Die globale Arbeitsteilung wird heute als gegeben hingenommen und von vielen Unternehmen erfolgreich genutzt. Doch wie kam es dazu, dass Produkte nicht mehr möglichst nah am Absatzmarkt oder am Rohstoffvorkommen hergestellt werden müssen?
Hamburg. 2012 war ein gutes Jahr für die Farmer im Süden der USA. Der Baumwollanbau in Bundesstaaten wie Texas, Georgia und Mississippi – von der US-Regierung stark subventioniert, um den Absatz auf dem Weltmarkt zu ermöglichen – hatte 17 Millionen Ballen Ertrag gebracht. Zwei Drittel davon wurden exportiert, und zwei Millionen Ballen gingen in Containern auch nach China, wo aus der Baumwolle zunächst Stoffe und dann T-Shirts und Jeans hergestellt werden. Die fertige Kleidung gelangt wieder auf einem Containerschiff zu ihrem Absatzmarkt, zum Beispiel in 30 Tagen über den Pazifik und durch den Panamakanal zurück in die US-Südstaaten – dorthin, wo kurz zuvor der Rohstoff für die Kleidung geerntet und nach Asien verschifft wurde. Dabei fallen für ein T-Shirt, das im Laden zehn oder 20 Dollar kostet, für den gesamten Transport nicht mal zehn Cent an – trotz Weltumrundung.
War es vor wenigen Jahrzehnten noch entscheidend, möglichst nah am Absatzmarkt zu produzieren, um die Transportkosten niedrig zu halten, hat die Containerschifffahrt diesen Grundsatz seit den 70er-Jahren ausgehebelt. Wenn 30.000 T-Shirts in einem Container von China nach Deutschland verschifft werden, liegen die Kosten pro Stück unter einem Cent und spielen damit im Verhältnis zu den Gesamtkosten keine Rolle mehr. Möglich gemacht haben das deutliche Produktivitätssteigerungen in der Transportkette durch den Einsatz von Standardbehältern – kurz 20-Fuß- bzw. heute vor allem 40-Fuß-Containern.
Vor Erfindung des Containers in den 60er-Jahren bewegte ein 160 Meter langes Stückgutschiff jährlich maximal 85.000 Tonnen Ladung in beiden Richtungen zwischen Asien und Europa. Ein 366 Meter langes Containerschiff wie die „Hamburg Express“ mit Platz für 13.200 Standardcontainer (20 Fuß = 1 TEU) schafft heute jährlich 1,3 Millionen Tonnen – dank einer Zuladung von über 140.000 Tonnen.
Der immense Produktivitätszuwachs durch den Container setzt sich an der Kaikante fort: Als Stückgutschiffe noch mehrere Wochen in einem Hafen lagen, dauerte der Umschlag von 45 Tonnen Ladung mit über 20 Arbeitern und einem Kran noch eine ganze Schicht. Heute erledigt das ein Containerbrückenfahrer alleine – in einer Minute. Mehr Zeit benötigt er nicht, um zwei 40-Fuß-Container zu entladen. Wenn die „Hamburg Express“ am Container Terminal Altenwerder festmacht, werden mehr als 5000 Container gelöscht und geladen und dabei über 85.000 Tonnen über die Kaikante bewegt – in 36 Stunden. Fünf Kranfahrer pro Schicht erledigen das per Joystick, und den möglichst effizienten Weitertransport der Stahlboxen steuern Computerprogramme.
Diese hohen Schlagzahlen der Containerschifffahrt haben den Welthandel seit Einführung der Stahlboxen revolutioniert und Hafen- und Handelsstädten wie Hamburg Wohlstand gebracht. Wurden Mitte der 80er-Jahre weltweit noch Waren im Wert von jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar gehandelt, war es laut WTO im vergangenen Jahr fast der zehnfache Wert. 2012 schlug sich das in 122 Millionen Standardcontainern nieder, die über See transportiert wurden. Bis 2018 sollen laut Prognosen von IHS Global Insight jährlich weitere 40 Millionen TEU hinzukommen. In den rund 33 Millionen Stahlkisten, die weltweit im Einsatz sind, werden heute vor allem Chemikalien und Lebensmittel transportiert – oder Autoteile. Denn alle großen Autohersteller haben ihre Lagerhaltung bis auf wenige Tage Reserve auf die Containerschiffe der großen Linienreedereien verlagert. Die Bauteile werden just in time weltweit zwischen den Werken transportiert, angeliefert und montiert.
Kurzum: Die Erfindung des Containers war Voraussetzung für eine globale Arbeitsteilung und die Containerschifffahrt Katalysator der Globalisierung. Es spielte plötzlich keine Rolle mehr, von wo ein Rohstoff zur Produktionsstätte geschafft werden musste – geschweige denn, wie groß die Distanz zum Absatzmarkt war. Die Transportkosten wurden unbedeutend. Der Seetransport eines Paar Turnschuhe von Vietnam nach Deutschland schlägt mit gerade einmal 25 bis 30 Cent zu Buche, der eines Flachbild-TVs aus Südkorea mit drei Euro, und Apples iPad macht die Reise für rund 25 Cent pro Gerät.
Andersherum erschloss der Siegeszug des Containers auch westlichen Produzenten ungeahnte neue Märkte: Der Winzer an der Mosel kann heute seinen Rebsaft für zehn Cent pro Flasche bis ins Zentrallager eines Supermarktes in Tokio transportieren. Verderbliche Früchte können dank Kühlcontainern um die halbe Welt gefahren werden, Bananen aus Costa Rica, Weintrauben aus Chile oder Äpfel aus Neuseeland. Ebenso erstaunlich wie wissenschaftlich nachgewiesen ist dabei, dass die CO2-Bilanz eines Apfels aus Neuseeland je nach Jahreszeit und Produktionsbedingungen besser ist als die eines Apfels vom Bodensee – trotz eines Seeweges von 24.000 Kilometern.