Immer mehr Deutsche entdecken ihre Lust am Kochen. Daran verdienen Küchenhersteller, Kursanbieter und Buchverlage Milliarden.

Anja Sieber steht sozusagen in einem Kochbuch. Die blonde Frau Anfang Dreißig ist beim Fisch angekommen, das Gericht heißt „Gebratene Dorade mit provenzalischem Gemüse“. Das „Kochhaus“, in dem Anja Sieber steht, ist streng genommen ein Lebensmittelladen, der nach Gerichten sortiert ist: Drei Vorspeisen, drei Fischgerichte, vier Mal Fleisch und drei Desserts. Für jedes Gericht gibt es einen schweren Holztisch, auf dem die Zutaten liegen. Gekühlte Zutaten wie Fisch oder Butter, portioniert in 40-Gramm-Päckchen, liegen im Kühlfach daneben. Ein Hauptgericht im „Kochhaus“ kostet zwischen drei und zehn Euro, dazu verkauft Geschäftsführer Ramin Goo Weine, Geschirr, Pfannen und Kochbücher. „Wir bieten unseren Kunden mehr als nur die Zutaten für ein Essen“, sagt Goo. Ein „begehbares Kochbuch“ nennt er seinen Laden deshalb.

Erst vor knapp zehn Tagen hat das Kochhaus eröffnet. Goo will damit von einem Trend profitieren, der seit Jahren unverändert anhält: Ausgelöst von Kochshows auf allen Sendern und dem Wunsch nach mehr Privatheit entdecken die Deutschen das Kochen wieder, jedoch unter anderen Vorzeichen. Was lange Zeit allein dem satt werden diente, ist heute Freizeitbeschäftigung, Event und Statussymbol in einem. Das Kochen findet am Wochenende statt, in fast zeremonieller Form.

Dafür wird gern in Küchen mit Profi-Ausstattung, in Kochkurse, Induktionsherde, teure Messer und Kochbücher investiert. Der Küchengeräte-Umsatz steigt seit Jahren, zuletzt auf 1,24 Milliarden Euro im Jahr 2009, so eine Studie des Datendienstes Statista. Für Küchenmöbel gaben die Deutschen 2009 rund 10,6 Milliarden Euro aus. Die Industrie setzt nun auf Produkte, die der Profi-Küche entlehnt sind, gleichzeitig aber Zeit sparen und dem Kunden so viel Arbeit wie möglich abnehmen.

Designerküchen werden zum Statussymbol

„Kochen steht zunehmend für sozialen Reichtum“, sagt Katharina Naehr von Bulthaup Küchen aus Bodenkirchen in Bayern. Konkurrent Poggenpohl sieht das ähnlich: „Die Statussymbole sind heute iPhones und Designerküchen“, sagt Geschäftsführer Elmar Duffner. Er stellt fest, dass seine Kunden immer öfter die Geräte, die sie im Fernsehen bei Johann Lafer oder dem Promi-Dinner sehen, für die eigene Küche bestellen. „Der professionelle Touch ist deutlich wichtiger geworden“, sagt Duffner. Zwischen 2003 und 2007 steigerte sein Unternehmen den Umsatz um 70 Prozent, 2010 nahm er im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent zu.

Auch die Gerätehersteller folgen dem Trend. Sie setzen auf Elemente aus der Profi-Küche wie zum Beispiel Induktionskochfelder, Dampfgarer und Dampfbacköfen. „Die Leute sind bereit, dafür richtig Geld auszugeben“, sagt Norbert Behringer, Leiter des Produktmanagements für Einbaugeräte bei Electrolux. Das bestätigt auch der Bundesverband „Gedeckter Tisch“: „Der Bereich Küchenausstattung liegt seit zehn Jahren Monat für Monat im Plus“, sagt Geschäftsführer Thomas Grothkopp. 1000 bis 2000 Euro muss der Kunde für einen Induktionsherd hinlegen. „Unsere Absatzzahlen zeigen eine deutliche Steigerung in diesem Bereich“, sagt Norbert Behringer.

Siemens stellte bei der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin einen Herd mit Vario-Induktion vor, bei dem der Kunde festlegen kann, wie groß die Herdfläche sein soll, die für das Kochen verwendet wird. „Damit kann man auch endlich mal ein richtig großes Steak braten“, sagt der Geschäftsführer des Bereichs Elektrogeräte, Roland Hagenbucher. Siemens produziert Induktionsherde mit bis zu 90 Zentimetern Kochfläche. Kenwood bietet einen „Cooking Chief“ an, ein Gerät mit 60 Funktionen – genau zugeschnitten auf den Kunden, der kochen will, aber wenig Zeit und dennoch hohe Ansprüche mitbringt.

