Städtischer Stromversorger versorgt über revolutionäre Technik Tausende Haushalte im Hamburger Süden. “Das Konzept ist weltweit einmalig“.
Hamburg. Noch gleicht das Gelände einer Baustelle. Doch während der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg wird aus einem ehemaligen Flakbunker aus dem Jahr 1943 in dem Stadtteil ein deutsches Vorzeigeprojekt in puncto regenerativer Energie. Auf dem Dach des zehnstöckigen Gebäudes befinden sich eine Anlage zur Solarthermie und an der Südfassade eine Fotovoltaikanlage. Allein für die Solarthermie mussten 5000 Röhren verlegt werden. In dem Bunker sorgen künftig ein mit Biomethan gespeistes Blockheizkraftwerk und zwei Anlagen zur Verbrennung von Holzhackschnitzeln zusätzlich für Wärmeenergie. Auch die Abwärme des benachbarten Industriebetriebs Nordische Ölwerke wird eingespeist.
In einem riesigen Kessel mit einem Fassungsvermögen von 2000 Kubikmetern wird Wasser erhitzt - so viel wie in 13.000 Badewannen passt. Das Wasser wird in einem ersten Schritt zur Wärmeversorgung des benachbarten Weltquartiers mit 660 Wohnungen verwendet. Insgesamt können am Ende mit einer intelligenten energetischen Verknüpfung im Energiebunker sogar 22.500 Megawattstunden Wärme und fast 3000 Megawattstunden Strom erzeugt werden. Das entspricht dem Wärmebedarf von bis zu 3000 und dem Strombedarf von etwa 1000 Haushalten. Damit wird laut Michael Beckereit, Chef von Hamburg Energie, eine CO2-Einsparung von 95 Prozent erreicht werden, das entspricht rund 6600 Tonnen des Klimakillers, die pro Jahr vermieden werden. Mit den Anlagen auf dem Dach werden weitere 220 Tonnen CO2 pro Jahr vermieden.
Das warme Wasser wird über ein 7,5 Kilometer langes Fernwärmenetz in die angeschlossenen Haushalte transportiert. "Als lokales Kraftwerk ist der Energiebunker auch ein Beispiel für eine dezentrale Energiepolitik, die Arbeit und Einkommen vor Ort schafft", sagt IBA-Chef Uli Hellweg. Das Speichervolumen des Wilhelmsburger Bunkers reicht aus, um die Wärmeversorgung der angeschlossenen Wohngebiete für einen Tag zu sichern.
"Das Konzept ist weltweit einmalig - an ihm können Erkenntnisse über die Praxistauglichkeit der eingesetzten Regel- und Hydrauliktechnologien gesammelt werden", sagt Beckereit. Außerdem wird bereits jetzt an einer Erweiterung geforscht. "Im Speicher könnte zukünftig überschüssiger Windstrom aus Norddeutschland in Wärme umgewandelt werden oder in windschwachen und sonnenarmen Zeiten Wärme aus einem zusätzlichen Blockheizkraftwerk eingespeist werden, welche dann zur Stromerzeugung genutzt würde." Allein für die Dach- und Fassadenkonstruktion für Solarthermie mit 1350 und der Fotovoltaikanlage mit 670 Quadratmetern wurden 290 Tonnen Stahl verbaut. Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich auf rund 27 Millionen Euro, inklusive der Renovierung des Bunkers. Etwa 11,7 Millionen Euro entfallen auf die Technik und das Wärmenetz.
Die Europäische Union unterstützt das Hamburger Projekt mit insgesamt 3,1 Millionen Euro aus Mitteln vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Die Solarhülle wird darüber hinaus mit Mitteln aus dem Hamburger Klimaschutzkonzept gefördert. Der Energiebunker soll auch für die Öffentlichkeit geöffnet werden. Auf 30 Meter Höhe befindet sich in einem der Flaktürme ein Café mit Dachterrasse, die einen 360-Grad-Blick über fast ganz Hamburg erlaubt.
Der Bunker wurde im Jahr 1947 von der britischen Armee durch eine gezielte Sprengung im Inneren völlig zerstört. Sechs der damals acht Etagen stürzten ein, der Rest war nicht mehr ohne Gefahr zu betreten. Nur die äußere Hülle blieb nahezu unzerstört. Im Vorfeld der Bauausstellung wurden 80.000 Tonnen Stahlbeton verbaut, um den Bunker zugänglich zu machen. Die Anzahl der Geschosse wurde auf zehn aufgestockt, die Wände sind zwei Meter dick, die Decke 3,5 Meter.
Die IBA eröffnet am 23. März und dauert bis zum 3. November. In mehr als 60 Projekten werden Themen wie neue Räume für eine Stadt oder der "Sprung über die Elbe" zwischen der HafenCity im Norden und Harburg im Süden angegangen.
Hamburg Energie wurde als städtischer Versorger im Herbst 2009 vom damals schwarz-grünen Senat gegründet. Zum Jahreswechsel 2012/13 musste das Unternehmen wegen einer gestiegenen Abgabe für erneuerbare Energien seinen Strompreis um bis zu 11,9 Prozent für Altkunden erhöhen. "Wir haben dadurch Kunden verloren, aber auch neue gewonnen", sagt Unternehmenssprecher Carsten Roth. Denn andere Stromkonzerne hatten gleichzeitig mit Hamburg Energie ihre Preise erhöht. Ende 2012 hatte das Unternehmen rund 88.000 Kunden, inzwischen sind es fast 90.000 Haushalte aus Hamburg und Umgebung, die Strom oder Gas von dem städtischen Versorger beziehen.