Die Bundesnetzagentur hat dutzende 0137-Nummern gelöscht, weil der Inhaber Anrufer abzockte. Welt Online spürte dem Schmarotzer nach.

Alles begann mit dem Barbier von Sevilla, der Oper von Gioachino Rossini. Die ersten paar Takte der Overtüre sind der Klingelton meines Handys. Vielleicht ist es auch die ganze Overtüre, oder auch die komplette Oper, ich habe mein Handy noch nie durchspielen lassen, sondern immer sofort abgehoben. Doch diesmal hatte ich keine Chance. Nach dem ersten „Dadadadida“ brach der Ton ab. Verbindung unterbrochen, nach einer halben Sekunde, vor dem Abheben. Also kann ich ja zurückrufen, dachte ich, die Nummer stand auf dem Display, ich brauchte nur den grünen Antwort-Knopf zu drücken. Ich rief nicht zurück. Der Anrufer hatte einen Fehler gemacht. Ich war gewarnt. Doch dazu später.

Es war ein „Ping-Anruf“, wie er in der Fachsprache heißt. Wenn Verbraucherschützer über Telefonabzocke reden, oder die Leute von der Bundesnetzagentur. Oder Richter und Staatsanwälte, denn die sind inzwischen auch ab und zu mit „Ping-Anrufen“ befasst. Der Trick ist einfach: Jemand, der ohne Arbeit schnell viel Geld verdienen will, besorgt sich eine Nummer, die mit 0137 anfängt, und muss nun dafür sorgen, dass ihn möglichst viele Menschen anrufen. Für jeden Anruf kassiert er zwischen 14 und 50 Cent. Hat er sogar eine 01377-Nummer, kommt gleich ein Euro herein. Auch das ist noch kein großer Betrag, doch wenn ein paar tausend Menschen bei ihm anrufen, hat sich der Trick bereits bestens gelohnt.

Die Anrufer werden am Telefon mit der Auskunft belohnt: „Ihr Anruf wurde registriert“. Das perfide daran: Kaum ein Geschädigter schlägt wegen 14 Cent oder einem Euro Alarm oder strengt gar eine Schadensersatzklage an. Es sei denn, er ärgert sich heftig wegen solch plumper Abzocke. Das war der Fall bei mir. Dies auch, weil ich vor einiger Zeit, als ich mein Auto per Anzeige verkaufen wollte und meine Handynummer angegeben hatte, von einem angeblichen Käufer keinen Anruf sondern eine SMS bekommen hatte: „Will Auto kaufen, bitte Rückruf: 0137…“


Auch ich rief damals nicht an, sondern antwortete mit einer Schimpfkanonade ebenfalls per SMS. Unsinnigerweise, denn was wird das den Gangster schon gekümmert haben, der nicht mit meinem alten Auto sondern sicher mit seinem geleasten Geschäfts-BMW über alle Berge fuhr. Nein, diesmal sollte die Sache systematischer angegangen werden: Eine Mitteilung über den Fall ging also per Email an die zuständige Bundesnetzagentur. Umgehend kam die Antwort: Danke, und man werde den Fall verfolgen.

Jetzt, eineinhalb Monate später dann die neue Email: Die Bundesnetzagentur hat die Nummer – aufgrund mehrerer Beschwerden – gelöscht, und alle Einzüge des Besitzers der Nummer aus dem letzten Monat für nichtig erklärt. Nur zu gerecht, erleichtert. Doch dann kam die Ernüchterung: Gelöscht wurde nicht die Nummer, nein die Nummern, wie der Anhang offenbarte. Der Telefon-Schmarotzer hatte sage und schreibe gleich 75 Nummern schalten lassen. Ganz offenbar weil er Millionen Nummern computerprogrammiert hatte anrufen lassen, und jeden Stau vermeiden wollte bei den zu erwartenden Rückrufen, die ihm – selbst wenn es sich nur um einen Bruchteil der „Beglückten“ handelte – einen schönen Schnitt bescherten. Abzocke im ganz großen Stil. Was geht in solchen Köpfen vor? Ist es da nicht ehrlicher, dem Großmütterlein von Angesicht zu Angesicht die Handtasche zu entreißen, statt so perfide im Dunkeln vorzugehen? Die Frage trieb mich um.

