Bisher scheiterten Hersteller an der Technik und der Sicherheit. Doch das Smartphone soll das Bezahlen per Handy ermöglichen.
Die Wojska-Polskiego-Straße in der polnischen Grenzstadt Slubice ist nicht gerade ein Ort der Postmodernität. Schlichte Zweckbauten reihen sich aneinander, zahlreiche Billigläden wechseln sich ab mit sparsam sanierten Wohngebäuden. Doch in einem der Supermärkte tut sich Erstaunliches: An der Kasse ziehen Kunden vorbei, die nur kurz ihr Handy vorzeigen und dann mit ihrem vollen Einkaufswagen zum Parkplatz eilen. Auch andernorts in Polen, das während der Krise ein überraschend starkes Wirtschaftswachstum vorweisen konnte, haben die Menschen das umständliche Gewühle im Portemonnaie nicht mehr nötig. An der Tankstelle, im Kino, bei McDonald's: Nie wandert ein Geldschein über die Theke, keine Karte wird durch den Scanner gezogen. Und doch geht alles mit rechten Dingen zu.
Hinter alldem steckt der polnische Mobilfunkanbieter Era. In einem Feldversuch wird erprobt, woran Forscher seit Jahren tüfteln: den Ballast an Bargeld, Giro- und Kreditkarten, die unser Portemonnaie übermäßig ausbeulen, überflüssig zu machen. Künftig soll mit dem Handy bezahlt werden. Das Smartphone wird an ein Lesegerät gehalten, eine PIN-Nummer wird eingegeben - fertig. Abgebucht wird direkt vom Konto, die Quittung kommt per SMS aufs Telefon.
"Der Bezahlvorgang läuft über eine spezielle Antenne, die in den Handys verbaut wird", sagt Ramona Stahl von der Deutschen Telekom, die in Deutschland ebenfalls an einem mobilen Bezahlsystem arbeitet. Der besagte Antennen-Chip ist kleiner als ein 1-Cent-Stück. Über ein elektromagnetisches Feld verbinden sich die Antenne und das Lesegerät an der Kasse. Eine Verschlüsselung schützt vor fremdem Zugriff. Near Field Communication (NFC) heißt das System.
Damit NFC funktioniert, muss der Kunde sein Handy sehr dicht - näher als vier Zentimeter - an das Lesegerät halten. Höhere Entfernungen wären zwar technisch möglich, "aber nur so kann sichergestellt werden, dass in einer dicht gedrängten Kassenschlange nicht das Telefon des Nachbarn den Bezahlvorgang auslöst", sagt Stahl.
Die Eingabe eines PIN-Codes soll dabei nicht die einzige Sicherheitsmaßnahme bleiben. T-Mobile, O2 und Vodafone planen die Einführung neuer UICC-SIM-Karten, die den Datenaustausch zwischen Antenne und Lesegerät steuern. Zum Beispiel die Authentifizierung des Nutzers - schließlich muss festgestellt werden, auf wessen Konto der Einkauf geht. "Alle relevanten Nutzerinformationen und Sicherheitszertifikate befinden sich auf der SIM-Karte", sagt Stahl. Vorteil: Die Daten auf der SIM seien unangreifbar für Handyviren.
Für den Kunden bedeutete das Zahlen per Handy einen klaren Zeitgewinn. In der Schlange gäbe es keine Verzögerung durch andere Käufer, die noch Münzen zusammenzählen müssten. Treue- oder Bonuspunkte brauchte der Kunde nicht extra zu sammeln, sie würden direkt per Mobiltelefon gutgeschrieben. Hinzu käme das gefühlte Plus an Sicherheit, keine Giro- oder Kreditkarte in fremde Hände geben zu müssen. Selbst wenn der Akku einmal leer sein sollte, wäre der Nutzer nicht blank: "Antenne und SIM-Karte werden über das elektromagnetische Feld mit Strom versorgt", sagt Stahl.
Der größte Vorteil liegt jedoch in der Vielseitigkeit des Systems. Mit NFC soll das Handy nicht nur zum Zahlen per Girokonto oder auf Kreditkarte einsetzbar sein, sondern auch zur Identifikation: etwa als Konzertticket, Stadionkarte, Bahncard oder Fitnessstudio-Ausweis. "Sogar das Öffnen und Verschließen von Türen, etwa in Büros oder Hotelzimmern, wäre möglich", sagt Nikolai Strasding von Vodafone.
Die Mobilfunkanbieter treiben die Technik energisch voran, denn sie wittern neue Umsatzmöglichkeiten. Damit Konzertbetreiber, Banken oder Kreditkarteninstitute das mobile Bezahl- und Identifikationssystem ihren Kunden anbieten können, müssen die nötigen Authentifizierungsdaten auf der UICC-SIM-Karte gespeichert sein. Dafür soll eine Gebühr anfallen.
Um neue Authentifizierungsdaten, sei es ein Konzertticket oder ein neues Bankkonto, auf die SIM zu schreiben, muss die Karte nicht einmal aus dem Handy genommen werden. Laut Strasding werden die Authentifizierungsdaten verschlüsselt über das Handynetz auf die SIM-Karte übertragen. Das funktioniere auch umgekehrt: Geht ein Mobiltelefon verloren oder wird es gestohlen, könne der Netzbetreiber die sensiblen Daten "sofort aus der Ferne löschen". Und noch einen Verbrauchervorteil nennt der Entwickler: "Ein fehlendes Handy fällt schnell auf. Eine verschwundene Kreditkarte nicht unbedingt."
Die Akzeptanz für Bezahlen per Mobiltelefon scheint in Deutschland gegeben: Nach einer Studie von Wirtschaftsinformatikern der Universität Augsburg würden bei Geldbeträgen unter 25 Euro sogar 40 Prozent der Nutzer bevorzugt per Handy oder Smartphone zahlen. Die Giro-Card kommt dagegen nur auf 22 Prozent. Per Kreditkarte würden 19 Prozent zahlen, eine Online-Überweisung bevorzugen 18 Prozent. Das ist den Geldinstituten nicht entgangen: "Wir verfolgen diese Technik mit großem Interesse", sagt Thomas Schlüter vom Deutschen Bankenverband.
2012, so die Prognose der Netzbetreiber, könnte die NFC-Technik in Deutschland starten. Bis dahin muss vor allem eine Hürde genommen werden: Es gibt bislang kaum NFC-fähige Handys oder Smartphones. Nun könnte ausgerechnet Apple wieder einen Trend begründen: So wurde kürzlich Benjamin Vingier, Spezialist für NFC-Bezahlsysteme, von Steve Jobs als Produktmanager für "Mobile Commerce" angeworben. Apple hüllt sich noch in Schweigen darüber. Doch womöglich ist schon das nächste iPhone ein Bezahl-Phone.