Bei einem neuen Gesetz Ende Februar drohen Versicherungsnehmern hohe Verluste. Verträge kurz vor Auszahlung rasch prüfen lassen.
Berlin. Millionen Bürger, die mit Lebens- und Rentenversicherungen fürs Alter sparen, müssen bangen. Ihre Renditen sind seit Jahren im Sinkflug. Jetzt droht ein neuer Nackenschlag: Die Auszahlungssumme kann zusätzlich um zehn Prozent, also schlimmstenfalls um viele Tausend Euro niedriger ausfallen als erwartet.
Die Bundesregierung will den Versicherern erlauben, per Gesetz in circa 93 Millionen bestehende Verträge einzugreifen und die Beteiligung an den stillen Reserven drastisch zurückzufahren. Schlecht für die Kunden, aber hochprofitabel für die Versicherungsbranche. Ende Februar soll eine Entscheidung fallen. Was steht an und was können Betroffene tun?
Worum geht es?
Seit 2008 müssen Versicherer ihre Kunden mit 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligen, wenn der Vertrag am Ende ausgezahlt wird. Aus diesen Reserven speist sich unter anderem der Schlussüberschuss, also das Geld, das die garantierte Ablaufleistung oder Rente aufpeppt – und die Police erst lohnenswert macht. Stille Reserven oder Bewertungsreserven entstehen, wenn die Anlagen eines Versicherers, also etwa Immobilien, Aktien, Staatsanleihen, im Wert gestiegen sind und über dem Anschaffungspreis liegen. Auf ein Stückchen von diesem Kuchen hat der Kunde einen gesetzlichen Anspruch.
Was soll anders werden?
Im November 2012 hatte der Bundestag mit den Stimmen von Schwarz-Gelb ein neues Gesetz verabschiedet, wonach die Versicherer die Verteilung der Reserven kappen dürfen. Die Folge: herbe Einbußen für Verbraucher – um bis zu zehn Prozent, wie Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten erklärt. Die Versicherer könnten sich damit Milliarden sparen. Der Grund für das Gesetz: die angeblich schwierige Finanzlage der Branche. Der Bundesrat stellte sich jedoch quer. Eine Entscheidung wird für 26. Februar im Vermittlungsausschuss erwartet. Das letzte Wort hat der Bundestag. „Von einer Notlage kann in der Branche keine Rede sein“, betont Kleinlein. Die Unternehmen hätten 40,85 Milliarden Euro an Bewertungsreserven in den Büchern plus über 43,5 Milliarden Euro Gewinne. Das Gesetz sei „Pfusch“, sagt der Versicherungsexperte.
Wen trifft das Gesetz?
Nachteile hätte die Neuregelung für alle klassischen Produkte zur Altersvorsorge, also Kapitallebens- und private Rentenversicherungen, die meisten Riester- und Rürup-Verträge sowie betriebliche Absicherungen mit Entgeltumwandlung. Betroffen wären insgesamt etwa 93 Millionen Verträge in Deutschland. Jeder Bürger hält damit rein statistisch gesehen mindestens eine Police und mehr. Wie hoch das Extra-Geld am Laufzeitende ausfällt, ist auch nach jetziger Rechtslage ungewiss. Es hängt immer von der Bewertungsreserve und dem Finanzpolster des jeweiligen Versicherers ab. Und vom Verteilungsschlüssel an die einzelnen Kunden.
Was können Betroffene tun?
Auf keinen Fall Hals über Kopf kündigen, sagt Michael Wortberg von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Noch gebe es die Chance, dass das Gesetz in letzter Sekunde scheitert. Für langjährige Kunden könne es sich lohnen, bei der Versicherung nachzufragen, was sie bei sofortiger Kündigung bekämen – und was bei regulärem Ablauf nach neuer Gesetzeslage, rät Anke Puzicha vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Je nach Vertrag kann beim Ausstieg womöglich mehr Geld drin sein als später. „Viele können nicht viel tun, außer hoffen und sich bei ihrem Bundestagsabgeordneten massiv beschweren“, sagt Kleinlein.
Wann ist Handeln ratsam?
Kunden, die in den kommenden zwölf Monaten die Auszahlung ihrer Lebens- oder Rentenversicherung erwarten, sollten sich gezielt für das neue Gesetz wappnen und ihren Versicherer vorsorglich beide Varianten ausrechnen lassen, rät Wortberg. Gleiches gilt bei Policen, die eine „Abrufphase“ zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr vorsehen. „Damit können Betroffene ganz schnell reagieren, sollte etwa am 1. März das neue Gesetz kommen“, sagt Wortberg. So kurz vor Laufzeitende fällt die Strafe fürs Storno nicht mehr so drastisch hoch aus, dafür lassen sich die Bewertungsreserven noch voll mitnehmen. „Das kann in Einzelfällen 15.000 Euro mehr Geld bedeuten, immer vorausgesetzt, die Änderung kommt“, erklärt Wortberg. „Am besten wäre es natürlich, alles bleibt, wie es ist.“