Als Kind war AWD-Gründer Maschmeyer arm und wurde verprügelt. Heute macht sogar Bundespräsident Wulff in seiner Villa Urlaub.

Man segelt durch hallenartige Räume, als der Gastgeber vor einem Rosenbouquet haltmacht: „Die sind hier für Sie abgegeben worden“, sagt Carsten Maschmeyer feierlich. Blumen für den Gast? Dazu eine Karte des Hausherrn mit der Entschuldigung für das mehrfache Verschieben des Interviews. Das beeindruckt ebenso wie der ledergebundene Brockhaus in Pink im grau-violetten Salon. Wobei, das Herz des Hauses liegt im Keller!

WELT ONLINE: Wahnsinnsweinkeller, Herr Maschmeyer!

Carsten Maschmeyer: Freut mich, wenn es Ihnen gefällt. Ich liebe Wein, den Keller habe ich nun seit zehn Jahren. Die Türen sind aus 300 Jahre alter Eiche, die Steinmauern von einer uralten Burg in Kroatien. Also nichts Fake hier, alles echt.

WELT ONLINE: Das schreit nach Geselligkeit.

Maschmeyer: Ja, am glücklichsten bin ich natürlich, wenn ich hier mit Freunden sitze. Kommen Sie, ich führe Sie herum: Hier schläft zum Beispiel ein „Le Pin“, 7000 Euro die Flasche. Ein „Garagenwein“, den holt man eigentlich gar nicht heraus, weil er viel zu schade ist. Man sieht ihn in manchen Edelrestaurants. Daneben: Pomorol Petrus, 1982, Sechs-Liter-Flasche. Unbezahlbar. Es gibt noch fünf in Europa. Drüben haben wir den Montrachet, daneben Mouton Rothschild – Grand Cru und Corton Charlemagne.

WELT ONLINE: Wie heißt es doch so schön: für die Gäste nur das Beste.

Maschmeyer: Ich muss zugeben, ich lasse mich schon von großen Namen beeindrucken – hier liegt kein Riesling aus der Pfalz. Ich bin gern großzügig zu meinen Gästen.

WELT ONLINE: Sie sind reich, kennen Tod und Teufel. Kann man sich Freunde kaufen?

Maschmeyer: Sicher, aber das ist nichts für mich. Ich liebe es, Menschen eine Freude zu machen, immer schon. Klassenfahrt in den Harz: Alle kauften sich vom Taschengeld ein Bounty – ich habe meiner Mama eine Plakette für den Wanderstock mitgebracht.

WELT ONLINE: Wann wird man Ihr Freund?

Maschmeyer: Wenn Sympathie, Vertrauen und eine gewisse Kette von positiven Erfahrungen da sind, wo es Spaß gemacht hat und man sich schon aufs nächste Mal freut.

WELT ONLINE: Und Erfolg sollte man haben.

Maschmeyer: Ich habe nichts dagegen, warum auch? Aber ich bin nicht der Machtmauschelmensch, den mir manche andichten wollen, nur weil ich ein paar bunte Leute kenne. Ich bin vor allem Harmoniemensch: Ich brauche Heimat. My home is my castle and my castle is your home. Geborgenheit ist für mich ganz wichtig. Ich gehe auch immer ins selbe Hotel, ins selbe Zimmer. Dann fühle ich mich nicht wie ein Fremder, sondern wie ein Freund. Ich brauche das.

WELT ONLINE: Wer war Ihr erster Freund?

Maschmeyer: Früher war ich eher Einzelgänger. Meine Kindheit war nicht die glücklichste.

WELT ONLINE: Warum, was war los?

Maschmeyer: Zuerst war ich in einem Mutter-Kind-Heim, später wohnten wir in einer ehemaligen Kaserne für sozial Schwache am Bremer Stadtrand: ein Zimmer, Kohleofen, meist nur Butterbrot. Meine Mutter war sehr streng, sie hat nie in den Arm genommen, nie gelobt, nur mal, wenn ich ’ne gute Note hatte. Ich war sechs, als dann mein rauer Stiefvater in mein Leben trat. Es war das typische Verhaltensmuster, ägyptisches Prinzip: Heute werde ich ausgepeitscht, morgen peitsche ich dich aus.

WELT ONLINE: Er hat Sie geschlagen?

Maschmeyer: Und wie, er hat’s an mich weiter gegeben. Heute würde man klar von Missbrauch sprechen. Beim kleinsten Fehler, Milch verschüttet oder so – ich habe nur darauf gewartet, wann die Dresche kommt, auf den Po, ins Gesicht. Ich weiß nicht, wie oft ich heimlich im Keller hockte, weil ich mich wegen der blauen Flecken nicht in die Schule traute. Ich erschrecke heute noch, wenn jemand die Hand hebt, und habe Angst vor Bestrafung – Bestrafung ist auch, wenn Analysten sagen: Verkauf die Aktie.

