Vorstand begeht Suizid, Ackermann gibt Posten bei Zurich Versicherung auf
Hamburg. Josef Ackermann gab sich zufrieden. Sein neuer Job als Verwaltungsratspräsident der Zurich Versicherung mache ihm Spaß, versicherte er im Frühjahr. „Ich habe das Amt bei der Zurich auch übernommen, um mein internationales Netzwerk und meine Erfahrungen für den Finanzplatz Schweiz einzubringen“, sagte er.
Nach seinem Abschied vom Vorstandsvorsitz bei der Deutschen Bank hatte der heute 65-Jährige in seiner Heimat eine neue Aufgabe gefunden, war Teil der Finanzelite geblieben. Doch kaum hat er sich in die Versicherungswirtschaft hineingefuchst, gibt er den Posten wieder auf. Die Umstände sind rätselhaft. Und die Folgen dürften schmerzlich werden für den Mann, der nach seinem Ausscheiden bei der Deutschen Bank so bemüht war, seinen Bedeutungsverlust in Grenzen zu halten.
Ackermanns Rücktritt kam plötzlich und unerwartet. Die Hintergründe machen der Adresse der Zurich-Zentrale alle Ehre. Der Konzern residiert in der Schweizer Finanzmetropole am noblen Mythenquai, und zur Mythenbildung laden die Vorgänge im Unternehmen in den vergangenen Tagen geradezu ein. Am Montag war Finanzvorstand Pierre Wauthier tot aufgefunden worden. Offenbar hat er sich selbst das Leben genommen, die möglichen Gründe dafür blieben für die Öffentlichkeit bisher im Dunkeln.
Doch offenbar gab es hinter den Kulissen Vorwürfe gegen Ackermann selbst. Vorwürfe, die er selbst mit seiner Rücktrittserklärung öffentlich machte, um sich gleichzeitig von ihnen zu distanzieren. „Der unerwartete Tod Pierre Wauthiers hat mich zutiefst erschüttert“, wird Ackermann in einer Mitteilung des Versicherers zitiert. Und weiter: „Ich habe Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung hierfür tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag.“ Und weiter: Er trete zurück, „um jegliche Rufschädigung zulasten von Zurich zu vermeiden“.
Die Erklärung sorgte für Rätselraten. Was genau wirft die Familie des Verstorbenen Ackermann vor? Ist etwas dran an diesen Vorwürfen? Und falls nicht: Warum tritt er dann mit einer solchen Erklärung zurück, die die Familie wegen möglicherweise falschen Anschuldigungen an den Pranger stellt? Wirkliche Antworten auf diese Fragen gibt es weder bei der Zurich noch in Ackermanns Umfeld.
Nur vage ist die Rede davon, dass die Angehörigen im fordernden Führungsstil Ackermanns eine Ursache für den Suizid Wauthiers sehen könnten. Tatsache ist, dass das Geschäft bei Zurich zuletzt nicht rundlief. Zusätzliche Rückstellungen in Milliardenhöhe wurden nötig. Über großen Druck auf das Management angesichts der schwachen Entwicklung des Aktienkurses wird gemunkelt.
Die Unruhe reicht bis an die Börse, wo der Kurs der Zurich-Aktie am Donnerstag zeitweise um mehr als drei Prozent nachgab. Analysten rieten dazu, die Anteile des Unternehmens nicht mehr anzufassen, bis über die mysteriösen Vorgänge in der Konzernspitze Klarheit herrsche.
Das Thema ist in der Schweiz besonders heikel, weil sich erst jüngst der Chef des Telefonkonzerns Swisscom das Leben genommen hatte. Die Wirtschaftszeitschrift „Bilanz“ hatte dem Tod des Managers vergangene Woche ihre Titelgeschichte gewidmet und damit die Kontroverse über das möglicherweise rüde Klima in den Führungsetagen noch weiter verstärkt. „Warum schweigt der Zurich-CEO?“, fragte das Boulevardmedium „Blick“ in großen Lettern. Der angesprochene, Martin Senn, erklärte lediglich dürr, man habe „keine Konflikte festgestellt, die zu einem solchen Tod führen könnten oder sollten“.
