Das Wirtschaftsministerium wird seine Konjunkturprognose kräftig anheben. Die Kanzlerin will aber nicht vom Sparkurs abrücken.

Die Bundesregierung wird ihre Konjunkturprognose für 2010 und 2011 deutlich anheben. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wird Regierungskreisen zufolge am Mittwoch bekannt geben, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 3,4 Prozent wachsen wird. Politiker und Ökonomen fordern, dass die Regierung trotz der unerwarteten konjunkturbedingten Milliardeneinnahmen nicht von ihrem Sparkurs abrücken dürfe.

In ihrer Frühjahrprognose war die Regierung noch von einem Wachstum von 1,4 Prozent ausgegangen. In der Zwischenzeit hatten aber sämtliche Forschungsinstitute ihre Vorhersagen deutlich erhöht. Auch die Bundesregierung hatte verlauten lassen, dass das Wachstum deutlich höher ausfallen werde, als bislang angenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte auf dem Unternehmertag des Exportverbandes BGA, sie rechnet in diesem Jahr „mit drei Prozent Wirtschaftswachstum, vielleicht etwas mehr“. Für 2011 erwartet die Regierung nun statt 1,6 ein Plus von 1,8 Prozent.

Der Wirtschaftsboom lässt mittlerweile die Kassen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) klingeln. Wie in den Monaten zuvor sollen sich auch im September die Steuereinnahmen gut entwickelt haben, heißt es aus Regierungskreisen. „2010 und 2011 werden die Steuereinnahmen insgesamt um rund 27 Mrd. Euro über der letzten Schätzung vom Mai liegen“, sagte Alfred Boss, der Mitglied im Arbeitskreis Steuerschätzung der Bundesregierung ist. Rechne man die Einnahmen durch die Einführung der Brennelementsteuer oder der Luftverkehrsabgabe dazu, steige das Plus auf rund 32 Mrd. Euro.

Trotz der verbesserten Haushaltslage will die Regierung nicht von ihrem Sparkurs abrücken. Die Koalition plant, bis 2014 rund 80 Mrd. Euro einzusparen. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle, sagte, die Neuverschuldung habe nach wie vor historische Dimensionen. „Es gilt daher, an dem Volumen des Sparpakets, das die christlich-liberale Koalition ab dem Haushaltsjahr 2011 geschnürt hat, ohne Wenn und Aber festzuhalten.“ FDP-Finanzexperte Volker Wissing sagte, „die Bundesregierung darf sich von den zusätzlichen Einnahmen nicht zu neuen Ausgaben verleiten lassen.“

Wirtschaftsverbände sorgen sich, dass genau dies passieren könnte. Das Sparpaket senke die Sorge der Unternehmen vor Steuererhöhungen, sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Eine Abkehr wäre deshalb „Gift für Wachstum und Konjunktur“. Auch Ökonomen fordern, den Konsolidierungskurs beizubehalten: „Die aus der konjunkturellen Erholung resultierenden Haushaltsentlastungen sollten nicht zum Anlass genommen werden, den Konsolidierungskurs zu lockern. Dies würde der Intention der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse widersprechen“, sagte Heinz Gebhardt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse schreibt dem Bund vor, sich ab 2016 kaum noch verschulden zu dürfen. Bis dahin muss der Bund sein strukturelles Haushaltsdefizit abgetragen haben.

Auch die EU-Verträge lassen der Regierung kaum Spielraum. Zwar wird der Bund in diesem Jahr weniger als 50 Mrd. Euro Schulden machen müssen – vor ein paar Monaten hatten Experten noch mit einem deutlich höheren Haushaltsloch gerechnet. Die EU-Defizitgrenze wird Deutschland in diesem Jahr dennoch reißen. Ökonom Boss rechnet für dieses Jahr mit einem Haushaltsdefizit von 3,75 Prozent. Der Maastricht-Vertrag erlaubt nur ein Minus von drei Prozent. Auch 2011 könnte es Boss zufolge knapp werden, das Maastricht-Kriterium einzuhalten. Boss erwartet derzeit ein Minus von drei Prozent.

Die wirtschaftliche Erholung gefährdet die Regierung mit ihren Sparkurs nach Ansicht von Ökonomen nicht. Der Aufschwung habe in diesem Jahr an Breite gewonnen, sagt Gebhardt. Nun ziehe auch der Konsum an. „Damit liegen im kommenden Jahr günstige Bedingungen vor, um auf einen Konsolidierungskurs einzuschwenken.“

Auch der DIHK rechnet fest damit, dass sich der Aufschwung fortsetzt. „Die Unternehmen wollen kräftig einstellen“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben. Für 2011 rechnet der Dachverband der kleinen und mittelständischen Betriebe mit 300.000 zusätzlichen Jobs. Vor allem mittelständische Unternehmen, mit bis zu 1000 Beschäftigten, würden neue Arbeitsplätze schaffen. Das Wachstum soll laut DIHK im kommenden Jahr bei 2,4 Prozent liegen.

Quelle: Welt Online