WELT ONLINE: Was war mit Ihrem leiblichen Vater?

Maschmeyer: Mein Erzeuger, anders kann man ihn wirklich nicht nennen, lebte nicht mehr. Er war schon über 50, als er einen „One-Night-Stand“ mit meiner Mutter hatte. Danach wurde er nie wieder gesehen und das Vater-Thema für immer totgeschwiegen. Einmal habe ich mich getraut, meine Mutter zu fragen, wie er denn wohl aussah und was er beruflich gemacht hat. Schweigen. Mit 18 habe ich dann seine Adresse rausbekommen. Ich wollte vor seinem Haus warten, bis er rauskommt, hatte aber immer Muffensausen. Dann kam das Schreiben: Er lebt nicht mehr.

WELT ONLINE: Ein Wunder, dass Sie ein so freundlicher Mensch heute sind. Therapie?

Maschmeyer: Nein, obwohl mich das Thema natürlich lange festgehalten hat. „Wenn du alt bist, setze ich dich vors Haus in den Schnee“, habe ich mal zu meinem Stiefvater gesagt. Rachegefühle gab es schon, aber es bleibt ja doch Familie. Beim 80. Geburtstag meiner Mutter haben wir Frieden geschlossen. Mein starker Wille hat mich gerettet: Ich habe Sport getrieben wie ein Verrückter und mich in Arbeit gestürzt, das war wie eine Sucht. Ich wollte nur eins: nie wieder zurück, unabhängig sein. So, jetzt lüften wir zwei aber mal ein Fläschchen. Ich muss nur mal eben nach dem lieben Herrn Quebe schauen.

WELT ONLINE: Herr Quebe ist Ihr Butler?

Maschmeyer: Er ist mein „Happymaker“, so heißt das bei mir.

WELT ONLINE: Sind Sie heute happy?

Maschmeyer: Und wie! Die Welt, in der ich heute lebe, war für mich doch un-er-reich-bar. Ich sag’ immer, und wenn’s ein Traum ist – bitte nicht wecken! Mein Happymaker zaubert diese Brotzeitplatten hier. Ich habe einfach gelernt zu delegieren: Wer nicht delegiert, hat zu viel Zeit – wer delegiert, hat mehr Zeit!

WELT ONLINE: Die benutzten Gläser hier hat er wohl übersehen. Sie hatten Besuch?

Maschmeyer: Mensch, ja, gestern Abend waren ein paar Freunde hier. Danach kam mir die Idee, alles doch mal so stehen zu lassen – vielleicht ganz hübsch für Ihr Foto?

WELT ONLINE: Wer war denn da?

Maschmeyer: Markus Schächter, der Intendant vom ZDF, unser Oberbürgermeister Stephan Weil und Gerhard Schröder.

WELT ONLINE: Der ist doch Ihr big Buddy.

Maschmeyer: Wir kennen uns seit einer Weihnachtsfeier 2001 unserer Hannover Connection, dazu zählen so die Macher vom Maschsee. Es folgte ein Viereressen bei ihm und ein Fondue bei uns. Ich weiß heute, wir wären, wenn uns was passiert, gegenseitig für unsere Kinder da. Wir sprachen gerade gestern darüber: zwei Studierte am Tisch und Carsten und Gerhard, die von ganz unten kommen. Klar verbindet das.

WELT ONLINE: Ist Ihnen das unangenehm?

Maschmeyer: Nein, wir haben ja beide was geleistet, und neues Geld wird heute auch nicht mehr so belächelt wie früher, als nur Erben salonfähig waren. Sagen wir so, ich fühl’ mich zwischen altem und neuem Geld – ich bin das Mittel-Geld.

WELT ONLINE: Hier in Ihrem Keller sind Sie zusammen ganz unten, das verbrüdert?

Maschmeyer: Es hat was von einer Fußballumkleidekabine, da haben die Jungs auch keine Scham. Wein trinken ist wie zusammen Sport machen. Man ist unter sich, vertraut sich, keiner hört mit. Man duzt sich ganz schnell. Hier wurden schon Gegner zu Freunden: Wulff und Schröder etwa kannten sich nur vom Wegsehen. Klar, Gerd hat Christian bei den Landtagswahlen immer besiegt, und Christian dachte, Schröder lässt nie los. Ich habe sie dann 2008 hier zusammengesetzt. Heute rufen Sie sich gegenseitig an. Hier sind Ideen für die Agenda 2010 entstanden und große Industriefusionen eingeleitet worden.

