Die Zahl der Azubis am Herd sinkt – gleichzeitig steigt die Nachfrage in den neuen Hotels und Restaurants der Stadt. Der Beruf hat schließlich auch seine Tücken. Etwa jeder dritte Koch bricht die Lehre ab.
Hamburg Nele Felicitas von Prondzinski steht in Kochmütze und grauer Jacke mit dem Schriftzug „Le Royal Méridien“ am Schneidebrett und hackt Gemüse. Es duftet nach gebratenen Zwiebeln für das Szegediner Gulasch, das die Kochschüler an diesem Tag in der Gewerbeschule für Gastronomie zubereiten. Sie wuseln zwischen Herdplatten, Arbeitsflächen und Lagerräumen hin und her und üben damit in der Berufsschule für den Ernstfall, wenn sie später einmal bei ihren Arbeitgebern, im Le Méridien an der Alster, im Atlantic, am Süllberg oder in einer Kantine, Gerichte für 30 bis 60 Leute werden zubereiten müssen.
Nele Felicitas von Prondzinski sieht die Arbeit in der Küche als ihren Traumberuf, schon als Kind hat sie am Herd gestanden und Salate und Vegetarisches für ihre Eltern gezaubert. „Kochen hatte bei uns in der Familie schon immer einen hohen Stellenwert“, erzählt die blonde Hamburgerin. Klar gebe es Nachteile des Berufs, die geringe Bezahlung mit 600 Euro Bruttomonatslohn im ersten Lehrjahr, 1200 Euro als Jungkoch und den Zwang, abends arbeiten zu müssen, wenn andere ausgehen. Diese Herausforderungen sieht die 19-jährige Abiturientin aber mit einer Portion Humor. „Wenn ich weniger Freizeit habe, kann ich auch nicht so viel Geld ausgeben.“
Nicht viele junge Leute bringen den Idealismus auf, um sich ein Leben zwischen dampfenden Töpfen, herumkommandierenden Chefs und anspruchsvollen Gästen zu wünschen. Den Hamburger Restaurants, Hotels und Kantinen gehen die Köche aus. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage in der Gastronomie öffnet sich immer mehr. „Derzeit haben wir etwa 600 Köche in der Ausbildung, vor einigen Jahren waren es aber noch gut 700 Azubis“, rechnet Robert Panz, Schulleiter an der Gewerbeschule für Gastronomie vor.
Zugleich steigt die Nachfrage in den Profi-Küchen: Waren im Sommer 2006 in Hamburg 134 Stellen für Köche unbesetzt, sind es heute 163, meldet die Agentur für Arbeit. „Wir sehen eine hohe Nachfrage, denn die Branche leidet unter einer höheren Fluktuation als in anderen Bereichen. Außerdem eröffnen immer wieder neue Hotels und Restaurants in Hamburg“, fasst Knut Böhrnsen von der Agentur für Arbeit die schwierige Lage zusammen. Früher zählten die großen Arbeitgeber wie etwa das Hotel Atlantic mehrere Tausend Bewerber für die Küche im Jahr, heute wird es selbst für das traditionsreiche Grandhotel schwierig, geeignete Jugendliche zu finden, sagte Atlantic-Küchendirektor Thomas Wilken.
Wie in allen Berufen geht in den Küchen allein schon durch den demografischen Wandel der Nachwuchs aus. Allerdings ist dies keineswegs die einzige Herausforderung: Längst nicht alle Kandidaten für eine Ausbildung am Herd bleiben bei der Stange. Die Gastronomie klagt über eine der höchsten Abbrecherquoten in der gesamten Berufsausbildung. Etwa jeder dritte Koch beendet die Lehre vorzeitig, ohne Abschluss.
Etliche Jugendliche machten sich auch gar keine Vorstellungen von dem Beruf, sagt Schulleiter Robert Panz. Schließlich ginge in der gesamten Bevölkerung das Wissen über Ernährung und Lebensmittel zurück. „Viele Kinder wissen noch nicht einmal mehr über die Grundnahrungsmittel Bescheid“, sagt der Pädagoge. Blumenkohl und selbst Kartoffeln würden einige Schüler gar nicht mehr erkennen. „Und in den USA werden heute sogar schon viele Häuser ohne Küchen gebaut“, schaut Panz über den Atlantik, in das Geburtsland des Fast Food.
