Hunderte könnten ihre Anstellung beim Energiekonzern verlieren. „Die neue Situation ist schlimmer als die Anfeindungen, die es gegen uns gibt“, sagt ein Beschäftigter, der im Netze-Service arbeitet.

Hamburg. Er fährt mit seinem gelb-weißen Opel mit Vattenfall-Schriftzug zu einem Umspannwerk. Wechselweise am Tag oder in der Nacht ist er für den Energiekonzern unterwegs, um mögliche Stromausfälle zu verhindern oder zu beheben. Er ist einer von 600 Servicemitarbeitern von Vattenfall. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Nennen wir ihn Arne Müller. „Natürlich mache ich mir nach dem Ausgang des Volksentscheids über den Verkauf der Hamburger Netze mehr Gedanken über meine Zukunft als zuvor“, sagt er. „Bislang war für mich klar, dass ich bis zur Rente bei Vattenfall bleiben will. Jetzt ist alles anders.“

Diese neue Situation sei für ihn schlimmer als die Anfeindungen in der Stadt, nachdem bekannt wurde, dass Vattenfall die Lesetage nicht mehr finanziert. „Den Ausgang des Volksbegehrens müssen wir akzeptieren, aber wir wollen nicht der Buhmann für die Hamburger sein. Am Ende sind es doch wir, die Beschäftigten, die die Konsequenzen des Netze-Verkaufs zu spüren bekommen“, sagt Müller.

Er ist nur einer von den 4500 Mitarbeitern des Konzerns in der Metropolregion, die mit dem Verkauf der Hamburger Netze sich nun um ihre Zukunft sorgen. Eigentlich ist er stolz auf seinen Job, weil er weiß, dass er ihn gut macht. „Umso mehr frage ich mich, was das Ganze soll.“ Direkt betroffen von dem Verkauf wären 130 Mitarbeiter, die in der Vattenfall-Stromnetzgesellschaft arbeiten. Hinzu kämen noch die 600 Mitarbeiter vom Netze-Service, wo auch Müller arbeitet.

„Das ist nicht alles“, sagt Gesamtbetriebsratschef Rainer Kruppa. „Vattenfall ist ein integrierter Konzern, in dem viele Mitarbeiter Dienstleistungen für andere Bereiche des Unternehmens übernehmen.“ Das heißt, dass zum Beispiel auch Mitarbeiter aus der Personalabteilung, dem Kundenservice, IT, Catering, Gebäudemanagement oder auch Techniker von einem Verkauf betroffen sind, die überwiegend in anderen Teilen des Unternehmens arbeiten, aber auch Dienstleistungen für den Netze-Bereich übernehmen.

„Neben den Netze-Mitarbeitern könnten weitere Beschäftigte ihren Job verlieren. Ich gehe von einer hohen dreistelligen Zahl aus.“ Kruppa kennt sie, die Sorgen seiner Kollegen. „Viele sprechen mich an, wenn ich über die Flure laufe. Aber im Moment ist noch nicht klar, wie genau der Verkauf erfolgen soll. Deshalb kann ich den Beschäftigten noch wenig sagen.“

Viele Vattenfall-Mitarbeiter halten den Rückkauf der Netze durch die Stadt für den völlig falschen Weg, so Kruppa. „Wir werden den Bürgerwillen natürlich respektieren, ich frage mich aber, ob die Handelnden sich bewusst sind, welche Folgen es geben wird? Schon zu HEW-Zeiten, als wir noch komplett der Stadt gehörten, haben wir als Betriebsrat der Politik Zusagen für die Beschäftigten abgerungen. Jetzt werden wir von der Politik Zusagen verlangen, damit keiner der bis zu 730 betroffenen Mitarbeiter durch den Netze-Verkauf künftig auf der Straße stehen muss“, so Kruppa. In diesem Bereich sind sich Vattenfall-Chef Pieter Wasmuth und sein Betriebsratschef ausnahmsweise einmal einig. „Wir werden es nicht leichtfertig zulassen, dass unsere Kollegen zwischen die Stühle geraten“, sagt Wasmuth.

