Der Widerstand gegen Googles Street View scheint weniger groß als zunächst gedacht: Nur knapp drei Prozent der Betroffenen haben Einspruch eingelegt.

Die Hamburger Google-Zentrale ist in zwei Welten geteilt: Auf der einen Seite arbeiten die coolen Sales- und Marketingleute in farbenfrohen Büros mit Monitoren für Videokonferenzen. Bunte Sessel stehen auf den Fluren und alle 30 Meter gibt es eine Snack-Bar. Die Türen zur anderen Welt sind gewöhnlich verschlossen. „Eintritt verboten“, heißt es da. Alles fällt hier unter Datenschutz! Was dort auf den Tischen liegt, darf kein fremdes Auge sehen. Hier werden die 245.000 Anträge auf Verpixelung von Gebäuden aus 20 deutschen Städten bearbeitet. Zum ersten Mal gestattete der Internetkonzern jetzt WELT ONLINE einen Blick in das Allerheiligste der deutschen Street-View-Zentrale.

Street View ist eine Internetplattform, die Google Maps ergänzt, das Navigations- und Kartenwerk des amerikanischen Internetkonzerns. Dort sind Fotografien von Straßenzügen zu sehen, in denen der Betrachter hineinzoomen kann – alles Momentaufnahmen. Im August schlug die ungefragte Abbildung der Fassaden hohe Wellen. Bürger sahen ihre Persönlichkeitsrechte verletzt, fühlten sich ausspioniert. Politiker, die den Datenschutz untergraben sahen, fanden im Sommerloch viel Gehör. Und irreführende Meldungen, etwa der Dienst könne Werkzeug von Einbrechern werden, schürten die Angst. Binnen einer Frist, die am 15.Oktober endete, konnten Bürger Einspruch erheben und die Verpixelung ihrer Fassaden fordern.

Diese Einsprüche werden jetzt bearbeitet. „Das ist hier echte Handarbeit“, sagt Sophie Motylski, die Leiterin der Hamburger Einspruchsabteilung. Eine Maschine schlitzt Briefe auf. Eingangsstempel klacken auf die Schreiben, Aktenordner werden in Schränke geräumt, Postkisten herumgetragen. So also arbeitet der weltgrößte Internetkonzern? Hier fühlt sich der Besucher in die Amtsstube einer Finanzbehörde versetzt.

Adressen werden in Formulare einer eigens für diesen Zweck entwickelten Software eingetragen. Mit Maus und Cursor werden die zu pixelnden Flächen markiert, bei frei stehenden Gebäuden auch die Seitenfassaden. Der Bearbeiter scrollt vor und zurück, bewegt sich in Seitenstraßen, damit nur ja keine Fassadenecke mehr zu erkennen ist. „Das dauert im Normalfall drei bis fünf Minuten, in schwierigen Fällen auch länger“, sagt Sophie Motylski. Mehrfach prüft ein Kontrolleur die Vorarbeit. Erst dann verschwindet das Gebäude mit einem Knopfdruck im Nirvana des Web.

Detektivsinn ist gefragt

Insbesondere wenn die Angaben unvollständig sind, ist der Detektivsinn von Frau Motylski und ihren Kollegen gefragt. Denn auf keinen Fall darf das falsche Gebäude unkenntlich gemacht werden: Einmal gepixelt, ist für immer gepixelt. „Jeder Widerspruch ist unwiderruflich“, sagt Google-Sprecherin Lena Wagner. Das habe der Datenschützer so verlangt. Und dann sind da noch die Spammer, die Verpixelungsanträge für ganze Straßenzüge und Ortschaften, Fußballstadien gegnerischer Mannschaften und konkurrierende Restaurants gestellt haben, wie Produktmanager Andreas Türk sagt. Aus diesem Grund gebe es ein so aufwendiges Meldeverfahren, um Fälschungen zu vermeiden. Allerdings sei der Spamanteil gering, sagt Türk.

Insgesamt 200 Mitarbeiter an mehreren Standorten sind mit den Einsprüchen beschäftigt. Sie arbeiten im Schichtbetrieb unter Hochdruck, denn noch in diesem Jahr soll Street View online gehen. Und mit den Datenschutzbehörden ist vereinbart, dass vorher alle Einsprüche abgearbeitet sind.

Für Per Meyerdierks, den Datenschutzbeauftragten von Google Deutschland, ist nicht nur das Einspruchsverfahren eine neue Herausforderung. Denn noch nie hatte das Unternehmen mit Adressen verknüpften, personenbezogenen Daten von Privatpersonen zu tun. Auch der Besuch des Journalisten in der Widerspruchstelle versetzt ihn in Alarmstimmung: Fotografieren ist tabu, kein Blick auf die Monitore der Sachbearbeiter ist zugelassen. Es soll nun ja nicht der Eindruck entstehen, Unbefugte könnten fremde Daten einsehen.

Die Frage, warum der Widerstand gegen den Start des Street-View-Dienstes in Deutschland so lautstark war, macht auch den Datenschutzbeauftragten ratlos. „Es mag mit der historischen Vergangenheit und dem Erleben zweier totalitärer Systeme zusammenhängen“, mutmaßt er. Vielleicht schoben auch die immer noch verbreitete Unkenntnis des Internet und daraus resultierende Ängste die Protestwelle mit an. Oder es liegt auch daran, dass Street View die erste Anwendung ist, die den Bürger direkt angeht, weil sie die Fassade seines Zuhause abbildet.

Hunderttausende nutze Street View - pro Woche

Dabei mögen die Deutschen anscheinend den Dienst, wie interne Untersuchungen des Konzerns zeigen. „Wöchentlich sehen sich mehrere hunderttausend Internetnutzer aus Deutschland ausländische Streetview-Seiten an“, sagt Lena Wagner. Das sei die höchste Nutzung des Dienstes in Ländern, in denen es Street View noch nicht gibt. Inzwischen sei es in 25 Ländern weltweit verfügbar.

245.000 Einsprüche gegen die Abbildung von Gebäuden in Street View gingen bis zum 15. Oktober bei Google ein. Sie stammen von den Bewohnern der 20 Städte mit insgesamt 15 Millionen Einwohnern beziehungsweise 8,5 Millionen Haushalten, in denen der Dienst noch in diesem Jahr starten soll. „Das sind weniger als drei Prozent aller Haushalte“, sagt Kay Oberbeck. „Wir sind sehr froh, dass sich manche Umfragen nicht bewahrheitet haben“. Diese waren zum Teil von millionenfachen Einsprüchen ausgegangen. „Die tatsächliche Zahl ist hingegen sehr gering“, sagt Lena Wagner. Wie sich die Zahl der Einsprüche regional aufteilt, analysiert Google nicht.

Erst kürzlich hatte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar dem Internetkonzern, der nach der abgelaufenen Widerspruchsfrist zunächst keine Details bekant gab, mangelnde Transparenz vorgeworfen. „Es ist keinem damit gedient, mit vorläufigen falschen Zahlen zu agieren“, entgegnet der Google-Sprecher. Zum wiederholten Male hatte Caspar auch gefordert, das Unternehmen müsse sicherstellen, dass der Prozess für die Bearbeitung der Widersprüche ordentlich abgearbeitet werde. Gespannt wartet Google jetzt auf den Start des Dienstes. „Wir sind uns im Klaren, dass es Fehler geben wird. Denn der manuelle Verarbeitungsprozess ist sehr komplex“, sagt Oberbeck.

Quelle: Welt Online