WELT ONLINE: Ist es nicht anstrengend, mit mächtigen Politikern wie Christian Wulff befreundet zu sein, weil dann so ganz normale Dinge wie Einladungen zu Ferien sofort zum Skandal werden?

Maschmeyer: Ja, das ist anstrengend. Warum sollen Spitzenpolitiker, die hart arbeiten, in der Freizeit nicht auch mal genießen dürfen wie Staatsoberhäupter im Ausland? Grundsätzlich sind wir in Deutschland, was das betrifft, zu spießig.

WELT ONLINE: Hätten Sie Wulff als Freund dann abraten müssen von seinem Besuch?

Maschmeyer: Nein, der Urlaub war lang vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten gebucht und Wulff so urlaubsreif, also wirklich kaputt. Der schlief in der Wahlphase nur ein bis zwei Stunden pro Nacht. Bettina sagte dann irgendwann zu Veronica, egal, was passiert, wir brauchen den Urlaub, und zwar in ungestörter Atmosphäre. Zudem habe ich im Vorfeld klar gesagt, lieber Christian, ich will kein Geld von dir, aber bitte zahle die 300 Euro, damit du unangreifbar bist.

WELT ONLINE: Ein Freundschaftspreis für die Villa.

Maschmeyer: Nein, es ist der reguläre Tagespreis für ein Ein-Zimmer-Appartment, von denen es acht im Haus gibt. Die gesamte Anlage würde sicher 20.0000 Miete pro Woche kosten, da haben Sie recht.

WELT ONLINE: Was war Wulffs Gastgeschenk?

Maschmeyer: Ich brauche keine Anstandsgeschenke.

WELT ONLINE: Und wenn Sie Gast sind, etwa bei Schröder, als er noch Kanzler war …

Maschmeyer: Ein Bundeskanzler darf keine Geschenke annehmen. Also wenn da aus Arabien ein goldenes Schwert ankommt, wandert das direkt in die Requistitenkammer unter dem Bundeskanzleramt. Sonst würde man dem Politiker ja nachsagen, der hat das einfach eingesteckt und demnächst läuft dann da eine Geschäftsbeziehung, oder das Entwicklungsland bekommt 100 Millionen Schulden erlassen. Amtierende Politiker dürfen nur Trink- oder Essbares annehmen.

WELT ONLINE: Mit Speck fängt man Mäuse.

Maschmeyer: Mit einer Flasche Wein? Ich bitte Sie!

WELT ONLINE: Sie hatten nicht immer nur Freunde. Die Methoden des AWD in der Gründerzeit sind umstritten. „Chef einer Drückerkolonne“ – kränkt Sie das?

Maschmeyer: Das sind ungerechtfertigte Behauptungen, Hunderttausende haben viel mehr Rendite als erwartet. Aber wir haben damals eine Firma erfunden, die untypisch für die klassische Finanzwelt war, und als neue Angel im Teich haben Sie automatisch alle Fischer gegen sich. Was machen die da?, haben viele gerätselt. Wir waren halt keine Versicherung, keine Bank und dazu extrem erfolgreich.

WELT ONLINE: Kann jemand, der etwas Großes aufbaut, überhaupt anständig sein?

Maschmeyer: Ich habe sicher auch Fehler gemacht und bin auch heute nicht immer perfekt. Hinzu kann es bei zwei Millionen Kunden immer eine Handvoll geben, die sich von einem Ihrer 10?000 Mitarbeiter vor 15 Jahren falsch beraten fühlt. Klar, als Anfänger vor 20 Jahren war ich sehr ehrgeizig und habe eher Chancen ergriffen, als über Risiken und Konsequenzen nachzudenken. Ich hatte großen Druck und musste erst mal über die Grenzkosten kommen, um zu überleben. Da steht der Reiz, ein Geschäft auszudehnen, natürlich zunächst mehr im Fokus als die Umsicht, dass sich auch ja keiner auf die Füße getreten fühlt.

WELT ONLINE: Hey, Sie trinken gar nicht, guter Freund, Sie wollen mich abfüllen?

Maschmeyer: Ich hol’ gleich auf!

WELT ONLINE: Sind Frauen erlaubt hier unten?

Maschmeyer: Klar, gern sogar. Wir sind ja nicht der Rotary-Club.

WELT ONLINE: Dann hat Frau Kässmann hier bei Ihnen zu tief ins Glas geschaut?

Maschmeyer: Sie war nie hier.

WELT ONLINE: Ihre letzte Freundschaftstat?

Maschmeyer: Ich habe einem engen Freund, der sehr wohlhabend ist, ein Haus auf Mallorca besorgt, mich tagelang reingehängt, und er hat es ohne Maklerprovision bekommen. Als Freund muss man auch mal Zeit aufwenden, ohne dass man was dafür bekommt.

Quelle: Welt Online