Vor zehn Jahren ging Borussia Dortmund an die Börse – und die Aktie stürzte brutal ab. Doch die Fans halten dem Papier die Treue.

Am 31. Oktober 2000 ging Borussia Dortmund als erster und bis heute einziger Bundesliga-Club an die Börse. Sportlich waren die zehn Jahre ein spannendes Auf und Ab. Für die Aktie gab es dagegen nur eine Richtung: in den Börsenkeller. Das ist besonders hart, wenn man selbst Fan ist – wie der Autor. Er hat das traurige Tagebuch eines BVB-Aktionärs nachempfunden.

19. April 2000: Mein BVB will an die Börse gehen. Finanzexperten warnen zwar vor einer Zeichnung. Die haben aber im Gegensatz zu mir natürlich überhaupt keine Ahnung von Fußball. Natürlich kaufe ich wie jeder anständige Borusse BVB-Aktien. Erst den drohenden Abstieg in dieser Saison vermeiden, dann 150 Mio. Euro einnehmen – und künftig sehen uns die Bayern in der Tabelle nur noch von unten.

31. Oktober 2000: Ich bin Aktionär und stolzer Besitzer von 50 Aktien. Mit einem Startpreis von elf Euro pro Aktie geht der BVB an die Börse. Der Aktien-Bulle vor der Frankfurter Börse hat einen großen BVB-Fanschal um den Hals. Unser Präsident Gerd Niebaum sagt: „Der BVB ist nun einer der wohlhabendsten Sportvereine der Welt.“ Doch schon am ersten Handelstag zeigt der Markt Borussia Dortmund die gelbe Karte: Die erste deutsche Fußballaktie notiert bei 9,90 Euro. Ruhig Blut, sage ich mir, das Börsenumfeld ist immer noch in keiner guten Verfassung, schließlich ist gerade eine große Blase geplatzt.

15. November 2000: Die erste Ad-hoc-Meldung des BVB. „Stürmerstar Heiko Herrlich an Hirntumor erkrankt.“ Jetzt fühle ich mich schlecht. Was ist wichtiger – der Schutz der Intimsphäre des Spielers oder die schnelle Bekanntgabe kursrelevanter Fakten? War der Börsengang doch nicht die beste Idee und ein Verrat am Verein?

4. Januar 2001: Harte erste Monate. Schalke wurde vor drei Wochen Herbstmeister. Und meine Aktie befindet sich im Dauertief. Aber jetzt erholt sie sich. Warum auch immer, schließlich ist Winterpause. Innerhalb von nur drei Tagen steigt der Kurs von 7,11 auf 8,60 Euro.

19. Mai 2001: Schalke wird durch ein Last-Minute-Tor der Bayern am letzten Spieltag nicht Meister und muss die bereits begonnenen Feierlichkeiten abblasen. Wir werden Dritter und qualifizieren uns für die Champions League. Das dürfte der Aktie deutlichen Aufwind geben.

11. September 2001: Seit dem 22. August ist die Aktie auf 6,50 Euro gefallen. Warum denn nur? Wir sind doch für die Champions League qualifiziert, die Einnahmequelle für Vereine schlechthin. Langsam gewinne ich das Gefühl, dass sportlicher Erfolg kaum Auswirkungen auf den Aktienkurs hat.

12. September 2001: Nach den Anschlägen in New York denke ich das erste Mal an meine Aktien. Die gehen jetzt bestimmt noch weiter in den Keller.

15. Februar 2002: Oha, der Kurs ist wieder auf fulminante 6,50 Euro gestiegen. Langsam hilft wirklich nur noch Zynismus. Wenn der Trend insgesamt so weiter geht, hat sich der Kurs bald halbiert. Und sollte es nicht mal irgendwann eine Dividende geben?

Anfang Mai 2002: Einen Spieltag vor Schluss sind wir Tabellenführer. Der Kurs steigt von 4,90 auf 5,40 Euro. Die Meisterschaft wird das Aufbruchsignal für die Aktien werden.

4. Mai 2002: Deutscher Meister! Als ich nach der Meisterschaftsfeier wieder zu mir komme, ist der Kurs innerhalb von fünf Tagen von 5,33 auf 4,20 abgestürzt. Ich verstehe die Finanzmärkte nicht. Meine nicht ganz so fußballbegeisterten Freunde hielten den Kauf von BVB-Aktien gleich für eine dumme Idee – hätte ich bloß auf sie gehört.

Oktober 2003: Im Geschäftsjahr 2002/2003 steigert der Fußballverein den Umsatz auf 129,1 Mio. Euro und fährt einen Konzerngewinn von 3,3 Mio. Euro ein. Der Aktienkurs steigt trotzdem nicht.

