3000 neue Arbeitsplätze sind im strukturschwachen Bremerhaven durch Windkraftindustrie entstanden. Technik-Probleme auf dem Meer.
Beim Blick aus Holger Baniks Büro ist die Offshore-Windkraft schon längst ganz groß. Aus dem zwölften Stock des Sail-City-Hochhauses an der Weser blickt man weit über den nördlichen Teil von Bremerhaven hinweg. Am Horizont stehen in einer langen Reihe die Containerbrücken auf den Terminals des Überseehafens. Rechts davon fallen dem Betrachter große, gelb lackierte Strukturen ins Auge. Es sind Fundamente für Offshore-Windturbinen, die auf einem Schwerlastterminal stehen, bis man sie hinaus auf das Meer bringt. Wie wuchtige Ausrufezeichen ragen sie in die Höhe. Weithin markieren sie die Hoffnung auf einen neuen Aufschwung für die Stadt an der Nordsee.
"Der Hafen bekommt mit dem Offshore-Geschäft ein ganz neues Gesicht", sagt Banik, 44, Geschäftsführer der städtischen Hafenverwaltung Bremenports. Gemeinsam mit seinem Co-Geschäftsführer Robert Howe, 50, beschreibt er, wie Bremerhaven seine Chance nutzen will. Die Pläne und Präsentationen, die dafür auf dem Konferenztisch liegen, schlagen die beiden gar nicht erst auf. Stattdessen gehen sie auf das Dach des segelförmigen Hotel- und Verwaltungsbaus und bieten einen Rundumblick bei Sonnenschein an.
Im Norden, neben den Fundamenten für die Windparks auf dem Meer, ragen vier stählerne Stelzen der Hubinsel "Thor" in die Höhe. Zur Beladung mit Anlagen und für die Montage auf See werden die Pfähle des Schiffes auf den Meeresgrund abgesenkt, damit es bei der Installation von Windturbinen oder Fundamenten stabil steht. Derzeit liegt die "Thor" am Kai in Bremerhaven, weil sie stärkere Motoren bekommt. Auch im Süden, am früheren Fischereihafen, fallen gelb lackierte Großbauteile auf. Es sind Windkraftfundamente und eine Stromsammelstation, die vom Unternehmen WeserWind gefertigt werden. Am anderen Ufer der Weser wächst eine neue Industrieanlage heran. Dort, im niedersächsischen Nordenham, baut das saarländische Stahlunternehmen Dillinger Hütte ein Komponentenwerk für die Offshore-Energiewirtschaft.
Mit dem Aufbau Tausender Windkraftwerke in der Nordsee und in der Ostsee soll die Energiewende in Deutschland in den kommenden zwei Jahrzehnten gelingen. Eine ganzjährig konstante Stromernte vom Meer, so die Hoffnung, wird den entscheidenden Teil dazu beitragen, Atom- und später auch Kohlekraftwerke weitgehend zu ersetzen. Damit dieses Jahrhundertprojekt Realität werden kann, müssen Häfen für völlig neue Anforderungen präpariert werden, müssen Industrieunternehmen neue Fabriken nah am Wasser bauen und Reedereien oder Baukonzerne neue Spezialschiffe in Dienst stellen. Für die Küstenregion ist das ein Konjunkturprogramm, wie es seit Jahrzehnten keines mehr gab. "Wir brauchen allein an der deutschen Nordseeküste mindestens vier Offshore-Basishäfen, wenn die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden sollen, bis zum Jahr 2030 gut 25.000 Megawatt Leistung in Windparks auf dem Meer installieren zu lassen", sagt Bremenports-Geschäftsführer Howe.
