Regierung wollte die Industrie vor den steigenden Stromkosten schützen. Daraus wird wohl nichts, wenn Berlin nicht zügig nachbessert.
Düsseldorf. Die Befreiung der großen industriellen Stromverbraucher von den Netzkosten droht vor Gericht durchzufallen. Zwar ließ das Düsseldorfer Oberlandesgericht die rückwirkende Befreiung am Mittwoch im Eilverfahren trotz massiver Bedenken passieren.
Mit Blick auf das Hauptverfahren sagte der Vorsitzende Richter Wiegand Laubenstein aber, das Gericht habe „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Befreiung“. Es fehle an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Sie sei zudem europarechtlich fragwürdig.
Die Befreiung hätte aus Sicht des Gerichts in einem Gesetz und nicht per Verordnung geregelt werden müssen. Die Kostenbefreiung sei eine Härtefallregelung, um die Wettbewerbsfähigkeit etwa der Papier-, Zement- und der chemischen Industrie angesichts steigender Energiekosten durch den Atomausstieg zu sichern. Das Gericht sei sich im Klaren, dass es um viele Arbeitsplätze gehe: „Das sehen wir.“
Eine vollständige Befreiung einer bestimmten Gruppe Stromverbraucher von den Netzkosten sei aber auch per Gesetz europarechtlich „schlecht darstellbar und begründbar“, weil die Regelung diskriminierungsfrei und kostenbezogen sein müsse.
Daher sei eine Minderung der Netzkosten für Großverbraucher eher denkbar als eine vollständige Befreiung. „Das sind natürlich auch alles Hinweise an den Gesetzgeber“, sagte Laubenstein. Im Hauptverfahren sind mehr als 160 Klagen von Netzbetreibern gegen die Netzkostenbefreiung anhängig.
Mit der Eilentscheidung als eine Art vorübergehender Duldung verschaffte das Gericht der schwarz-gelben Regierungskoalition einige Monate Zeit, um bis zur Entscheidung im Hauptverfahren nachzubessern.
Das Gericht ließ erkennen, dass es die Befreiung aus rein pragmatischen Gründen noch nicht gestoppt hat: Eine Rückabwicklung der rückwirkenden Befreiung hätte weitere erhebliche Verwerfungen verursacht und lediglich die Lasten auf die überregionalen Netzbetreiber verschoben. Allein für das Jahr 2012 gehe es um ein Volumen von gut einer Milliarde Euro, von dem sich die großen Stromverbraucher befreit sehen und das auf die kleinen umgelegt werden soll.
Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn sprach von einer „schallenden Ohrfeige für die schwarz-gelbe Bundesregierung“. Die Kostenbefreiung müsse nun zurückgenommen werden.
Zwei Netzbetreiber hatten sich in Eilverfahren gegen die rückwirkende Befreiung der Großkunden für das Jahr 2011 gewehrt (Az.: VI – 3 Kart 65/12; VI – 3 Kart 14/12). Die Befreiung verfälsche den Wettbewerb und schaffe den Fehlanreiz für einen erhöhten Stromverbrauch, um die Befreiungsschwelle von zehn Gigawatt im Jahr zu überschreiten, argumentierten sie.
Im Hauptverfahren wird das Oberlandesgericht am 6. März 2013 verhandeln. Die mit den Netzentgelten weitergegebenen Netzkosten machen für Privathaushalte etwa ein Fünftel des Strompreises aus. Energieintensive Unternehmen mit mindestens zehn Gigawatt Stromverbrauch sind rückwirkend seit 2011 von den Netzentgelten befreit.
Die Regierung will damit die Arbeitsplätze der energieintensiven Industrien vor den Kostensteigerungen durch die Energiewende schützen. Die übrigen Verbraucher werden dafür per Sonderumlage zusätzlich belastet.
Die energieintensive Wirtschaft pocht auf Erleichterungen beim Strompreis. „Deutschland hat weltweit fast die höchsten Strompreise“, hatte der Verband der Industriellen Energie-und Kraftwirtschaft betont. Eine Strompreissteigerung seit 2000 um etwa 126 Prozent habe die deutsche energieintensive Industrie an den Rand der Belastbarkeit gebracht.