Weibliche Führungskräfte bleiben selten. Daran haben unzählige Initiativen wenig geändert. Dabei gibt es viel versprechende Ausnahmen.
Als Peter Löscher im Sommer 2007 als Chef von Siemens antrat, lag ihm neben den notwendigen Aufräumarbeiten in dem von der Korruptionsaffäre geschüttelten Konzern noch ein ganz anderes Dilemma besonders am Herzen: Das Management des Unternehmens sei „zu weiß, zu deutsch, zu männlich“, klagte der Österreicher in aller Öffentlichkeit – und räumte dem Thema Vielfalt fortan eine Topposition auf seiner strategischen Agenda ein. Es wurde eigens eine Chief Diversity Managerin berufen, um von höchster Ebene aus die Karrierechancen von Frauen und Ausländern innerhalb des Konzerns zu verbessern.
Der Konzernchef bewies mit seinem Ansatz, das Thema „Diversity“ weit oben im Unternehmen aufzuhängen, ein gutes Gespür dafür, wie man den Frauenmangel in der Wirtschaft wirklich sinnvoll begegnen kann. So entwickelt sich laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey der Frauenanteil besonders in den Unternehmen positiv, in denen sich die Konzernspitzen höchst persönlich des Themas annehmen und die Fortschritte von Diversity-Programmen überwachen.
Bei 86 Prozent der untersuchten Unternehmen, die die Verbesserung der Geschlechtervielfalt als eins der drei wichtigsten strategischen Themen ansehen, beträgt der Frauenanteil im Topmanagement mehr als 15 Prozent – und damit mehr als allgemein üblich. Bei Unternehmen, die das Thema gar nicht auf der Agenda haben, erreicht nicht einmal jedes zweite (49 Prozent) einen vergleichbar hohen Anteil weiblicher Führungskräfte auf dem höchsten Hierarchielevel.
„Nur wenn die CEOs und Aufsichtsratschefs Diversity ganz oben auf ihre strategische Agenda setzen und dies aus Überzeugung tun, haben wir eine reelle Chance, den Frauenanteil in Toppositionen wirklich spürbar zu erhöhen“, resümiert entsprechend Claudia Nemat, Direktorin bei McKinsey. Die Studie, für die weltweit 1500 Vorstände und andere Manager aus verschiedenen Branchen befragt wurden, liegt der „Welt“ vor.
Vor allem aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels diskutieren Vertreter aus Politik und Wirtschaft bereits seit einigen Jahren verstärkt darüber, wie man die ungenügend ausgeschöpfte Ressource weiblicher Fachkräfte besser nutzen und mehr Frauen in Führungsposten bringen kann. Viel getan hat sich bislang nicht, sodass selbst CDU-Politiker inzwischen laut über die Einführung einer gesetzlichen Quote nachdenken. Die Deutsche Telekom etwa schaffte im Frühjahr Fakten und erhöhte eigenhändig den öffentlichen Druck auf die eigene Personalpolitik: Bis 2015, so die Zielsetzung des Managements, soll der Anteil weiblicher Führungskräfte konzernweit auf 30 Prozent steigen.
Handlungsbedarf besteht zweifellos, denn auch im Jahr 2010 sind die Führungsetagen deutscher Unternehmen noch fast ausschließlich in Männerhand. Wie die McKinsey-Studie ergab, konnten Dax-Unternehmen ihren Frauenanteil in den Aufsichtsräten seit 2007 um gerade einmal zwei Prozentpunkte auf 13 Prozent steigern. Klassenprimus Norwegen führt das Ranking mit einem Frauenanteil von 32 Prozent an – was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Skandinavier vor zwei Jahren eine gesetzliche Frauenquote für die Kontrollgremien börsennotierter Konzerne einführten.