Intensiver als jede andere deutsche Hafenstadt hat sich Bremerhaven für das Windkraftgeschäft auf dem Meer vorbereitet. Seit mehr als zehn Jahren werben die Stadt und die städtische Wirtschaft um die Ansiedlung von Windkraft- und Stahlbauunternehmen. Mit Erfolg. Die Windturbinenhersteller Areva und Repower Systems bauten Fabriken für die Endmontage von Großanlagen im ehemaligen Fischereihafen, WeserWind schuf eine Fertigung für Offshore-Fundamente. Die renommierte Fraunhofer-Gesellschaft begründete in der Stadt ein Fachinstitut für die Windenergie. Vor Ort gibt es mittlerweile ein dichtes Netzwerk von Dienstleistern: für die Entwicklung von Windparks, für Testreihen an Windturbinen, die Ausbildung von Offshore-Mechanikern und vieles mehr.
"In den vergangenen zehn Jahren sind hier rund 3000 neue Arbeitsplätze für überwiegend hoch qualifizierte Tätigkeiten entstanden", sagt Bremenports-Geschäftsführer Banik. "Wenn wir unsere Pläne umsetzen, kommen in den nächsten fünf Jahren wohl noch einmal bis zu 4000 Arbeitsplätze hinzu." Für die Stadt, die vom Niedergang ihrer Werften und Fischereiwirtschaft schwer getroffen worden war, ist das ein großes Wort. Noch immer liegt die Arbeitslosenquote bei fast 15 Prozent.
Bremenports und die anderen Akteure der neuen städtischen Windkraftszene kalkulieren damit, dass in einem Radius von 200 Seemeilen - 370 Kilometer - von der Stadt entfernt jährlich gut 290 Windturbinen in den vielen geplanten Windparks installiert werden. In einem Umkreis von 300 Seemeilen wären es den Berechnungen zufolge gut 470 Anlagen im Jahr, weil auch ausländische Windparks in der Nordsee von Bremerhaven aus für die Montageschiffe gut zu erreichen wären, in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien und Dänemark. Bis 2016 will Bremenports ein neues, 180 Millionen Euro teures Offshore-Terminal für die XXL-Bauteile der Branche errichten und in Betrieb nehmen lassen. "Bremerhaven liegt optimal", sagt Banik. "Wir haben die Windparkbaufelder in der Nordsee quasi direkt vor der Haustür."
Es gibt nur einen Haken. Noch kommt die deutsche Offshore-Offensive an der Nordsee nicht wie erhofft in Gang. Mehr als zwei Dutzend Windparks in der Region sind genehmigt und baureif. Manche Investoren aber zögern, mit der Installation der Windkraftwerke zu beginnen - die Termine für die Landanschlüsse, die das Unternehmen Tennet an der Nordseeküste gewährleisten muss, sind ihnen nicht sicher genug. Zudem erscheinen die Kosten für die aufwendige Montage der Windturbinen auf See nach den ersten Erfahrungen nur schwer kalkulierbar.
Nordsee-Windparks in teils mehr als 40 Meter tiefem Wasser weit vor der Küste sind wirtschaftlich und technologisch die kompliziertesten Elemente der Energiewende. "Die Risiken sind erheblich", sagt Peter Terium, Chef des zweitgrößten deutschen Energieunternehmens RWE. Der Konzern baut mehrere Offshore-Windparks, auch in der deutschen Nordsee. Die ursprünglichen Ausbauziele der Bundesregierung - 10.000 Megawatt installierte Leistung bis 2020 oder 25.000 Megawatt bis 2030 - hält Terium nicht mehr für erreichbar. Die Pläne für den Offshore-Windpark "Innogy Nordsee 1" hat RWE einstweilen gestoppt. Der Aufbau des Windparks "Nordsee Ost" von Bremerhaven aus läuft langsamer, vorgeblich, weil der Landanschluss von Tennet nicht fristgerecht zur Verfügung steht.
Verzögerungen gibt es bei den deutschen Offshore-Windparkprojekten seit vielen Jahren. Doch mittlerweile stehen Milliarden Euro im Risiko, die Unternehmen und Finanzinstitute bereits in Ausrüstung und Anlagen investiert haben, in Windturbinen und Fundamente, Sammelstationen und Umspannwerke, Seekabel und etliche Errichterschiffe, in Hafenterminals und Krananlagen. Cuxhaven etwa erlebt derzeit einen Rückschlag. Das Unternehmen Bard schließt dort demnächst seine Fertigung für Offshore-Fundamente, weil Anschlussaufträge fehlen. Und der österreichische Baukonzern Strabag stornierte kürzlich seine Pläne, in der Küstenstadt eine 300 Millionen Euro teure Fabrik für Stahlfundamente und Spezialschiffe zu errichten.