Freundlicherweise hat die Bundesnetzagentur nicht nur die Nummern gelöscht, sondern in ihrer Email auch den Namen hinter der Nummer mitgeteilt: LCA Holding Limited, Friedrichstraße 50. Nicht weit von der Redaktion entfernt. Warum also nicht mal vorbeischauen? Einfach mal dumm fragen, warum sie damals angerufen hätten. Mit der Bitte um Verständnis, man habe da nicht gleich zurückrufen wollen, weil es schließlich etwas gekostet hätte. Aber jetzt sei man ja da und könne über alles reden.

Suche nach einem Phantom

Beste Adresse, die Friedrichstraße, gleich am Checkpoint Charlie. Während meines Studiums der Firmennamen draußen kommen viele seriöse Menschen durch die Drehtür heraus, im Anzug oder Hosenanzug. Ob diese Herren oder Damen vielleicht? LCA Holding, Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitzende? Könnte doch sein, Telefonabzocker und Computerbetrüger sehen nicht aus wie die Panzerknacker. Draußen war allerdings kein Hinweis auf die Holding. Auch der Pförtner kennt sie nicht: „Fragen Sie mal im zweiten Stock. Da ist ein Büro, das eigentlich aus vielen Büros besteht, vielleicht dort.“ Auch im zweiten Stock kennt niemand LCA, obwohl zu dieser feinen Adresse doch eine Holding – klingt nach größerem Konzern-Konglomerat – besonders gut passen würde.

Zugegeben, ganz ehrlich hatte ich natürlich nicht erwartet, dass es sich um mehr als eine Briefkastenfirma handeln würde. Aber LCA scheint mir eine Briefkastenfirma ohne Briefkasten zu sein. Irgendeine Firma hier im Haus muss LCA also beherbergen, decken, als Untermieter; vor dem Zugriff bewahren. Aber welche? Dritter Stock: Nur noch eine einzige Firma, Fehlanzeige, nichts bekannt. Weiter oben dann gar keine Firma mehr, ganz plötzlich auch keine Menschen mehr, leere Flure, Berlins beste Adresse, exklusive Fassade – nur ein Potemkinsches Dorf? Offenbar zu teure Mieten. Es wird unheimlich.

Eigentlich will ich jetzt hier auch niemand mehr von der finsteren LCA Holding treffen, selbst wenn er mir freundlich die Tür öffnen und zum Plausch laden würde. Im Fünften Stock, endlich, dann wieder ein Büro: „Bundesbeauftragter für den Datenschutz“. Ob hier die Holding sitzt, hier in diesem Büro, im Tempel aller Verschwiegenheit? Würde es nicht passen? Nein, ausgeschlossen. Wohl auch nicht einen Stock höher wo die Berliner Sparkasse residiert. Laut Schild an der Tür mit einem Gebrauchtwarenhändler als Untermieter, was soll das nun wieder? Ich frage lieber nicht. LCA Holding bleibt ein Phantom. Wahrscheinlich operiert man sowieso längst aus den Bermudas, weil dort die 0137er Nummern gewiss auch billiger sind. Zurück in die Redaktion also, zur weiteren Recherche über die sogenannten „Ping-Anrufe“. Es ist schockierend.

