Fast täglich geht in Deutschland eine neue Internet-Firma an den Start. Ein Experte erwartet für 2013, dass sich der Hype beruhigen wird.
Berlin. „Global funktionierende Software aus Berlin“ – das hat sich der junge Unternehmer Christian Reber zum Ziel gesetzt. Im Hinterhofbüro des Startups nennt er seine Firma 6wunderkinder in einem Atemzug mit SAP, dem größten Software-Konzern aus Deutschland.
Sechs Monate später wird gefeiert: Die Software Wunderkit soll zu einer neuen Plattform für die kreative Zusammenarbeit werden, internationale Investoren haben mehr als vier Millionen Dollar bereitgestellt. Wenige Monate später zieht die Firma die Reißleine: Reber räumt ein, „dass mit dem Produkt etwas nicht stimmt“.
So schnell tickt die Uhr der Gründerszene, zwischen Party und Business, Hype und Depression. „Die allermeisten Startups verschwinden wieder“, sagt Alexander Hüsing vom Szeneportal „deutsche-startups.de“. „Die Erfahrung des Scheiterns ist Teil der Kultur.“ Etliche Unternehmer geben dann auf, suchen sich einen Arbeitsplatz als Angestellte. In den USA sei das anders, da werde einfach ein neues Projekt aufgezogen, wenn es beim ersten oder zweiten Mal nicht funktioniert habe, erläutert Hüsing. „Da müssen wir in Deutschland daran arbeiten, dass Scheitern kein Makel mehr ist.“
Erfolgreiche Startups profitieren davon, dass im Netz „die Akquise von Neukunden und damit das Wachstum sowie die Wertsteigerung von Firmen schneller denn je möglich“ sei, erklärt der Münchener Internet-Unternehmer Steffen Reitz, Gründer und Geschäftsführer der smarchive GmbH. Was für traditionelle Unternehmen ein aufwendiger Vertrieb gewesen sei, werde bei den Internet-Startups von den Sozialen Medien und der Viralität erledigt: Was neu und interessant ist, spricht sich im Netz in Windeseile weltweit herum.
Das gilt auch für das Berliner Computerspiel-Startup Wooga. Drei Jahre nach seiner Gründung treibt der Entwickler gerade seinen nächsten großen Schritt voran: von „Social Games“ für Facebook hin zu Download-Spielen für mobile Geräte. „Wir wachsen weiter sehr schnell“, sagt der Gründer Jens Begemann. Wooga habe Jahr für Jahr seine Mitarbeiterzahl verdoppelt. Inzwischen arbeiten 250 Spieldesigner, Grafiker und Entwickler bei Wooga, meist in kleinen Teams von etwa zehn Personen, die unabhängig voneinander neue Spiele entwickeln.
Ständiges Brainstorming und Ausprobieren in kleinen Teams, Selbstausbeutung, Risikobereitschaft, flache oder gar keine Hierarchien sowie neue Organisationsformen wie das „Coworking“ mit anderen Projekten an einem Ort – das sind Kennzeichen der Startup-Kultur. Und diese ist für etablierte Unternehmen so reizvoll, dass sie Neugründungen von Unternehmen unter dem eigenen Dach einen Platz bieten.
„Inkubatoren“ heißen solche Förderprogramme wie „You Is Now“, eingerichtet von der Internet-Firma ImmobilienScout, einer Tochter der Deutschen Telekom. Etablierte Unternehmen müssten sehr wachsam sein, nicht von einem neuen Technologiesprung ins Abseits gestellt zu werden, sagt ImmobilienScout-Geschäftsführer Marc Stilke. „Die Startups konfrontieren uns mit frischen Ideen und geben unserer Unternehmenskultur den nötigen innovativen Spirit.“
Den Gründern helfen die Inkubatoren, weil es „in der ersten Phase von Unternehmensgründungen massiv an risikobereiten Investoren und erfahrenen Mentoren“ fehle, erklärt Reitz. Der Anbieter einer mobilen Dokumentenablage für Privatanwender, der am Dienstag eine Finanzierungsrunde mit einer siebenstelligen Summe bekanntgab, mochte dem Hype um die Berliner Startup-Szene nicht folgen: „München ist für Tech-Startups, die nicht E-Commerce machen und mit einer Hand voll Entwicklern auskommen, sicherlich attraktiver.“
Die Startup-Szene in Deutschland werde auf jeden Fall weiter lebendig bleiben, ist sich Szenebeobachter Hüsing sicher. Aber „im nächsten Jahr werden wir vermutlich eine leichte Delle bekommen. Da werden viele Startups Geld brauchen. Im Moment ist nicht klar, woher das kommen soll.“ Die zu erwartende Konsolidierung werde zu einer Beruhigung der Gründerlandschaft beitragen, erwartet Hüsing und fügt hinzu: „Weniger Party, mehr Business, das muss nicht schlecht sein.“