Brutale Szenen gab es bei der erfolgreichen Ballerspielserie “Call of Duty“ schon immer en masse. Doch die Neuauflage “Black Ops“ erschreckt selbst Hartgesottene.

Hank spricht laut, freundlich und schaut Gesprächspartnern direkt in die Augen. Sein Händedruck könnte einen Hamster töten. Noch vor der ersten Frage packt er den Interviewer fest an die Schulter, piekt mehrmals heftig auf dessen Brust ein und sagt: "Wenn wir damals nicht gekommen wären, sprächest du heute Russisch, mein Sohn."

Hank Keirsey war 24 Jahre lang bei der US-Army, kämpfte im Golfkrieg und lehrte Militärgeschichte an der Akademie West Point. Seit Jahren berät er die Videospieleindustrie. In Hunderten Gesprächen hat er den Machern der Kriegsspiel-Reihe "Call of Duty" erklärt, wie es im Feld wirklich zugeht. Diese Spiele des Konzerns Activision sind nicht irgendwelche: "Call of Duty: Modern Warfare 2" verkaufte im vergangenen Jahr über 20 Millionen Exemplare weltweit. Jetzt erscheint der neue Teil "Black Ops" und die im Internet viel geschaltete Werbung eines Händlers lautet: "Das brutalste Call of Duty aller Zeiten! Jetzt die ungeschnittene Version kaufen!" So etwas kommt derzeit gut an, im Moment wird auffällig aggressiv dafür geworben, wenn ein Spiel besonders hart ist.

"Black Ops" führt nach Vietnam, Laos, Kuba und in die Arktis. Nachdem der Zweite Weltkrieg und aktuelle Konflikte von den Vorgängerspielen als Thema abgegrast waren, entdeckt es die Jahre des kalten Krieges wieder. "Black Ops" sind verdeckte Operationen ("Ops" ist die Abkürzung für "Operationen") kleiner Elite-Einheiten. Keirsey, der über sein Alter nicht spricht, aber gerade erst Pensionär ist, war natürlich nicht in Vietnam. Er steht nun am Rande einer Presseveranstaltung, eine Nebenfigur aus dem richtigen, nicht-virtuellen Leben. Er hat mit vielen Vietnam-Veteranen geredet und den Spiel-Entwicklern ein Handbuch erstellt, worauf zu achten sei. Es wurde nicht immer beachtet.

"Das Ausmaß an Blut könnte man etwas mäßigen"

Die Szene, die der Presse vorgestellt wird, läuft so: Der Spieler nähert sich leise vom Wasser aus einem vietnamesischen Dorf. Etwa zehn Vietcong liegen in Hütten und schlafen. Man muss sich anschleichen und den ersten mit einem großen Messer die Kehle durchschneiden. Er röchelt, stirbt in seiner Hängematte. Dann folgen weitere. Die restlichen Hütten werden mit Plastiksprengstoff erledigt. Danach ist eine Szene im Hubschrauber zu sehen. Der Spieler fliegt über ein weiteres Hüttendorf und vernichtet es mit Raketen. Ob unter den Bastdächern Flakgeschütze standen oder Mütter, die gerade Brei kochen, bleibt der Fantasie überlassen.

Das alles könnte man wohlwollend als Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg verstehen. Den Vorspann des Spiels aber kaum noch. Man ist darin am Fluss Huong, 1968, wir rennen auf einen Vietnamesen zu, der am Ufer in einem Boot steht. Er zieht, aber der Spieler ist schneller. Unsere Kugel fliegt auf den Einheimischen zu, die Kamera mit, zur hartem Rock trifft sie auf die Stirn, der Kopf platzt, es spritzt zu allen Seiten.

Selbst Militärberater Keirsey stört so etwas. "Das Ausmaß an Blut könnte man etwas mäßigen", sagt er diplomatisch. Wenn einem in den Kopf geschossen wird, gebe es ein Loch, aus dem später irgendwann Blut sickert. Er weiß das, er hat so etwas gesehen. Hank kommt ins Grübeln: Einmal habe er ein Reh geschossen, da habe es einen kurzen blutigen Nebel gegeben, als der Schädelknochen geplatzt sei. Aber auch das war kaum zu sehen.

Geschmacklos, aber hervorragend programmiert

Fehlender Realismus ist nicht das einzige, was stören könnte. Nach jahrzehntelangen Debatten über medialen Chauvinismus, Verharmlosung des Krieges und dumme Action müssen wir jetzt wieder Bilder sehen, die Jean-Claude Van Damme wie einen Konfirmanden dastehen lassen. Als in den Achtzigern die Videofilmkultur diskutiert wurde, nannte man so was Ästhetisierung des Tötens, oder schlicht: Gewaltverherrlichung. Die schematische, idiotische Darstellung sozialer Klischees entschied damals auch über den Wert eines Films. Man sah in "Rambo I" ein Kunstwerk und in "Rambo II" peinlichen Unsinn.