Die Bremerhavener wollen eine solche Entwicklung verhindern, aber sie allein haben es nicht in der Hand. "Bislang ist das, was in Bremerhaven neu entstanden ist, großartig", sagt Banik. "Aber eine Erfolgsgeschichte ist es letztlich erst, wenn die Energiewende auf dem Meer auch wirklich umgesetzt wird." Er fährt zu einem Schwergutterminal des Bremer Logistikkonzerns BLG. Vier Windparks werden derzeit von der Stadt aus mit Fundamenten und Windturbinen versorgt, der größte ist das Projekt "Global Tech 1". Neben der "Thor" kommen die riesigen Errichterschiffe "Innovation" des Baukonzerns Hochtief und die "Victoria Mathias" von RWE regelmäßig an einen der beiden Offshore-Kais in der Stadt, um Bauteile zu holen. Bremenports investierte elf Millionen Euro allein dafür, den Hafenboden für die Aufständerung der Schiffe zu befestigen. BLG entwarf neue Transportsysteme, um die bis zu 900 Tonnen schweren Fundamente im Hafen und auf dem Terminal bewegen zu können.
Mehr als 30 Meter ragen die sogenannten Tripoden vom Terminal auf. "Die Politik fordert von den Unternehmen am Offshore-Markt, dass die Lernkurve schneller steigen soll", sagt Annette Schimmel, Leiterin der Abteilung für strategische Projekte bei BLG. "Wir können hier aus unserer täglichen Erfahrung heraus sagen, dass unsere Lernkurve ständig steigt. Der Umschlag der Fundamente läuft mit jedem Tag praktischer Erfahrung schneller."
Auch das Unternehmen WeserWind hat seine Lernkurve absolviert. Am Fischereihafen, einst die Basis der deutschen Fangflotte, etablierte sich das Unternehmen als führender deutscher Hersteller von Fundamenten und Sammelstationen für Offshore-Windparks. Vor zehn Jahren begann WeserWind, das zum Stahlkonzern Georgsmarienhütte gehört, in Bremerhaven als Vertriebsbüro für Windkraftkomponenten. Das Unternehmen baute Fertigungsstätten und eine Belegschaft von inzwischen 700 Menschen auf. Von der benachbarten Werft Schichau Seebeck übernahm WeserWind nach deren Insolvenz 200 Mitarbeiter und qualifizierte sie weiter. Seit Jahren schon produziert WeserWind Stahlbauteile für Windparks auf See. Doch derzeit erscheinen die Perspektiven unsicher.
"Der Blick in die nähere Zukunft macht gerade leider keinen so großen Spaß", sagt Marketingleiter René Surma, 44, auf dem Werksgelände unter einer mächtigen Stromsammelstation, die WeserWind für den Windpark "Borkum West" gebaut hat. "Im September ist Bundestagswahl. Zumindest bis dahin herrscht bei Investoren erst einmal Unsicherheit, unter welchen Bedingungen es bei den deutschen Offshore-Windparks weitergeht", sagt er mit Blick auf die Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland.
Bis zum Ende des Jahres habe seine Mannschaft noch Aufträge für die riesigen Stahlstrukturen. Bald müssen neue Orders hereinkommen. Auf den weitläufigen Flächen und in den Werkshallen liegen Bauteile, konisch geformte Röhren und maßgefertigte Stahlstreben. Es ist die Architektur einer neuen Ära der Energieversorgung. Seine Mitarbeiter seien hoch qualifiziert und motiviert: "Wir stehen mit der Offshore-Windkraft ganz am Anfang", sagt Surma. "Daraus können wir in den kommenden Jahren enorm viel machen."