Immer mehr Unternehmen, wie Air Berlin, bevorzugen Anleihen statt Bankkredite, um sich mit frischem Kapital zu versorgen.

Erstmals will sich Jürgen Gutekunst keinen Kredit bei der Bank holen. Er leiht sich das Geld lieber direkt bei Anlegern. Der Unternehmer aus dem Südschwarzwald plant mit seiner Rena GmbH die Platzierung einer Anleihe an der Stuttgarter Börse. Einen "höheren zweistelligen Millionenbetrag" habe er anvisiert. Die Summe will er noch im Dezember einsammeln. Die Rena GmbH baut mit 1150 Mitarbeitern Produktionsanlagen für die Solarindustrie.

Damit folgt das Unternehmen einem Trend der vergangenen Wochen. Solarwatt, Schneekoppe, Air Berlin - alles Mittelständler, alle drängte es an den Kapitalmarkt. Zwischen zehn und 200 Mio. Euro sammelten sie bei Gläubigern ein. An Nachfrage nach den Papieren mangelte es nicht. Ausgestattet mit Zinskupons zwischen sechs und neun Prozent, griffen vor allem Privatanleger und Vermögensverwalter zu. Teilweise dauerte es nur wenige Stunden, bis das Angebot vollständig vergriffen war.

"Der ein oder andere Mittelständler hat in den vergangenen Monaten gespürt, dass er mit seinen Kreditwünschen bei Banken auf Zurückhaltung stößt", sagt Dirk Elberskirch, Vorstandschef der Börse Düsseldorf. Viele Kreditinstitute seien vorsichtiger geworden, entsprechend schauten sich auch kleinere Unternehmen am Kapitalmarkt um. Die Düsseldorfer Börse will an dieser Entwicklung mitverdienen. Ein neues Börsensegment mit dem Namen "Der Mittelstandsmarkt" wurde am Donnerstag vorgestellt. Mindestvolumen pro Anleihe zehn Mio. Euro, Verkaufsprospekt, Unternehmensrating und Zusatzinformationen im Internet sollen ein gewisses Maß an Transparenz und Sicherheit für Anleger bringen. Im Frühjahr sei mit den ersten Anleihen zu rechnen, so der Börsenchef. Eine Prognose, wie viele es 2011 insgesamt werden könnten, wagt er nicht.

Die Düsseldorfer eifern damit dem Konkurrenten aus Stuttgart nach. Dort wird bereits unter der der Marke "BondM" ein solches Segment angeboten. Das Mindestvolumen ist mit 25 Millionen Euro etwas höher, sechs Unternehmen haben seit September ihre Papiere platziert. "Bis Jahresende werden wir zweistellig sein", sagt Christoph Lammersdorf, Vorsitzender der Geschäftsführung der Börse Stuttgart. Er geht fest davon aus, dass sich diese Entwicklung im nächsten Jahr fortsetzen wird. Allein schon, weil dann das von den Banken in der Vergangenheit gern vermittelte Mezzanine-Kapital, eine Mischung aus Fremd- und Eigenkapital, bei vielen Unternehmen frei wird. Neue Finanzierungsquellen müssen her.

Und noch ein Argument führt der Stuttgarter Börsenchef an: Die Zeiten, in denen sich Mittelständler ganz auf ihre Hausbank verließen, seien vorbei. "Unternehmen emanzipieren sich, wollen eigene Entscheidungen treffen", sagt Lammersdorf. Auch in kleineren Gesellschaften säßen mittlerweile ausgewiesene Finanzfachleute, die auch vor einer Börse nicht zurückschreckten.

Vermögensverwalter Johannes Führ sieht in Mittelstandsanleihen bereits eine neue Anlageklasse. "Dieser Anleihenbereich wird in den nächsten Jahren prozentual am stärksten wachsen", sagt Führ, der kürzlich einen eigenen Mittelstands-Rentenfonds (Wertpapierkennnummer A0YAYG) vorstellte. Darin befinden sich Anleihen bekannter Unternehmen wie Sixt, Hertz, Haniel oder Bosch. Das Nachholpotenzial ist aus seiner Sicht gewaltig. Die in den Aktienindizes für kleine und mittlere Unternehmen, MDax und SDax, gelisteten Gesellschaften hätten derzeit lediglich Anleihen im Volumen von knapp 70 Milliarden Euro ausstehen. Dagegen komme allein die Deutsche Telekom schon auf 36 Milliarden Euro.

Früher hätten sich nur Staaten und Banken Geld an den Anleihemärkten geliehen, dann seien große Industrieunternehmen, wie eben eine Telekom hinzugekommen, und nun werde sich diese Entwicklung nach unten fortsetzen, so Führs Prognose. "Die neuen Eigenkapitalvorschriften der Banken werden den gesamten Markt verändern", sagt Führ. Finanzinstitute würden zwar weiter Geld verleihen. Doch wenn Kredite mit mehr Eigenkapital abgesichert werden müssten, fielen viele als Hauptfinanzierer aus. Ob es wirklich so kommt, ist noch offen. Schon häufiger hatten Börsenbetreiber den Mittelstand als neue Zielgruppe ausgerufen.

Bei vielen Privatanlegern und Vermögensverwaltern verfängt die Idee. Dazu trägt bei, dass die Papiere mit einer geringen Mindestordergröße einfach über die Börse gekauft werden können. Während große Unternehmen ihre Anleihen nur in 50 000-Euro-Paketen abgeben, reicht hier meist ein Einsatz von 1000 Euro. Nicht nur Sparern, auch Fondsmanagern kommt dies entgegen. "Bislang kamen Fonds mit einem Volumen von 50 bis 100 Mio. Euro bei einer Anleihenplatzierung kaum an Stücke", sagt René Parmentier, Vorstand der Close Brothers Seydler Bank. Er berät Mittelständler. Für seine Kunden habe der Fokus auf die bislang vernachlässigte Zielgruppe einen zusätzlichen Vorteil: "Das Unternehmen spart rund ein Prozent Kupons bei Privatanlegern." Die großen Investoren sind offenbar kritischer.

Das verdeutlicht das Risiko vieler Mittelstandsanleihen. Die Unternehmensnamen klingen zwar vertraut und das Geschäftsmodell allzu oft plausibel, doch können Sparer nicht so tief in die Risikobewertung einsteigen wie Profis. Und auch das kleine Volumen bietet Gefahren. "Man muss Anleger klar darauf hinweisen, dass die Liquidität bei Mittelstandsanleihen nicht riesig ist", sagt Elberskirch von der Düsseldorfer Börse. Sind die Papiere einmal platziert, ist nicht sicher, dass der Käufer immer auch wieder einen Abnehmer findet, wenn er sich vor Laufzeitende von ihnen trennen will. Zwar stehen Handelshäuser wie Schnigge, das zuletzt Schneekoppe bei seiner Zehn-Millionen-Anleihe begleitete, bereit, um zwischen Käufer und Verkäufer zu vermitteln. Doch die Nagelprobe in schwierigen Marktphasen stehe noch aus, räumt Schnigge-Vorstand Florian Weber ein. In Stuttgart verweist man auf das höhere Mindestvolumen als in Düsseldorf, weshalb man einen fortlaufenden Handel garantieren könne.

Quelle: Welt Online