Über solche Zahlen würden die europäischen Nachbarn jubeln. Die deutsche Wirtschaft kühlt sich zwar ab, von Krise kann aber keine Rede sein.
Berlin. Europas Zugpferd verliert in der Schuldenkrise an Tempo. Die deutsche Wirtschaft wird kommendes Jahr zwar weiter wachsen, die Bundesregierung hat ihre Prognose aber von 1,6 auf 1,0 Prozent gesenkt. Von einem Wachstumseinbruch könne dennoch keine Rede sein, sagte Wirtschaftsminister Philipp Rösler am Mittwoch in Berlin. „Vieles spricht dafür, dass die Weltwirtschaft 2013 wieder an Schwung gewinnen kann. Dann dürfte auch in Deutschland die konjunkturelle Dynamik wieder anziehen.“
Für dieses Jahr rechnet die Regierung mit einem Plus von 0,8 Prozent. Als Risiko sieht sie weiter die europäische Schuldenkrise und die konjunkturelle Abschwächung in Schwellenländern wie Asien und Lateinamerika. Dies führe dazu, dass sich die Unternehmen bei Investitionen zurückhielten, erklärte Rösler. Deutschland durchquere stürmische Gewässer, die Wirtschaft sei aber in robuster Verfassung.
Davon profitieren auch die Arbeitnehmer: Die Kaufkraft wächst, die Entgelte der Beschäftigten steigen stärker als die Inflation, der Arbeitsmarkt bleibt stabil. Die Experten erwarten, dass die Bruttolöhne dieses Jahr um 2,8 und nächstes Jahr um 2,6 Prozent zulegen. Die Verbraucherpreise dürften in dieser Zeit um 2,0 Prozent (2012) und 1,9 Prozent (2013) zulegen, die Inflation würde damit in relativ ruhigen Bahnen verlaufen. Unterm Strich heißt das: Die Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche.
Die Zahl der Arbeitslosen wird der Prognose zufolge im Schnitt um 86 000 in diesem Jahr sinken und um 30 000 im nächsten Jahr wieder ansteigen. Die Regierung rechnet in beiden Jahren im Schnitt mit 2,9 Millionen Arbeitslosen.
„Angesichts der weiterhin sehr guten Verfassung des deutschen Arbeitsmarktes und der positiven Entwicklung der Kaufkraft wird der private Konsum weiterhin die primäre Wachstumsstütze bleiben“, betonte Rösler. Aber nicht nur die europäischen Krisenländer, auch Deutschland müsse seine Hausaufgaben machen und Wachstumhemmnisse beseitigen.
Der FDP-Chef appellierte erneut an die Länder, den Weg für die beschlossenen Steuersenkungen – die Erhöhung des Grundfreibetrages und den Abbau der kalten Progression – freizumachen. Außerdem müssten die Rentenbeiträge wie geplant zum 1. Januar sinken.
Als weiteren Schritt zur Stärkung der Kaufkraft forderte er die Abschaffung der Praxisgebühr und eine Reform der Ökostromförderung. Ohne den Anstieg der Erneuerbare-Energien-Umlage könnten Realeinkommen und Realkonsum im nächsten Jahr noch einmal um 0,2 Prozentpunkte höher liegen, betonte Rösler.
Die führenden Forschungsinstitute hatten bereits vergangene Woche ihre Vorhersage für 2013 auf 1,0 Prozent halbiert. 2011 war die deutsche Wirtschaft noch um drei Prozent gewachsen. Rösler sieht den Hauptgrund für die Konjunkturdelle in der Verunsicherung der Unternehmen, die sich aber nach seiner Überzeugung schon bald legen könnte.
So werden die Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr zwar um 3,6 Prozent sinken, für 2013 wird aber bereits wieder mit einem Plus von 1,7 Prozent gerechnet. Beim Export ist im Winterhalbjahr zwar eine leichte Abkühlung zu erwarten. Trotzdem dürfte es nach Ansicht der Regierung ein Plus von 4,1 Prozent in diesem und 4,4 Prozent im nächsten Jahr geben. Die Importe entwickeln dieses Jahr mit plus 3,2 Prozent moderat, nächstes Jahr wird eine Steigerung von 5,1 Prozent erwartet.