Videospieler kennen solche Differenzen nicht mehr. Sie fühlen sich beleidigt, wenn das Gewaltargument kommt. Dabei könnten sie selbst Unterschiede wahrnehmen: Das große Konkurrenzprodukt zu Call of Duty, das Spiel "Medal of Honor" von Electronic Arts, kommt möglichen Lesarten als Erfahrungsbericht oder gar Kritik viel mehr entgegen. Es funktioniert ohne Hardrock und ohne die Ästhetik eines coolen Skatervideos. Als Studie über die Beklemmung, die ein Soldat in Afghanistan empfinden mag, wenn die vermeintlichen Verbündeten plötzlich doch Taliban sind, könnte es durchgehen. Doch genau dieses Spiel ist kein großer Erfolg.

"Call of Duty", dass alle Bedenken über Gewaltexzesse verhöhnt, wird sich besser verkaufen. Es ist geschmacklos, aber hervorragend programmiert. Der beinahe vergessene Rapper Kool Savas hat es gestern Abend beim Mitternachtsverkauf für Deutschland vorgestellt, weil er ein großer Fan der Reihe ist.

Nicht über Gewalt muss debattiert werden, sondern über Ekel

Mit ihrem Argument, dass Gewaltdarstellung weder Gewalt ist noch welche auslöst, hatten Spieler immer schon Recht. Diese nur in Deutschland verbissen geführte Debatte wurde von ihnen nie ernst genommen, weil sie so offensichtlich an dem Problem vorbeiredete. Nun aber könnte Zeit für eine Ästhetik-Debatte sein. Nicht über Gewalt muss debattiert werden, sondern über Ekel. Der Ekel-Diskurs könnte dann fragen, warum das Spiel mich zwingt, jede Kehle eines Schlafenden aufschlitzen.

"Darüber sollten die entscheiden, die es betrifft", sagt Keirsey zu solchen Bedenken. Er meint die Soldaten, die seiner Seite natürlich, die der USA. Die Jungs im Irak, berichtet er, lieben "Call of Duty". Sie kommen von der Patrouille zurück und spielen es im Lager, um sich zu entspannen. "Es kann also nicht so schrecklich sein wie die Realität." Einige sollen sogar ihre Xboxen vernetzt haben, um Strategien mit dem Spiel zu üben.

Keirsey ist Militärhistoriker, ihm geht es um Wahrheitsnähe. Er hat sich inzwischen den Block seines Interviewers gegriffen und zeichnet strategische Formationen auf. Im Fünfeck marschieren da die Punkte, Grenadier, Einheitskommandant, Maschinengewehrschütze. Von Kriegsfilmen hält Keirsey selten etwas. In "Heartbreak Ridge" oder "Der Soldat James Ryan" spazieren die Einheiten durchs Kriegsgebiet und unterhalten sich. "Das würde niemand tun. Außerdem fehlt die 360-Grad-Absicherung."

An der Spitze dessen, was technisch möglich ist

Akkurat ist aber auch das Spiel, das er beriet, nicht. In Vietnam fliegt man einmal einen russischen Hind-Hubschrauber. Der war erst ab 1972 im Einsatz und nicht dort. Dann springt der Spieler auch mal von einer Klippe mit dem Fallschirm ab. Hank schüttelt den Kopf. Zu gefährlich, wegen der Nähe der Felswand.

Aber es sieht - das zu unterschlagen wäre ungerecht - fantastisch aus. Überhaupt ist das Spiel hervorragend zu steuern, es steht an der Spitze dessen, was technisch möglich ist. Ausgerechnet das beste Videospiel ist in vielen seiner Bilder auch das hässlichste.

Solche Fragen bewegen Hank Keirsey nicht. Eigentlich bewegen Videospiele ihn sowieso kaum. "Einige Sachen sind wohl geschmacklos", sagt er. Dann verabschiedet er sich mit einem festen Griff. Umringt von Videospielern und PR-Agenten wirkt er wie ein freundliches Fossil. Dann will er noch etwas zeigen. "Hand stand push-ups", ob man auch wolle? Nein? Er zeigt es trotzdem: Schwingt sich in den Handstand, und macht in dieser Stellung Liegestützen. Er steht jeweils kurz auf dem Kopf, klatscht in die Hände, drückt sich wieder hoch. Die Videospieler stehen drum herum, mit offenem Mund, und kichern ratlos.

Quelle: Welt Online