Dezember 2003: Am 22.Dezember titelt die Süddeutsche Zeitung: „Borussia Dortmund vor dem Finanzcrash“. Jetzt denke ich nicht mehr an meine Aktien, sondern hoffe nur noch, dass das alles nicht stimmt. Der Aktienkurs sinkt binnen zwei Wochen von 3,60 auf drei Euro.

1. April 2004: Der Kurs steht bei 2,50 Euro. Ein Kursverlust von 81,8 Prozent. Grund: Der Verein ist fast pleite, immer wieder kommen neue Details ans Tageslicht. Was haben die Vereinsbosse bloß mit dem ganzen Geld angestellt?

26. September 2004: Der BVB führt eine Kapitalerhöhung durch, Hedgefonds-Manager Florian Homm wird großer Anteilseigner. Na herrlich, jetzt haben wir auch noch einen Finanzhai im Verein.

8. Oktober 2004: Bilanzpressekonferenz: Der BVB hat in der vergangenen Saison ein Minus von 67,7 Mio. Euro eingefahren. Dazu fällt mir nichts mehr ein.

17. Februar 2005: Der BVB erklärt in einer Ad-hoc-Mitteilung, er stecke in einer „existenzbedrohenden Ertrags- und Finanzsituation“. Allein im letzten Geschäftshalbjahr sei ein operativer Verlust von 27,2 Mio. Euro aufgelaufen. Falls Sanierungsmaßnahmen unterbleiben, droht bis Ende Juni ein Minus von 68,8 Mio. Euro. Damit wären zusammen mit bereits angehäuften Verlusten aus den Vorjahren – zum 30. Juni 2004 waren dies bereits 73,3 Mio. Euro – rund 79 Prozent des eingezahlten Kapitals der Aktionäre (179,5 Millionen Euro) aufgezehrt. Die Aktie bricht ein und notiert zeitweise unter zwei Euro, ein Minus von 25 Prozent gegenüber dem Vortag. Ich fühle mich hundeelend, hänge aber aus Trotz eine BVB-Fahne aus dem Fenster.

14. März 2005: Heute soll das Sanierungsprogramm verabschiedet werden. Im Vorfeld steigt der Kurs binnen zwei Tagen von 2,18 auf 2,51, die Handelsumsätze erreichen am 14. März ihren Höchststand. Das Konzept wird gebilligt, der BVB ist vorerst gerettet. Mir fällt eine zentnerschwere Last vom Fan-Herzen. Was aber macht der Kurs? Er fällt! Und zwar von 2,70 Euro im März auf 1,70 Euro im März 2008! Ich schwöre mir, den Aktienkurs jahrelang nicht mehr zu verfolgen. Es gelingt mit wenigen Ausnahmen.

18. März 2008: Sieg gegen Jena im DFB-Pokal-Halbfinale, wir sind erstmals seit Jahren wieder für den Uefa-Pokal qualifiziert. Bis zum 19. März steigt der Kurs auf 1,80 Euro, dann geht's wieder runter. Das typische Muster: Mit Blick auf sportliche Erfolge steigt der Kurs. Hat der BVB sie erreicht, geht es wieder runter.

2. Oktober 2008: Erstrunden-Aus im Uefa-Cup, 3:4 nach Elfmeterschießen gegen Udine. Der Kurs stürzt zwischen dem 1. und 10. Oktober von 1,43 auf 1,05 Euro. Ich erinnere mich an einen Ruhrpott-Spruch, der auch öfter im Stadion fällt: „Haste Scheiße an den Füßen, haste Scheiße an den Füßen.“

9. Juli 2009: Das bisherige Allzeit-Tief von 84 Cent ist verreicht. Meine Aktien sind jetzt Pennystocks.

22. August 2009: Heimspiel gegen Stuttgart: Ich bin im Stadion. Kaufe mir eine Currywurst, die Würstchenverkäuferin verlangt 2,50 Euro. Frage sie zornig, was das in Aktien macht. Sie schaut mich verständnislos an.

17. Oktober 2010: Dortmund ist erstmals seit dem Jahr 2002 wieder Tabellenführer. Der Kurs steigt auf 1,82 Euro, die Aktie wird erstmals seit Langem wieder auch in bedeutenden Mengen gehandelt. Nach den miesen Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre kommt bei mir aber keine Euphorie mehr auf. Meinen Frieden habe ich mit meiner Anlageentscheidung dennoch getroffen. Die Aktien waren eine Investition in den Club. Hätte ich sie denn verkauft, selbst wenn ich Gewinne hätte machen können? Natürlich nicht. Ein echter Fan verkauft doch nicht die Aktien seines eigenen Clubs – er ist ein denkbar schlechter Anleger.

Quelle: Welt Online