Massenproteste gegen die Rentenreform beeinträchtigen den Vekehr in Frankreich. Nicolas Sarkozys Regierung will notfalls Gewalt anwenden.
Im erbitterten Konflikt um Frankreichs unpopuläre Rentenreform haben die Gewerkschaften die heiße Phase des Machtkampfs mit der Regierung eingeläutet. Hunderten Tankstellen ging bereits der Treibstoff aus, weil Raffinerien seit Tagen blockiert werden. Im Bahnverkehr wurde der Streik ausgeweitet und auch Lastwagenfahrer schlossen sich der Protestbewegung an. Die Regierung kündigte an, notfalls auf Gewalt zurückzugreifen.
Die größte Gewerkschaft bei Air France rief die Angestellten auf, sich am Mittwoch zu Demonstrationen auf den Flughäfen des ganzen Landes einzufinden. Auch Blockaden seien nicht ausgeschlossen. Am Dienstag sind neue Massenkundgebungen geplant. Unter dem Druck der Streiks sieht sich Frankreich zur Einschränkung des Flugverkehrs gezwungen. Die Luftfahrtbehörde forderte die Fluggesellschaften auf, am Dienstag ihre Frankreich-Flüge um bis zu 50 Prozent zu kürzen. Auf dem Flughafen Paris Orly solle die Hälfte der Verbindungen wegfallen, auf den anderen Flughäfen 30 Prozent.
Immer mehr der landesweit 12.500 Tankstellen haben mit Versorgungsengpässen zu kämpfen. Der US-Konzern Exxon sprach von einer kritischen Lage: Wer im Großraum Paris oder in der Umgebung der westfranzösischen Stadt Nantes Diesel tanken wolle, habe ein Problem, sagte eine Sprecherin. „Das ist Wahnsinn“, sagte die Managerin einer Tankstelle auf der Pariser Prachtstraße Champs Elysee. Die Arbeiter in allen zwölf Ölraffinerien Frankreichs setzten ihren Streik den siebten Tag in Folge fort. Die Gewerkschaften zeigten sich unnachgiebig: „Solange sich die Regierung nicht bewegt, bewegen wir uns auch nicht“, sagte ein Gewerkschafter bei den Total-Raffinerien.
Gewerkschaften wollen Protest verschärfen
Seit dem Wochenende schaukeln sich die Konfliktparteien gegenseitig hoch: Die Gewerkschaften kündigten eine Verschärfung der Proteste an. Die Regierung drohte an, notfalls mit allen Mitteln eine Lähmung der Wirtschaft zu verhindern. Blockaden zentraler Infrastruktureinrichtungen seien illegal, warnte Ministerpräsident Francois Fillon am Vorabend im Fernsehen. Dort wurden Arbeiter gezeigt, die in der Anlage Grandpuits nach ihren eigenen Angaben von der Regierung unter Androhung von Haft rekrutiert wurden. Sie hätten aber nicht arbeiten können, weil Kollegen eine Menschenkette um die Raffinerie bildeten.
Sarkozys Minister betonen immer wieder, dass kein Grund zur Panik bestehe und ausreichend Treibstoffvorräte vorhanden sind. „Die Regierung hat die Lage unter Kontrolle“, sagte zuletzt Industrieminister Christian Estrosi am Montag im Rundfunksender RTL. „Es wird keine Blockaden von Unternehmen, keine Blockaden im Verkehrssystem und auch keine Blockaden für Autofahrer geben“, sagte der Minister.
Am Sonntagabend kam es zu ersten Bummelstreiks auf Autobahnen rund um die Großstädte Lyon und Rennes: Lastwagenfahrer fuhren mit Kleinlastern auf allen Spuren absichtlich langsam und behinderten so den Verkehr. Zu regelrechten Straßenblockaden mit Lastwagen kam es bisher nicht. Am Mittwoch soll der Senat endgültig Präsident Nicolas Sarkozys umstrittene Reform absegnen, nach der die Franzosen frühestens mit 62 statt bisher mit 60 Jahren in Rente gehen können. Die volle Rente können Franzosen dann erst mit 67 statt wie bisher mit 65 beziehen.
Die Mehrheit der Franzosen unterstützt die Proteste gegen die Reform, mit der Sarkozy das ausufernde Defizit der Rentenkasse in den Griff bekommen will. Bisher hat sich der Präsident entschlossen gezeigt, die Reform auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchzusetzen. Unpopuläre Maßnahmen der Regierung durch massive Straßenproteste zu Fall zubringen, hat in Frankreich Tradition. Sarkozy sollte am Montag in nordfranzösischen Badeort Deauville zu Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Dmitri Medwedew zusammenkommen.