Signal-Iduna-Chef hält die Altersvorsorge der Deutschen für ungenügend und verteidigt die private Krankenversicherung. Ulrich Leitermann will zudem Unruhen wegen niedriger Renten nicht ausschließen.
Hamburg Nach den Stellenstreichungen bei einigen Wettbewerbern ist Signal Iduna inzwischen der größte Arbeitgeber der Versicherungsbranche in Hamburg. Das Abendblatt sprach mit dem neuen Chef Ulrich Leitermann, der Anfang Juli die Nachfolge des langjährigen Vorstandschefs Reinhard Schulte antrat, über Krankenversicherung, Rente und den Standort Hamburg.
Hamburger Abendblatt: Herr Leitermann, das Hauptgeschäft von Signal Iduna ist die Private Krankenversicherung (PKV). Die SPD hat sich immer wieder für eine Bürgerversicherung ausgesprochen und damit die Zukunft der PKV infrage gestellt. Müssen Sie sich jetzt angesichts der Regierungsbeteiligung der SPD Sorgen machen?
Ulrich Leitermann: Zunächst bin ich froh, dass die Bürgerversicherung in den Koalitionsgesprächen offenbar kein entscheidendes Thema ist – zumal das deutsche Gesundheitssystem das beste der Welt ist. Ich möchte hier keine Verhältnisse wie in Großbritannien haben, wo man Menschen im Alter von über 70 Jahren kein künstliches Hüftgelenk mehr zugesteht.
Aber dafür haben wir in Deutschland in der Krankenversicherung eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Leitermann: Wir haben keine Zwei-Klassen-Medizin. In den Arztpraxen und Krankenhäusern stehen teure, moderne Geräte, die maßgeblich von den zehn Prozent privat versicherten Bürgern mitfinanziert wurden, aber allen zugute kommen. Nur im Service, etwa bei Wartezeiten, gibt es Unterschiede. Das liegt an der Budgetierung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Übrigen bestreitet aber niemand, dass es in der Privaten Krankenversicherung Nachsteuerungsbedarf gibt.
Sie meinen die im Alter stark steigenden Beiträge, die manche Kunden in finanzielle Schwierigkeiten bringen, wie man immer wieder hört?
Leitermann: Das sind Einzelfälle, die wiederholt durch die Presse gehen. Ab dem Alter von 65 Jahren gehen die Beiträge generell heute eher zurück. Dafür sind die Alterungsrückstellungen, die von dem Geld der Versicherten aufgebaut wurden, schließlich da. Wenn es stärkere Beitragserhöhungen gibt, betreffen sie vor allem die Altersspanne zwischen 50 und 65. Denn wir sehen im Gesundheitssektor erhebliche Kostensteigerungen, während gleichzeitig wegen des staatlich verursachten Niedrigzinsniveaus die Kapitalerträge der Versicherungsunternehmen sinken.
Kommen wir zu einem anderen Zweig der Vorsorge: Manche Assekuranzen haben das Geschäft mit klassischen Lebensversicherungen bereits eingestellt, und auch der Verkauf von Renten-Policen läuft in der Branche eher schleppend. Warum ist die Bereitschaft der Deutschen, mit Versicherungsprodukten für das Alter vorzusorgen, so gering?
Leitermann: Die Bereitschaft dazu ist in der Tat geringer als vor einigen Jahren. Bisher war es immer meine Auffassung, dass viele Menschen zwar vorsorgewillig sind, sich aber finanziell nicht in der Lage sehen, einen langfristigen Vertrag abzuschließen. In der jüngsten Zeit kommt noch etwas anderes hinzu: Wettbewerber wie Banken und Fondsgesellschaften stellen die Lebensversicherung als ein „totes Produkt“ dar – und sie werden darin von Verbraucherschützern sogar noch unterstützt. Aber was ist denn die Alternative? Niemand kann mehr ernsthaft glauben, dass die gesetzliche Rente in 20 oder 30 Jahren auch nur annähernd ausreichen wird, einen halbwegs komfortablen Lebensstandard zu sichern. Der Generationenvertrag wird auf Dauer nicht funktionieren. Man kann nicht ausschließen, dass es später zu gesellschaftlichen Unruhen kommt, wenn das offenbar wird.
Ist die Skepsis gegenüber Lebens- und Rentenversicherungen nicht verständlich, wenn man sieht, dass die Verzinsung – die garantierte wie auch die prognostizierte – immer weiter absinkt?
Leitermann: Ja, die Zinsen sind gesunken. Aber bei der gesetzlichen Rente sprechen wir von einer negativen Rendite. Auf Sicht von 30 Jahren können wir immer noch sehr ordentliche garantierte Zinserträge bieten. Und schließlich kann das Zinsniveau durchaus wieder steigen – vor zehn Jahren hätte sich ja auch niemand so niedrige Marktzinsen vorstellen können, wie wir sie heute haben. Auf wieder steigende Renditen kann man allerdings nicht warten. Denn irgendwann macht es vom Alter her keinen Sinn mehr, noch einen Lebens- oder Rentenversicherungsvertrag abzuschließen.
Wie lange bleiben die Zinsen niedrig?
