Andreas Jungblut ist Deutschlands bekanntester Schiffsführer. 15 Jahre stand er auf der Brücke des Traumschiffs „MS Deutschland“. Jetzt redet er über das Ende seiner Karriere.

Hamburg. Vielleicht ist er mit der Sache durch, vielleicht tut er nur so. Lächelnd sitzt er im Scheinwerferlicht, die Hände brav auf dem Tisch gefaltet, wartet der weißhaarige Mann mit dem kantigen Kopf auf das, was da kommt. Ein Jahr ist es her, da hat er selbst die Schlagzeilen vieler Zeitungen bestimmt: Andreas Jungblut, 60 Jahre alt, ist Deutschlands bekanntester Kapitän, weil er offen gegen die Pläne seiner Reederei vorging, die sein Schiff, die „MS Deutschland“, ausflaggen wollte.

Dafür musste er nach 15 Jahren seinen Posten auf der Brücke des Traumschiffs räumen, und seine Klage gegen den Arbeitgeber auf Wiedereinstellung endete im vergangenen Mai mit einem Vergleich: Jungblut bekam 170.000 Euro, aber seine Zeit als Traumschiff-Kapitän war endgültig vorbei.

Seitdem ist es ruhig geworden um den Mann, der in einem schönen Häuschen in Övelgönne wohnt. Etwa 50 Interessierte sind an diesem Abend der Einladung der Hamburger Agentur Grothuis ins Café einer ehemaligen Fabrikhalle in Altona gefolgt, um Jungblut im Gespräch zu erleben. Vielfach älteres Publikum, der eine oder andere ehemalige Mitarbeiter. Sie hören, wie er auf den Konflikt angesprochen antwortet: „Ich würde alles wieder genauso machen.“

Doch je länger Jungblut redet, etwa vom besonderen Zauber der Einfahrt in den Hafen von Venedig im Morgennebel, wird doch deutlich, dass ihm der Posten auf der Brücke eines Kreuzfahrtschiffs fehlt.

Reden darf Jungblut über alles, weil die Reederei im Rahmen der Vergleichsverhandlungen ihrem einstigen Star-Angestellten keine Schweigepflicht auferlegen konnte. Und so erzählt der Kapitän, was ihn im Olympischen Sommer 2012 zur Meuterei gegen den eigenen Arbeitgeber getrieben hat. Er berichtet vom Münchner Finanzinvestor Aurelius, der „Heuschrecke“, wie er sagt, die die Deilmann-Reederei nach der Insolvenz billig übernommen habe, um sie später mit Gewinn weiterzuverkaufen. „Ich wusste gar nicht, was eine Heuschrecke ist und habe mir das erst einmal von einem befreundeten Wirtschaftsprofessor erklären lassen“, sagt Jungblut.

Sehr schnell hätten die neuen Eigner gezeigt, dass es ihnen darum gehe, das Traumschiff auf Rendite zu trimmen. „Die machten vieles, was mit Seefahrt nichts zu tun hat“, so Jungblut. Als die Zahl der Passagiere sank, sei die Reederei dann auf die Idee gekommen, das einzige Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge einfach auszuflaggen. Das hätte mit einem Schlag zu großen Einsparungen bei den Lohnkosten der 250 Mitarbeiter an Bord geführt. Zudem wären die Kosten für Krankenkassen- und Rentenbeiträge gesunken, „weil sich die Leute selbst versichern müssten“, so Jungblut.

„Man muss sich nicht alles gefallen lassen“, habe er damals gedacht, und sich schützend vor seine Mitarbeiter stellen wollen. Dass es zu einem so großen Krach kommen würde, habe er sich nicht vorstellen können. „Im Gegenteil: Ich habe geglaubt, ich könne den Konflikt intern auf diplomatischem Weg lösen“, erinnert sich Jungblut.

Zur Verhinderung der Ausflaggung wollte er bei der Bundesregierung mehr Fördergelder locker machen. „CDU und FDP hätte ich wohl dazu bewegen können“, sagt Jungblut. Doch anstatt den Kapitän nach Berlin zu schicken, ließ die Reederei ihn „zwischen Eisbergen umherschippern“, und da habe er gemerkt, dass man ihn überrumpeln wollte. „Dann habe ich die Geschichte an die Zeitung lanciert.“

Es war nicht das einzige Mal. Bei den Olympischen Sommerspielen in London, ankerte die „MS Deutschland“ als offizielles deutsches Olympia-Schiff in der Themse. Jungblut war im Urlaub in Frankreich. „Und dort erfuhr ich, dass die Ausflaggung unmittelbar bevorsteht.“ Medialer Wahnsinn wäre das gewesen. „Wenn man irgendwas vernichten will, dann so“, sagt Jungblut. Um das Schlimmste zu verhindern, sei er als Privatmann nach London gereist. Doch an Bord seines Schiffes durfte er nicht. „Da habe ich wieder die Zeitung eingeschaltet und Druck gemacht.“

Aurelius warf ihm daraufhin Illoyalität vor und stellte den Kapitän frei. Und auch die Richter sahen diesen Vorwurf in der anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung als begründet. „Ich war immer loyal zur Deutschland und zur deutschen Flagge“, sagt hingegen Jungblut. Und nach kurzer Überlegung fügt er hinzu: „Vielleicht war ich nicht ganz so loyal gegenüber den Finanzinvestoren.“

Dennoch sei alles richtig gewesen. „Die ,MS Deutschland’ fährt weiter unter deutscher Flagge. Alles hat geklappt, bis darauf, dass ich nicht mehr dabei bin.“ Zur See würde er gern wieder fahren, „aber nicht unter Billig-Flagge.“