Neben Profi-Geräten für den Laien entwickelt zum Beispiel Electrolux Produkte, die besonders einfach zu bedienen sind und die „kleine Unzulänglichkeiten des Kunden ausgleichen“ sollen. So gibt es Schalter für Pizza oder Fleisch, bei denen das Gerät automatisch eine Temperatur und eine Kochzeit vorschlägt. „Wir beobachten immer öfter einen sehr hohen Anspruch an die eigenen Kochkünste im privaten Umfeld“, sagt Roland Hagenbucher von Siemens. Sein Unternehmen stellte auf der IFA einen Würfelschneider vor. Er verspricht Zeitgewinn und zollt gleichzeitig dem Perfektionismus des Kunden Tribut – damit das Kochen mit Freunden am Wochenende tatsächlich zum Event und nicht zur Blamage wird.

Männer geben mehr Geld für die Küche aus

„Kochen ist heute natürlich auch ein Imagethema“, sagt Jan Spielhagen, Chefredakteur des Magazins „Beef“. Das Magazin erscheint seit knapp einem Jahr bei Gruner+Jahr und richtet sich an eine wachsende Spezies, den kochenden Mann. „Gerade Männer sind bereit, viel mehr Geld als früher für Küche und Lebensmittel auszugeben.“ Das bedeutet: Männer sind oftmals Perfektionisten und kaufen deshalb auch einen Rotweinkühlschrank für mehrere tausend Euro, der ihre Weine bei genau 12,3 Grad Celsius kühlt. An diese Männer richtet sich auch die Porsche-Küche, die Poggenpohl in Kooperation mit Porsche Design verkauft. Kostenpunkt: Rund 150.000 Euro.

Die Lust am Kochevent hilft auch einer eigentlich schwächelnden Branche: Den Buchverlagen. Schnitzel und Spaghetti mit roter Soße passen nicht wirklich zu einer Profi-Küche, da müssen ausgefallene Rezepte aus den angesagten Promi-Kochbüchern her. Marktführer Gräfe und Unzer verzeichnete laut GfK im ersten Quartal 2010 einen Umsatz von 64,3 Millionen Euro, 2009 waren es im selben Zeitraum noch 56,1 Millionen Euro. „Kochbücher sind ganz klar ein Wachstumsmarkt“, sagt Pressechefin Claudia Uhr. Auch Dorling Kindersley verkauft mehr Kochbücher. 2009 waren es 11 Millionen Stück. Rund 131 Millionen Euro erlöste der Verlag laut Media Control damit.

Ein Wachstumsmarkt sind seit Jahren auch die Kochschulen. Anja Sieber, die Kundin aus dem Kochhaus, macht vier bis fünf Kurse im Jahr, „gerade läuft ein Pasta-Kurs, Thai und Vietnamesisch habe ich auch schon gemacht.“ Pro Kurs gibt sie 60 bis 70 Euro aus. „Andere rennen dauernd ins Kino oder ins Konzert. Ich gehe halt Kochen“, sagt sie. Der Branche wird dabei ihr eigener Erfolg zum Verhängnis: Obwohl die Nachfrage hoch ist, gibt es in manchen Städten zu viele Kochschulen. „Viele Geschäftsleute, die nicht wissen, was sie machen sollen, machen eine Kochschule auf“, sagt Thomas Krause von der Kochschule Hamburg. „Ich habe in Hamburg knapp 20 Mitbewerber. Da wird es bald eine Marktbereinigung geben“, sagt Krause, der seit 2003 im Geschäft ist. Auch er stellt bei seinen Schülern sehr hohe Ansprüche fest: „Viele Leute melden sich für einen Sternekurs an und können rein gar nichts“, sagt er. „Die kriegen kein Steak gebraten und wollen dann Hummer zubereiten.“

Marco Dartsch hat sich ein Franchisesystem ausgedacht, um sich von den Kochschulen abzusetzen. In zehn Regionen in Deutschland gibt es seine Veranstaltungsreihe „Erlebniskochen&Weinschmecken“ bereits. Die Idee: Laien kochen unter Anleitung von Profis in Restaurantküchen. „Man braucht auf Dauer schon ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt er. Bald sollen weitere Regionen hinzukommen, Dartsch sucht noch nach Partnern in Berlin, Stuttgart und Bremen. In Österreich und der Schweiz kann er sich „Erlebniskochen“ ebenfalls vorstellen.

Ramin Goo will ebenfalls das Kochhaus als Franchiseladen betreiben. „Das bietet sich an“, sagt der 29-Jährige, „für einen Laden allein wäre auch der Aufwand zu groß gewesen.“ Goo und seine Mitgründer haben sich Mühe gegeben; das zeigen auch Kleinigkeiten wie das Faltblatt, das anhand von Fotos erklärt, wie ein Gericht zubereitet wird. Erst muss sich das Konzept des aber bewähren, bevor Ramin Goo expandieren kann. In wenigen Wochen bietet er deshalb auch Kurse an. „Daran würde ich sofort teilnehmen“, sagt Anja Sieber. Dank der Faltblätter bekommt sie die Dorade mit provenzalischem Gemüse aber auch so hin: „Ich stehe ja nicht erst seit gestern in der Küche.“

Quelle: Welt Online