Vor dem Hintergrund dieser Debatte erscheint Ackermanns Rücktritt nachvollziehbar. Weil er damit Verantwortung übernimmt, weil er jeden Anschein vermeidet, dass Zurich einfach zur Tagesordnung übergeht. Ob er den Konzern damit aus der Schusslinie bringen kann, bleibt abzuwarten. Gewiss erscheint dagegen, dass dem Schweizer selbst dieser Schritt nicht leicht gefallen sein dürfte.
Sicher, der Posten an der Spitze des Zurich-Verwaltungsrats galt nie als sein Traumjob. Verglichen mit der Deutschen Bank ist der Schweizer Versicherer in der globalen Finanzwelt eine eher kleine Nummer. Immer wieder war in den vergangenen Monaten darüber spekuliert worden, dass Ackermann das Amt schon recht bald wieder aufgeben könnte. Doch Menschen, die seine Karriere lange begleitet haben, glauben, dass der Zurich-Posten für den langjährigen Bankchef wichtiger war als gemeinhin angenommen.
Denn Zurich mag eine deutlich kleinere Bühne sein als die Deutsche Bank – aber es war zumindest eine Bühne. Ackermann hat zum Ende seiner zehnjährigen Amtszeit bei der Deutschen Bank kein Hehl daraus gemacht, was er an seinem Job am meisten schätzte: die Gespräche mit den Bedeutenden und Mächtigen dieser Welt, den Austausch mit Wirtschaftsgrößen und politischen Führern.
Weltweit wurde die Meinung des Schweizers geschätzt. Das hatte zwei Gründe. Einerseits die schiere Macht und Bedeutung, die mit dem Chefposten bei der Deutschen Bank verbunden ist. Andererseits seine Expertise, seine Fähigkeit, das Geschehen in der Wirtschafts- und Finanzwelt zu erklären, seine gewinnende Art, Gespräche zu führen – kurz beschrieben: seine Persönlichkeit. Mit Ackermanns Macht ist es nun nicht mehr weit her. Sie war schon nach dem Abschied von der Frankfurter Bank deutlich geringer geworden. Nun, nach dem Rücktritt bei der Zurich, geht sie gegen null. Ackermann bleiben nur noch einige Aufsichtsratsmandate, etwa beim Ölkonzern Shell und bei Siemens – sein Versuch, sich dort als Nachfolger für Gerhard Cromme an die Spitze des Kontrollgremiums zu setzen, war jüngst jäh gescheitert.
Bleibt seine Persönlichkeit. Doch auch damit ist es nun so eine Sache. Die Frage nach den wahren Hintergründen für seinen Abgang bei der Zurich könnten Ackermann noch lange nachhängen, wenn die offenen Fragen nicht überzeugend beantwortet werden. In zwei Wochen erscheint ein Buch über ihn, das aufzeigen soll, wie der einst so umstrittene Manager spätestens in der Finanzkrise geläutert wurde.
Das Bändchen, geschrieben von seinem einstigen Kommunikationschef, hätte seinem Image gerade in Deutschland guttun können. Jetzt aber wirkt der Titel beinahe deplatziert: „Späte Reue“. Obendrein lassen die juristischen Altlasten der Deutschen Bank auch den Ex-Vorstandschef nicht los.
Gerade erst sollen er und weitere frühere Manager des Konzerns Vorladungen von der Staatsanwaltschaft München bekommen haben. Sie ermittelt gegen die Deutschbanker, weil sie im Schadenersatzprozess der Bank gegen die Erben des Medienunternehmers Leo Kirch absichtlich die Unwahrheit gesagt haben sollen. Prozessbetrug lautet der wenig schmeichelhafte Vorwurf.
Den Herbst seines Berufslebens hatte sich Josef Ackermann sicher anders vorgestellt.