen und Zugausfällen eingereicht worden. In 90 Prozent der Fälle hat die Deutsche Bahn ihren Angaben zufolge gezahlt.

Die Höhe der Rückerstattung des Fahrpreises richtet sich nach der EU-Fahrgastverordnung: Demnach kann ein Fahrgast 25 Prozent des Fahrpreises zurückverlangen, wenn die Verspätung 60 bis 119 Minuten beträgt. Bei Verspätungen von mehr als zwei Stunden hat er Anspruch auf die Hälfte des gezahlten Fahrpreises.

Kritik an dem EuGH-Urteil hatte im September auch der ökologische Verkehrsclub VCD geübt. Wie die Bahn jetzt auch monierte er damals, dass die Rückerstattungspflicht nicht auch für den Flug- oder Schiffsverkehr gilt. Dies sei „eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Eisenbahnverkehrs und zu Gunsten der anderen Verkehrsträger“.