Überraschender ist dagegen, dass sogar das für seine ausgeprägte Machokultur berüchtigte Spanien mehr Dynamik bei der Frauenpräsenz an allerhöchster Stelle verzeichnet als Deutschland: Hier legte der Anteil an Damen in Aufsichtsräten der größten börsennotierten Konzerne immerhin um sechs Prozentpunkte auf zehn Prozent zu – was Experten auch damit erklären, dass das Thema Vielfalt dort schon früher als hier öffentlich diskutiert wurde und entsprechend der Druck auf die Unternehmen spürbar gestiegen ist. In Vorstandsetagen bringen es die 35 größten börsennotierten Unternehmen des südeuropäischen Landes heute immerhin auf einen Frauenanteil von sechs Prozent. Hierzulande sind es dagegen magere zwei Prozent.
Das Schneckentempo, mit dem sich der schon aus demografischen Gründen dringend erforderliche Vormarsch der Frauen vollzieht, ist umso erstaunlicher, weil sich die Mehrheit der Manager heutzutage durchaus der Wichtigkeit des Themas bewusst ist. De facto sind 62 Prozent der von McKinsey befragten Vorstände davon überzeugt, dass Unternehmen mit gemischtem Führungsteam bessere Betriebsergebnisse erwirtschaften als solche mit rein männlichen Vorstandsriegen. Dennoch haben nur acht Prozent der befragten Unternehmen eine Verbesserung der Geschlechtervielfalt als eins von drei Topthemen auf die strategische Agenda gesetzt. 20 Prozent sehen die stärkere Beteiligung von Frauen in den Führungsetagen immerhin als eines von zehn Managementprioritäten an. Jedes Dritte Unternehmen dagegen hat das Thema überhaupt nicht im Blick.
McKinsey-Direktorin Nemat zufolge offenbart dieser Widerspruch sehr gut das Dilemma, in dem Teile der deutschen Wirtschaft derzeit stecken – noch. „Viele hochrangige Manager sind heute durchaus überzeugt davon, dass es wichtig ist, mehr Frauen an die zentralen Schaltstellen der Unternehmen zu bringen“, so Nemat. Die Einsicht sei allerdings oft noch nicht so tief verankert, dass die Betroffenen wirklich alle Hebel bedienen würden, um das Problem zu beheben. Zudem seien Vorurteile, denen zufolge es einfach nicht genug qualifizierte Frauen gebe und zudem ein Großteil potenzieller weiblicher Kandidaten gar keine Karriere machen wolle, noch immer weitverbreitet.
Neben dem sichtbaren Commitment der Konzernspitzen sind der Untersuchung zufolge noch zwei weitere Instrumente besonders erfolgversprechend, um den Anteil weiblicher Topmanagerinnen zu erhöhen – speziell auf Frauen zugeschnittene Trainingsangebote sowie Mentorenprogramme von erfahrenen Managern für jüngere Frauen.
Der Softwarekonzern SAP etwa, in dem heute fast 30 Prozent Frauen arbeiten und wo jüngst mit Angelika Damman auch ein weibliches Vorstandsmitglied Einzug hielt, baut auf derlei Maßnahmen: Weibliche Mitarbeiter können dort beispielsweise über eine Internetplattform Mentoren suchen; sogenannte Gender Awareness Interaktionstrainings richten sich speziell an weibliche Führungskräfte. In verschiedenen Aufbauworkshops können diese darüber hinaus ihr Durchsetzungsvermögen und ihr eigenes Marketing verbessern.
Gerade bei der PR in eigener Sache haben Frauen offenbar auch in ihren eigenen Augen großen Nachholbedarf: 38 Prozent der von McKinsey befragten Managerinnen halten die im Vergleich zu den männlichen Kollegen oft miserable Selbstvermarktung für eines der größten Karrierehindernisse für Frauen – nach der Doppelbelastung durch familiäre und berufliche Verantwortungen und der auf Präsenz und Dauererreichbarkeit basierenden Arbeitsmodelle, die nach wie vor gang und gäbe sind.