„Oft reicht die schulische Vorbildung aber auch nicht für die Kochlehre, es gibt Schwächen in Deutsch und Mathe“ , ergänzt Michael Mittelberger, Fachlehrer der jungen Leute, die an diesem Tag das Gulasch zubereiten und am Ende ihrer Arbeit noch über Konsistenz, Aussehen und Geschmack des Gerichtes diskutieren werden. Dabei bewerben sich für diese Ausbildung Abgänger ganz verschiedener Schulformen: Im vergangenen Jahr besaßen 55 der Koch-Azubis die Hochschulreife, 55 kamen von der Berufsfachschule, 75 waren Realschüler und 89 Hauptschüler. Am besten, resümiert Mittelberger, kämen noch die jungen Frauen mit den Anforderungen klar. Die Auszeichnung „Jahrgangsbeste“ und den Sieg beim Wettbewerb „Hamburgs beste Köche“ hätten seit sechs Jahren ausschließlich Frauen erreicht. Auf die Frage, warum dann so wenige weibliche Köche das Sagen in den Gourmet-Restaurants haben, nennt Mittelberger drei Gründe: die schlechte Vereinbarkeit der Arbeitszeit mit der Familie, körperliche Anforderungen wie schwere Töpfe und langes Stehen – und der berühmt-berüchtigte Ton unter den Mitarbeitern.
Wie steht es wirklich um den Umgang in der Küche, sind alle Chefs hier Diktatoren? Wenn das Arbeitstempo schneller werden muss, kann es durchaus schon mal lauter werden, erzählt Koch-Azubi Arne-Jonas Bocktenk, der im Hotel Süllberg und dort unter anderem im Zwei-Sterne-Restaurant Seven Seas arbeitet. Mit den Kochshows im Fernsehen habe der Arbeitsalltag jedenfalls nichts zu tun, sagt der gebürtige Osnabrücker, „das sind doch alles Entertainer“. Die Sprüche könnten schon mal unter die Gürtellinie gehen, plaudert auch Fachlehrer Mittelberger aus dem Nähkästchen. Der 56-Jährige arbeitete vor seiner Lehrer-Laufbahn im Elysée und war dort für das leibliche Wohl von bis zu 2000 Gästen verantwortlich. „Wenn dann einer nicht mitzieht und seine Kartoffeln zu spät fertig hat, schadet es dem ganzen Team“, sagt Mittelberger. Und in solchen Fällen würde eben auch mal auf ein höfliches „Bitte“ im Team an den Töpfen verzichtet und zum Schimpfwort gegriffen. Schließlich erwarteten die Gäste für ihr Geld Perfektion, den ganzen Abend lang. Schlechte Erfahrungen mit dem Essen verbreiteten sich heute im Internet mit hoher Geschwindigkeit und könnten schnell die Existenz des Restaurants bedrohen.
So wie Nele Felicitas von Prondzinski lässt sich auch Arne-Jonas Bocktenk nicht von all diesen Hürden des Berufs abschrecken. Er ist immer noch begeistert, wenn sich auf dem Süllberg am Ende des Abends noch einmal alle versammeln und sagen, „wir haben einen tollen Job gemacht“. Früher hat Bocktenk viel Sport getrieben, heute vergleicht er die Arbeit in der Küche mit dem Hobby: „Das Training macht zwar nicht immer Spaß, aber wenn man das Spiel am Ende gewinnt, sind alle glücklich.“ Bocktenk ist mit Leidenschaft bei der Sache, er bewundert seinen Ausbilder Benjamin Zehetmeier, Chefkoch am Süllberg, der einst unter Drei-Sterne-Koch Eckart Witzigmann sein Handwerk lernte und heute, mit 25 Jahren, schon ein Team von 30 Leuten leitet. Doch so begeistert Bocktenk von seiner Lehre spricht, auch er sieht seine Zeit in Hamburg nur als Sprungbrett: Kochen und Reisen ist sein Berufsziel. „Das ist doch das Schönste“, schwärmt der 19-Jährige, „dass Sie als Koch überall auf der Welt einen Job finden.“ Auch wenn Hamburg ihm ans Herz gewachsen ist, der Süllberg-Azubi dürfte den Mangel an Köchen in der Hansestadt auch nicht lindern. Als Nächstes stehen für den jungen Mann Restaurants in Amerika, Neuseeland und Australien auf dem Wunschzettel.