Schockierend, weil ich da in der Berichterstattung über einen Prozess lesen muss, dass eine Firma aus der Telefonabzocker-Branche zum Beispiel mit einer einzigen Lockruf-Aktion eine Dreiviertelmillion 01377-Rückrufe einheimsen konnte, jeweils zu einem Euro, eine leichte Rechnung. Noch schockierender: Das Landgericht Osnabrück befand in dem Prozess, dass kein Betrug vorliege. Der Lockanruf sei ein Anruf wie jeder andere. In Celle meinte in einem anderen Verfahren sogar die Generalstaatsanwaltschaft: „Es ist nicht die Aufgabe des Strafrechts, sorglose Menschen von den Folgen ihrer Entscheidungen freizustellen“. Auch nicht bei arglistiger Täuschung?

Oberlandesgericht ermittelt wegen Betrugs

Immerhin: Das Oberlandesgericht Oldenburg befand, dass in solchen Fällen durchaus der Verdacht des Betruges vorliege und ließ wenigstens schon mal ein entsprechendes Strafverfahren zu. Dies auch, weil die Beschuldigten jenen noch durchtriebeneren Trick anwandten, auf den meine „LCA Holding“ in der Friedrichstraße wie bereits erwähnt nicht kam. Die Oldenburger gingen vor wie die wahren Profis. Und die machen den Zahlencode beim „Ping-Anruf“ so weit es geht unkenntlich. Sie geben ihre Rückrufnummer so ein, dass auf dem Display des Angerufenen vor der „0137“ erstmal die Einwahlnummer für Deutschland (+49) steht und die Null danach wegfällt. Es erscheint dann: +491377… Dass es sich um eine 0137-Nummer handelt ist nun erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Allein: Unser allzu schlaues Handy oder Festnetzgerät führen uns, wenn wir nun die grüne Antwort-Taste drücken, dennoch zielsicher auf die 0137-Nummer. Und wir zahlen. Und die kassieren. Millionen.

Bisher dachten wir ja immer, die plumpen Wettaktionen unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens seien schon schlimm genug. Wenn uns etwa bei ARD oder ZDF beim Champions-League-Spiel mit Schalke 04 alle zehn Minuten jemand eine Frage stellt nach der Art: Wie heißt der Schalke-Torwart: Manuel Neuer oder Sepp Maier? Wenn wir das Luxusauto gewinnen wollten, mögen wir bitteschön unter der Nummer 0137… die richtige Antwort durchsagen.

Natürlich redet der Reporter in den Minuten nach Einblendung der Nummer nur noch von den Qualitäten des Schalke-Torwarts Neuer – und „verplappert“ sich anschließend: Er dürfe nur so viel sagen: Sepp Maier sei es nicht. Was man unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zugute halten muss, auch wenn solche Telefon-Abzocke angesichts von acht Millionen Euro Gebühren pro Jahr plus horrender zusätzlicher Werbeeinnahmen fast schon anrüchig ist: In kleinem Schriftzug auf dem Bildschirm werden alle spendablen Menschen, die nun anrufen, über die Kosten eines solchen Telefonanrufes aufgeklärt. Das immerhin unterscheidet ARD und ZDF von LCA Holding Limted.

Bleibt noch die Frage, was Ping-Halunken in ihre Niedertracht investieren müssen: Was kostet es eigentlich, eine 0137-Nummer einrichten zu lassen? Ein Anruf also bei der Bonner Firma, die der LCA-Holding die Nummer verkaufte, und von der mir die Bundesnetzagentur freundlicherweise auch den Namen mitteilte. Im Internet finde ich die Telefonnummer heraus. Es meldet sich eine Stimme, offenbar vom Band, die irgendwie „Willkommen“ sagen will, aber nach „Willko…“ schon abbricht. Ähnlich kurz, wie mein „Barbier von Sevilla“. Ich versuche es nochmal, und nochmal, nach einer halben Stunde noch ein paar Mal, immer mit demselben Ergebnis. Dann schaue ich, ob die Nummer überhaupt stimmt. Sie stimmt. Aber ich sehe nun auch den Hinweis daneben: „Festnetz 14 ct/Min, max. 42 ct/Min. aus dem Mobilfunk“.

Quelle: Welt Online