Beispielloser Boom des Web-TV: Jährlich werden vier Millionen internetfähigen Fernseher erwartet. Nicht nur für Hersteller ein großes Geschäft.
Das Internet kommt ins Wohnzimmer. Immer mehr Fernsehgeräte werden in den nächsten Jahren in der Lage sein, Web-Inhalte auf dem Bildschirm wiederzugeben. Marktforscher erwarten hier einen in der Branche bislang ungekannten Boom. Dieser Trend dürfte nicht nur für Gerätehersteller und Inhalteanbieter ein großes Geschäft werden. Die Entwickler von Programmen (Apps) zum Betrachten der Filme auf dem Fernseher werden von den Betreibern der konkurrierenden App Stores heftig umworben und mit hohen Preisen geködert.
So hat etwa Samsung jetzt bei der „Smart TV Challenge“ Preise im Gesamtwerk von einer halben Million Euro ausgelobt. Denn die Hersteller wissen: Nur mit attraktiven und einfach zu bedienenden Apps, wie wir sie vom Smartphone kennen, macht das Surfen auf der Wohnzimmercouch Spaß. Zwischen den Geräteherstellern tobt ein harter Wettbewerb: Panasonic, Philips, Samsung und Sony entwickeln zurzeit eigene, nicht kompatible Systeme, um das Internet auf dem Fernsehbildschirm nutzbar zu machen.
Das Surfen auf dem mit WLAN oder LAN-Kabel verbundenen und mit der entsprechenden Software ausgestatteten Fernseher ist denkbar einfach: Der Nutzer klickt mit der Fernbedienung das Symbolbild (Widget) eines Diensteanbieters an. Und schon startet der Film.
Videokonsum der Deutschen boomt
Der Videokonsum der Deutschen boomt. Einer Studie des Marktforschungsinstituts comScore zufolge, haben im Juni die 46 Millionen Online-Video-Nutzer in Deutschland etwas mehr als neun Milliarden Videos abgerufen. Jeder Besucher betrachtete durchschnittlich 196 Videos. Im Vergleich zum vergangenen Jahr bedeute das einen Zuwachs von 24 Prozent, so die Studie. „Deutschland ist einer der am stärksten wachsenden Märkte in Europa“, sagt Mike Read, comScores Europa-Geschäftsführer.
Als einen Grund für das steigende Interesse am Videokonsum hat Unternehmensberater Jürgen Sewczyk von der Deutschen TV-Plattform, einem Zusammenschluss von Programmanbietern, Geräteherstellern, Forschung und Politik, die steigende Zahl der Breitbandanschlüsse ausgemacht. 26 Millionen Anschlüsse werde es Ende 2010 geben, 28,5 Millionen Ende 2011. Die Mehrzahl werde über eine Bandbreite zwischen zwei und zehn Mbit/s verfügen. Bereits ab drei Mbit/s sei der Empfang von Bewegtbildern in HD-Qualität möglich.
Auch die Zahl der internetfähigen Fernseher steigt. Im vergangenen Jahr wurden 500.000 Hybridfernseher verkauft, 2010 werden es zwei Millionen sein und 2011 sechs Millionen. Auch danach würden jährliche Wachstumsraten von vier Millionen Geräten erwartet, sagt Sewczyk. Im Durchschnitt kann mit jedem vierten neuen Gerät eine Verbindung zum Web hergestellt werden. Marktführer Samsung spricht sogar von 40 Prozent.
Und: Die Käufer nutzen die neuen Möglichkeiten. Jeder zweite Besitzer eines solchen Geräts gehe damit auch ins Internet. „Dass eine neue Technologie so schnell akzeptiert wurde, hatten wir noch nie im Bereich Consumer Electronics“, erinnert sich Sewczyk.
Onlinehandel hat großes Potenzial
Internetfernsehen ist ein Riesen-Markt: Studien erwarten, dass mit dem Abruf von Filmen aus dem Internet (Video on demand) schon im Jahr 2015 etwa 100 Millionen Euro erwirtschaftet werden. Personalisierte Werbung auf dem cookietauglichen Fernseher könnte Prognosen zufolge 200 Millionen Euro einspielen. Das große Geschäft könnte jedoch mit e-Commerce gemacht werden – also dem Onlinehandel, den Sewczyk mit fünf Milliarden Euro kalkuliert. „Das hat ein sehr, sehr großes Potenzial“, sagt er.
Damit sich Internetfernsehen am Markt durchsetzt, muss eine Grundvoraussetzung erfüllt sein. „In der überwiegenden Zahl der Haushalte muss der Fernseher funktionieren wie schon immer“, sagt der Unternehmensberater. Ohne langwieriges Booten, ohne Updates, ohne lahmes Betriebssystem, ohne Viren und andere Cyberspace-Attacken. Auch die Navigation müsse einfach sein. Die Leute wollen seiner Meinung nach nicht mit einer Computertastatur auf der Wohnzimmercouch sitzen.