Voller Körpereinsatz: Microsofts neue Kinect-Box lässt sich per Gestik und Sprache steuern. So soll man künftig auch Fernseher bedienen.
Arme und Beine werden scheinbar grundlos und auf groteske Weise verrenkt. Manche versuchen, den Moonwalk-Tanzschritt von Michael Jackson nachzumachen, andere scheinen sich aufs Bogenschießen vor dem Fernseher zu konzentrieren - jedoch ohne Pfeil und Bogen. So sieht es aus, wenn man Microsofts neue Xbox-Erweiterung Kinect ausprobiert, die es ab 10. November im Handel zu kaufen gibt.
Die Konkurrenz ist schon seit Längerem vorgeprescht: Nintendos Controller Wii ist seit vier Jahren auf dem Markt, Sony hat sein Move vor wenigen Wochen vorgestellt. Doch Microsofts Technik geht über die Steuerung mit einem Controller hinaus, die Spielfiguren auf dem Bildschirm werden über Arm-, Kopf-, Rumpf- und Beinbewegungen gelenkt. Weltweit könnte Microsoft von den flachen Kinect-Boxen zwei Millionen Stück verkaufen, schätzen Marktbeobachter.
Auf jeden Fall ist es als Spiel auf einer Party gut geeignet, da der Gastgeber kein weiteres Equipment bereithalten muss. Neben der Kinect-Box ist jedoch eine Xbox notwendig, am besten in der Version 360S, die es online ab 160 Euro gibt. Da niemand erst lernen muss, welche Tasten zu bedienen sind, sondern nur mit seinen ihm vertrauten Körperteilen steuern muss, lernt es jeder sofort.
Einige Spiele versprechen gute Unterhaltung
Zumindest theoretisch: Es ist nicht ganz einfach zu verstehen, wie der Spieler bei einem Rennspiel wie "Joy Ride" den Turbo zuschalten kann. Das geht nur, indem das imaginäre Lenkrad kräftig nach oben zur Brust gezogen und wieder nach vorn gestoßen wird. Zumal einige Spiele, neben "Joy Ride" zum Beispiel auch Tischtennis, einfacher mit Controller zu steuern wären als ohne. Einen Angriffsball mit Topspin zu schmettern, ohne etwas in der Hand zu halten, ist gewöhnungsbedürftig.
Fußball oder Boxen sind da schon besser geeignet, auch wenn die Bewegungen zuweilen sehr ausladend sein müssen. Einige für Kinect programmierte Spiele versprechen gute Unterhaltung, zum Beispiel das für Mitte November angekündigte "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" von Electronic Arts, aber auch die ab 10. November verfügbaren Titel sind größtenteils gut gemacht.
Grundsätzlich reagiert die Kinect-Technik sehr präzise und ausreichend schnell. Im Standfuß sind kleine Motoren integriert, die nach dem Einschalten die Box in die für exakte Umsetzung optimale Empfangsposition bringen. Der links angebrachte Sensor sendet Infrarotstrahlen in den Raum, die vom Körper des Spielers reflektiert und vom rechten Sensor erfasst werden. Etwa 20 Punkte am Körper identifiziert die installierte Software und erstellt daraus ein genaues Schema der Bewegung. Da die Kamera die Bewegungen aufnimmt, lassen sich Fotos und Videos der Aktionen speichern und per E-Mail an Freunde verschicken oder auf eine Plattform wie Facebook stellen.
Die Technik liefert Bilder von ausreichend hoher Auflösung. Bei den Fotos sind es 640 mal 480 Pixel, bei den Videos 30 Bilder pro Sekunde. Hinter einer Blende sind Mikrofone eingebaut. Darüber sollen Spieler zusätzlich die Figuren im Spiel steuern oder andere Befehle eingeben können. Außerdem kann eine Software aus den Klangaufnahmen ermitteln, in welchem Abstand sich die Spieler bewegen. Später wird das Programm sogar erkennen, welcher Spieler sich gerade zu Wort gemeldet hat. So identifiziert die Kinect-Box zum Beispiel, welcher Quizteilnehmer zuerst geantwortet hat.