Leitermann: Wer profitiert denn von dem Niedrigzinsnivau? Vor allem die Staaten. Allein der Bundeshaushalt wird um mehr als 40 Milliarden Euro entlastet. Die Zinsen werden von der Politik niedrig gehalten, die Kehrseite ist eine schleichende Enteignung der Sparer. Für die nächsten drei Jahre erwarte ich keine echte Trendwende – und die hätten wir erst bei Marktzinsen von drei oder vier Prozent. Gegenwärtig sind wir schon froh, wenn die Zinsen von knapp zwei Prozent für zehnjährige Bundesanleihen nicht wieder absinken. Wir waren ja schon bei 1,5 Prozent.
Aber wie die anderen Unternehmen der Branche haben Sie immer noch auch Lebensversicherungen mit einem Garantiezins von vier Prozent im Bestand. Wie geht man bei Signal Iduna vor, um solche Verpflichtungen erfüllen zu können?
Leitermann: Wir erzielen im Moment eine Rendite von rund 3,6 Prozent. Dazu haben wir schon immer festverzinsliche Papiere mit sehr langen Laufzeiten von 20 oder 25 Jahren gekauft – was natürlich auch bedeutet, dass die Rendite nicht so schnell steigt, wenn die Zinsen am Kapitalmarkt einmal wieder anziehen. Staatsanleihen kaufen wir in viel geringerem Umfang als früher. Heute sind es belgische, französische, wohldosiert auch spanische und italienische Papiere. Hinzu kommen Unternehmensanleihen. Überdurchschnittlich stark sind wir in Hypothekendarlehen investiert, sie machen in der Gruppe 15Prozent des Kapitalanlagebestands aus. Es geht dabei ausschließlich um Immobilienkredite für Häuser und Wohnungen in Deutschland. Wir haben aber auch selbst Immobilien gekauft. Bei der Iduna Leben machen sie sieben Prozent der Kapitalanlagen aus, das ist eine der höchsten Quoten in der Branche. Der Aktienanteil liegt nur bei gut zwei Prozent.
Warum ist er so niedrig, verglichen mit rund 20 Prozent in den 1990er-Jahren?
Leitermann: Damals lagen die Zinsen auf festverzinsliche Papiere aber bei sieben Prozent. Damit konnten wir Schwankungen des Aktienmarkts gut abpuffern. Wenn die Zinsen aber nur noch in der Nähe der Garantieverzinsung unserer Lebensversicherungen rangieren, geht das nicht. Wir können uns das Risiko eines starken Aktienkursabschwungs nicht leisten, zumal wir heute ja auch noch ein Ausfallrisiko bei den Staatsanleihen haben.
Welchen Stellenwert hat Hamburg für Signal Iduna? Man verbindet das Unternehmen ja vor allem mit Dortmund.
Leitermann: Tatsächlich haben wir zwei Unternehmenssitze, einen in Dortmund und einen in Hamburg. Schon durch das Hinzukommen der Krankenversicherung des Deutschen Ring im Jahr 2009 hat Hamburg an Bedeutung gewonnen. Mit den 800 Beschäftigten, die damals zu uns kamen, sind jetzt rund 3500 Arbeitsplätze in Hamburg angesiedelt, in Dortmund sind es etwa 2500. Großes Lob gebührt der Wirtschaftsbehörde, die uns dabei unterstützt hat, Büroräume für die neu hinzugekommenen Mitarbeiter zu finden.
Ist Hamburg nicht ein teurer Standort?
Leitermann: Die hohe Gewerbesteuer ist schon misslich. Aber für ein Dienstleistungsunternehmen ist es wichtig, an einem Ort zu sein, wo man qualifizierte Mitarbeiter gewinnen kann. Da bietet Hamburg Vorteile.
Wie viel Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie in Hamburg?
Leitermann: Schon seit mehr als 13 Jahren habe ich auch eine Wohnung in Hamburg, denn ich bin jede Woche zwei bis drei Tage hier. Als Finanzvorstand bin ich auch für die Finanztöchter wie die Signal Iduna Bausparkasse, die Investmentgesellschaft Hansainvest und die Privatbank Donner & Reuschel verantwortlich, die ihren Sitz auch in Hamburg haben und die sich hervorragend entwickeln. Ebenfalls in Hamburg angesiedelt ist unsere Kapitalanlagegesellschaft Signal Iduna Asset Management. Ihre Mitarbeiter fühlen sich in der City Nord wohl, auch wenn sie in der Stadt nicht das Ansehen hat, das sie verdient.
Bleibt die Marke Deutscher Ring bei den Krankenversicherungen erhalten?
Leitermann: Der Deutsche Ring ist eine so gut eingeführte Marke, dass wir klar entschieden haben, sie weiterzuführen.
Wie wird sich die Zahl der Arbeitsplätze bei Signal Iduna entwickeln?
Leitermann: Sie bleibt stabil. Angesichts des Marktumfelds müssen wir danach streben, die Effizienz zu steigern und Wachstum mit konstanter Mitarbeiterzahl zu bewältigen.
Wächst Signal Iduna denn?
Leitermann: Wir erwarten einen leichten Anstieg der Beitragseinnahmen, zu dem alle Sparten beitragen dürften.