Stromnetze zu schwach. Immer öfter Unterbrechungen. Millionenkosten für Kunden
Hamburg/Berlin. Die Windräder drehen sich, aber der Strom kann nicht zu den Verbrauchern transportiert werden: Die Zahl der Zwangsabschaltungen von Windparks in Deutschland hat sich binnen eines Jahres fast verdreifacht. Grund sind fehlende und unzureichende Leitungen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Beratungsunternehmens Ecofys im Auftrag des Bundesverbands Windenergie. Windstrom wird zum Beispiel vom Netz genommen, wenn bereits zu viel Energie in den Leitungen steckt und deshalb die Stabilität des Netzes gefährdet wäre. Im Jahr 2011 gingen auf diese Weise bis zu 407 Gigawattstunden (GWh) Windstrom verloren - so viel wie noch nie. Mit dem nicht eingespeisten Strom hätten etwa 116 000 Haushalte ein Jahr lang versorgt werden können. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 verwehten in Deutschland "nur" 150 GWh Windstrom.
Die Rechnung für die Windstrom-Verschwendung zahlen die Verbraucher. Da die Betreiber der Windanlagen für solche Produktionsdrosselungen von den Energiekonzernen entschädigt werden müssen, geben die Versorger diese Mehrkosten an ihre Kunden weiter. Die Folge ist ein Anstieg der Preise. So hat Hamburgs Marktführer Vattenfall angekündigt, dass er seine Tarife im Schnitt von Januar an um 12,9 Prozent erhöhen werde. Nachtstrom wird bei Vattenfall sogar um 21 Prozent teurer.
2011 mussten etwa im Norden die schleswig-holsteinischen Netzbetreiber E.on und Tennet rund 20 Millionen Euro an Betreiber von Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen in ihrem Netzgebiet bezahlen - ohne dass sie dafür auch nur eine Kilowattstunde Strom in die Leitungen aufgenommen haben. Denn in dem Bundesland wird auch wegen der Zunahme von Windrädern oft mehr Strom produziert, als vor Ort verbraucht wird. Die Weiterleitung in andere Länder ist aber häufig nicht möglich, weil dann auch die Hochspannungsleitungen überlastet sind.
Die Gesamtkosten für den nicht benötigten Strom betrugen 2011 nach Schätzungen aus der Windbranche bis zu 35 Millionen Euro. 32 bis 38 Prozent der Ausfälle entfielen auf das Gebiet des Verteilnetzbetreibers E.on Edis (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern). 23 bis 27 Prozent betrafen E.on Netz (Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen), neun bis zwölf Prozent entfielen auf E.on Westfalen Weser (Ostwestfalen-Lippe und Südniedersachsen) und acht bis zehn Prozent auf Schleswig-Holstein Netz. Es handele sich "in den meisten Fällen um ein regionales Problem des Verteilungsnetzes", heißt es in der Studie. Dies sind die unteren Netzebenen, die den Strom in Städten und Gemeinden bis zum Einzelhaushalt hin verteilen. Mit 26 GWh bis 48 GWh "verlorenem" Strom war erstmals aber auch das Höchstspannungsnetz des Übertragungsnetzbetreibers Tennet in größerem Maße betroffen.
Nach dem Entwurf des Netzentwicklungsplans sollen jetzt neue Höchstspannungsleitungen mit insgesamt 2800 Kilometer Streckenlänge gebaut werden, der Großteil entfällt auf drei neue "Stromautobahnen" von Nord nach Süd. Zudem werden 2900 Kilometer im Höchstspannungsnetz technisch aufgerüstet. Neben den Investitionen in neue Stromautobahnen sind laut einem noch unveröffentlichten Studienentwurf der Deutschen Energie-Agentur Ausgaben von 27,5 bis 42,5 Milliarden Euro für den Ausbau der regionalen Leitungen notwendig. Demnach könnten bis 2030 zwischen 159 200 und 214 000 Kilometer an neuen Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzen nötig sein, um den Wind- oder Solarstrom verteilen zu können.