Mit dem Strom- und Wärmenetz würden die Rosinen aus dem Unternehmen herausgepickt, so Kruppa. Eigentlich sind die Netze strategisch zwar der wichtigste Teil eines Stromkonzerns. Großen Einfluss darauf hat Vattenfall finanziell gesehen aber nicht. Denn die Bundesnetzagentur bestimmt den Preis, den Vattenfall von den Stromkunden als Netznutzungsentgelt verlangen darf. Wichtiger als der drohende Netzverkauf ist derzeit die 2015 anstehende Konzessionsvergabe. Denn dann wird entschieden, wer das Netz in den kommenden 20 Jahren als Betreiber nutzen darf. Bislang hat immer Vattenfall den Zuschlag erhalten. Auch diesmal bewirbt sich der Konzern.

„Am Donnerstag hat die Bundesnetzagentur neue Effizienzwerte für die Netze-Betreiber bekannt gegeben. Wir haben für Hamburg 96,3 Prozent erreicht. Damit haben wir nachweislich einen guten Job gemacht. Das muss uns erst einmal die Stadt oder ein anderer Betreiber nachmachen“, sagt Wasmuth. Er fordert, dass die Konzessionsvergabe transparent und diskriminierungsfrei verläuft. „Dann haben wir beste Chancen, die Konzession zu bekommen. Wir wollen gern so weitermachen, weil wir in den letzten 119 Jahren bewiesen haben, dass wir es können.“

Als Hamburger Bürger hadert Wasmuth mit der Kirche. „In dem Ausschuss, der jetzt die Modalitäten des Verkaufs regeln soll, sind zwar Manfred Braasch und Günter Hörmann von der Netze-Initiative vertreten, die Kirche, die die Initiative unterstützt und mitfinanziert hat, aber nicht. Ich finde, dass es sich die Kirche jetzt nicht so einfach machen kann. Ich habe Bischöfin Fehrs schon gefragt, welche Position sie angesichts der Schulden, die die Stadt für die Übernahme der Netze machen muss und die Risiken, die entstehen können, einnimmt. Wenn es dem Staat um die Daseinsvorsorge in Staatshand geht, muss auch die Kirche dazu beitragen, dass alles gut funktioniert. Schließlich geht es um Haushaltsrelevante Fragen.“

„Die Unruhe ist in dem Betrieb spürbar“, sagt Netze-Chef Dietrich Graf. „Wir bieten Fragestunden an, obwohl auch wir noch keine Details wissen. In Hamburg hat ein Haushalt zwölf Minuten Stromausfall im Jahr, im Bundesdurchschnitt sind es 15 Minuten“, sagt er und nimmt dies als Beleg dafür, dass das Stromnetz bislang in guten Händen lag. Seine 130 Mitarbeiter sind von einem Verkauf am stärksten betroffen und müssten zur Stadt wechseln.

„Die Stadt wäre gut beraten, wenn sie zudem die 600 Netze-Techniker übernehmen würde. Denn sie haben das Know-how. Bisher haben wir bei Vattenfall immer sehr sozialverträglich handeln können. Wenn der schlimmste Fall eintritt, wird dies wohl nicht immer möglich sein.“ Auch das mit der Stadt vereinbarte Energiekonzept ist nur noch Papier. „Wir werden alle Investitionen im Netz sorgfältig prüfen müssen und möglicherweise zurückschrauben.“ Mit dem Senat hatte Vattenfall vereinbart, dieses Jahr 160 Millionen Euro ins Netz und andere Projekte zu investieren. Im langjährigen Mittel waren es nur rund 140 Millionen Euro.

„Ich trete aus der Kirche aus, weil die Unterstützung eines Volksentscheides nicht zu ihren Aufgaben gehört und sie die Initiative finanziell unterstützte. Auch andere Mitarbeiter wollen dies machen. Ein Kollege von mir wartet nur noch, bis seine Tochter konfirmiert worden ist“, sagt Müller. „Vor gut zehn Jahren hatte der Hamburger SPD-Senat seine letzten HEW-Anteile an Vattenfall verkauft. Nun kauft wieder ein SPD-Senat einen Teil unseres Unternehmens. Das ist doch der blanke Irrsinn“, sagt ein anderer Mitarbeiter.