Deividas Matulionis, Litauens Botschafter in Deutschland, sprach mit dem Abendblatt über die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes und die Beziehungen zu Hamburg.
Litauens Botschafter Deividas Matulionis, 50, war zu Gesprächen mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Vertretern der Hamburger Wirtschaft in der Hansestadt. Im zweiten Halbjahr 2013 übt Litauen die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union aus. Matulionis, ein erfahrener Diplomat und Außenpolitiker, vertritt sein Land als Botschafter in Deutschland seit Oktober 2012.
Hamburger Abendblatt: Herr Botschafter, im zweiten Halbjahr 2013 hat Ihr Land die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union inne. Wie wollen Sie die EU wirtschaftspolitisch voranbringen?
Deividas Matulionis: Wir wollen mehr Finanzdisziplin in der Europäischen Union. Das setzt eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik voraus. Viele unserer Positionen stimmen mit denen der Bundesregierung überein. Es ist dringend nötig, Ordnung in die Staatsfinanzen der EU-Mitgliedstaaten zu bringen. In anderen Punkten wird weiterverhandelt werden müssen, etwa beim Thema einer EU-Bankenunion. Aus unserer Sicht wäre sie ein wesentliches Instrument, um künftigen Finanzmarktkrisen vorzubeugen und um die Entwicklung systemrelevanter Banken besser begleiten zu können. Auch die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist ein wichtiges Thema unserer Ratspräsidentschaft. Wir wollen hier Fortschritte erzielen durch einen besseren Austausch von Informationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und auch mit anderen Staaten.
Sind die baltischen Staaten optimistischer und effektiver bei der Bekämpfung der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise als die südeuropäischen Staaten?
Matulionis: Es gibt in unserer nordosteuropäischen Region sicher viel Optimismus und auch Pragmatismus bei diesem Thema. Man muss aber auch sehen: Die Krise hat uns in Litauen nach 2009 sehr viel härter getroffen als vielleicht die meisten anderen EU-Mitgliedstaaten. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als Wirtschaft und Staatsfinanzen mit teils harten Reformen zu stabilisieren. Dazu gehörten umfangreiche Kürzungen bei den Gehältern von Staatsbediensteten und von Renten oder auch die Anhebung des Renteneintrittsalters. Das waren äußerst unpopuläre Maßnahmen. Sie haben uns aber geholfen, unsere Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Auch die Senkung der Lohnstückkosten in der Industrie um zehn bis zwölf Prozent war zwingend für unsere Wirtschaft. Wir haben gesehen, dass mit politischem Willen vieles möglich ist – wenngleich die letzte Regierung nach der Sanierung die Wahlen verloren hat. Seit 2010 wächst unsere Wirtschaft stabil. Auch die Binnenkonjunktur zieht mittlerweile an.
Welchen Beitrag leistet dazu der Handel innerhalb des Ostseeraums?
Matulionis: Unser Außenhandel läuft gut. Die Ostsee-Anrainerstaaten und Island sind unsere wichtigsten Handelspartner. Etwa zwei Drittel unserer Ausfuhren gehen in diese Länder. Unsere Industrie ist gut diversifiziert, von der chemischen Industrie über die Möbelherstellung bis hin zur Lebensmittelwirtschaft. Das hat uns in der Krise geholfen. Die Landwirtschaft spielt bei uns ebenfalls eine wichtige Rolle. Unser wichtigster Hafen Klaipeda ist auch in der Krise gewachsen. Mit 40 Millionen Tonnen Umschlag jährlich ist er mittlerweile der größte Hafen in den baltischen Staaten. Wir bauen ihn ständig weiter aus, unter anderem um ein Kreuzfahrtterminal und ein Logistikzentrum. 2015 soll das neue Kreuzfahrtcenter fertig sein. Wir erwarten dann noch einmal einen deutlichen Anstieg des Kreuzfahrttourismus.
Wie sehen die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Litauen und Hamburg aus, über die Sie bei Ihrem Besuch hier sicher auch gesprochen haben?
Matulionis: Unsere Handelsbeziehungen sind sehr intensiv. Hamburg ist für unsere Ausfuhren per Container nach Übersee der wichtigste Umschlagplatz. Zwischen Hamburg und Klaipeda pendeln Zubringerschiffe. Wir möchten unsere Verbindungen nach Übersee weiter ausbauen. Dafür ist Hamburg ein ganz wichtiger Partner und insgesamt sehr interessant für Litauen.
Ist die Finanzmarktkrise in Europa überwunden, oder wird das Thema die EU weiterhin im Griff behalten?
Matulionis: Ich sehe Licht am Ende des Tunnels, wie man auf Deutsch sagt, aber die Krise ist noch nicht überwunden. Andererseits hat Europa in den vergangenen 60 Jahren viele Krisen auch ganz anderer Art bewältigt. Wir in Litauen jedenfalls glauben an den Euro und wollen ihn 2015 einführen.
Ist das schon sicher und beschlossen?
Matulionis: Im Parlament ist es beschlossen. Die beiden wichtigsten der drei dafür relevanten Kriterien erfüllen wir nach heutigem Stand. Unser Haushaltsdefizit liegt unter drei Prozent des Staatsetats, die Staatsverschuldung bei 39 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Inflation ist zurzeit noch etwas höher als erlaubt, aber wir arbeiten daran, auch dieses Kriterium zu erfüllen. Mit dem Beitritt zum Euro gehen wir den letzten Schritt bei unserer Integration in die Europäische Union.