Vor dem Fernsehgerät erfasst die Kinect-Box einen Raum von 1,2 bis 3,5 Meter Tiefe, der Spieler kann sich in einem Winkel von 60 Grad rechts und links und etwas mehr als 40 Grad nach oben und unten vor dem Bildschirm aufhalten. Eine außerhalb dieses Bereichs gemachte Geste wird nicht mehr erfasst.
Kinect-Box soll bald reale Gegenstände erkennen
Derzeit identifiziert Kinect zwei Spieler gleichzeitig, später sollen es sechs sein. Im Test hat die Technik zuverlässig erkannt, wenn ein zuvor angetretener Spieler wieder vor dem Bildschirm stand, und ihm seinen persönlichen Avatar zugewiesen. Der Avatar ist eine Figur, die den Spieler auf dem Bildschirm repräsentiert. Nur selten ist es zu Fehlinterpretationen bei den Bewegungen gekommen. Dann lenkt der Rennwagen in die falsche Richtung, oder die Bowlingkugel bekommt den falschen Spin.
Später soll die Kinect-Box noch deutlich mehr können, etwa reale Gegenstände erkennen und in das Spiel einbauen. Dann kann der Nutzer zum Beispiel den eigenen Golfschläger in die Hand nehmen und sich damit auf dem Fernsehbildschirm abschlagen sehen. Über Mikrofon und Kamera wird es zudem möglich sein, Videotelefonate zu führen sowie den Fernseher zu steuern. Mit kleinen Gesten stoppen Zuschauer dann den DVD-Player, starten eine Diashow oder klingeln auf Zuruf bei Tante Ilse durch - wenn der Fernseher mit dem Internet verbunden ist.
Konkurrenzprodukte weniger zukunftsfähig
So viel Zukunftsfähigkeit steckt in den Produkten der Konkurrenz nicht. Sonys Modell Move ist weiterhin eine Konsole für Spiele, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zum Set für 60 Euro gehören eine Eye-Kamera und ein Controller, bestehend aus einem Stab mit einer weißen Leuchtkugel am Ende. Die Kamera erfasst die Kugel und ermittelt daraus die Bewegungen sowie den Abstand zwischen Spieler und Kamera. Die Move-Technik erfasst die Beleuchtung und stimmt die Farbe der Kugelleuchte darauf ab, um sie möglichst gut erfassen zu können. Im Controller eingebaut sind ein Beschleunigungs- und Magnetsensor sowie ein Gyroskop, um die Bewegungen zu ermitteln.
Der Spieler steuert jedoch nicht nur über Gesten, sondern auch über vier kleine Tasten sowie einen großen Knopf am Leuchtstab. Dazu gibt es einen Abzug für Ballerspiele. Bei einigen getesteten Spielen ist die Bedienung über die Tasten durchaus sinnvoll, bei anderen umständlich und nur schwer nachvollziehbar. Bei schnellen Spielen kommt es zudem zu zeitlichen Verzögerungen, die den Spielspaß deutlich verringern. Darüber hinaus passt das klobige Kontrollgerät nicht auf jeden Flachbildfernseher.
Deutlich schlanker ist die Sensorleiste der Wii, die auf jedem TV-Gehäuse Platz hat. Viel Neues hat sich Nintendo für die Wii in den vergangenen Monaten nicht einfallen lassen, jedoch ein Patent für einen Vitality Sensor angemeldet. Ein Laserscanner soll den Blutfluss im Finger erfassen und so erkennen, ob der rote Farbstoff Hämoglobin stärker absorbiert wird. Wenn ja, steht der Spieler unter Stress. Das sollte er möglichst vermeiden, wenn er gewinnen will: Die virtuellen Figuren lassen sich nur sicher über den Parcours lenken, wenn die Atmung regelmäßig und der Spieler vollkommen entspannt ist.