Eine Studie hat gerade offen gelegt, wie gut die Pharmabranche verdient. Dennoch warnen die Firmen, dass bald das Geld für die Forschung fehlt.
Es sind gerade einmal ein paar Monate her, da war die Welt der privaten Krankenversicherungen (PKV) noch heil. Kraftstrotzend pochten Verbandsfunktionäre darauf, dass ihr System das einzig gesunde und funktionierende Gesundheitssystem in Deutschland sei und die PKV der „Innovationsmotor des Gesundheitssystems“. Von einer Wachstumsbranche, bei denen etwa zehn Prozent der Bundesbürger voll versichert sind, war die Rede. Für viele war es nicht vorstellbar, dass die privaten Versicherungen einmal den Staat um Hilfe rufen, weil ihnen die Kosten entgleiten. Doch seit letzter Woche ist genau das Realität.
Nachdem die Bundesregierung ein umfangreiches Sparpaket für die gesetzlichen Versicherungen verabschiedet hat, will nun auch die private Versicherungskonkurrenz davon profitieren. Die Regierung plant daher, Regelungen aus dem Sparpaket für die gesetzlichen Krankenversicherungen auch für die PKV in einzelnen Bereichen anzuwenden. So sollen Preissenkungen bei Medikamenten für beide Versicherungsmodelle gelten. Mit der Neuregelung könnte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die PKV noch einmal um 500 Mio. Euro pro Jahr entlasten. Verlierer wäre die Pharmaindustrie. Die Stimmung ist daher mehr als gereizt. „Wir werden in Deutschland zur Melkkuh einer verfehlten Gesundheitspolitik“, klagt daher ein Vorstandsmitglied eines europäischen Pharmakonzerns.
Die neue Sparrunden im Gesundheitswesen: Pharmaverbände und Branchenexperten warnen schon vor den erheblichen Belastungen für die Pharmaindustrie. „Nichts ist für Pharmaunternehmen, die jährlich allein in Deutschland fünf Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung investieren, wichtiger als Prognosesicherheit“, sagte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimittelunternehmen (vfa), dem wichtigsten Sprachrohr der Pharmabranche. „Bereits die willkürliche Erhöhung des Zwangsrabattes auf 16 Prozent, die die Unternehmen mit 1,2 Mrd. Euro jährlich belasten wird, war daher ein fatales Signal.“ Der Pharmaverband sieht Investitionen in den Forschungsstandort Deutschland gefährdet, der in den letzten zehn Jahren ohnehin an Bedeutung für die Branche verloren hat. „Wenn der Arzneimittelmarkt neu geordnet werden soll, braucht es ein stringentes Konzept. Aber dann bitte auch über faire Verfahren und ordnungspolitisch einwandfreie Lösungen“, sagte Yzer.
Allein die Einsparungen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen treffen die Pillenbranche mit mehr als einer Mrd. Euro pro Jahr. Die Entlastung der PKV schlägt nun wohl noch einmal mit weiteren 500 Mio. Euro zu Buche – und das nur in Deutschland. Auch weltweit sieht es ähnlich aus. Kaum ein Industrieland, in dem die Branche derzeit nicht mit Einsparungen im Gesundheitswesen konfrontiert ist.
Die Umsatzverluste treffen die Pharmaindustrie zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Während in den staatlichen Gesundheitssystemen immer mehr gestrichen und gespart wird, geraten die Firmen bei der Suche nach neuen Geschäftsmöglichkeiten ins Hintertreffen: Wurden etwa von 1988 bis 1992 noch 214 neue Wirkstoffe auf den Markt gebracht, waren es 2004 bis 2008 nur noch 144. „Die weltweiten Kürzungen im Gesundheitswesen haben im letzten Jahrzehnt auch dazu geführt, dass sich die Pharmaunternehmen von vielen Therapiegebieten verabschiedet und sich nur noch auf wenige Forschungsgebiete konzentriert haben“, sagt der renommierte Pharmaexperte Michael Klingler von der Unternehmensberatung RSVP aus Wiesbaden.
Wenige Forschungsfelder
Noch vor zehn Jahren hätten die Top20 der Branche eine breite Aufstellung bei forschungsintensiven Medikamenten gehabt, so Klingler. Heute hingegen gehe der Trend klar dazu, sich auf wenige Forschungsfelder zu konzentrieren. „Das Nachsehen haben die Patienten.“
Immer mehr Firmen ziehen sich aus der Erforschung von Therapiegebieten zurück, die nicht mehr lukrativ erscheinen. Betroffen davon sind etwa 7000 bis 8000 der etwa 30.000 bekannten Krankheiten. Nur für die wenigsten gibt es langfristige Forschungsprojekte. Allein in der EU leiden 30 Millionen Menschen an diesen sogenannten „Seltenen Krankheiten“.
Noch verdienen die Pharmafirmen gut an dem Geschäft mit den Krankheiten. Umsatzrenditen von 30 Prozent und mehr sind Standard. Doch der wirtschaftliche Druck wächst. Viele Pharmahersteller suchen daher schon seit einigen Jahren den Ausweg in Fusionen mit Konkurrenten oder deren Übernahme. Vor einigen Jahren führte der Preisdruck in der deutschen Branche für günstige Medikamenten-Kopien – sogenannt Generika – bereits zu einer Oligopolstellung: Hexal und Ratiopharm diktierten in Deutschland nicht nur die Preise, sondern auch, wer welche Medikamente vertreiben kann. Ende der 90er-Jahre erreichten die drei großen Anbieter Hexal, Ratiopharm und Stada gerade mal einen Marktanteil von 30 Prozent. 2004 lag der Anteil bereits bei mehr als 50 Prozent. Heute sind Hexal und Ratiopharm selbst längst von internationalen Pharmaunternehmen aufgekauft worden.
Und auch bei den traditionellen Pharmafirmen jagt trotz Finanzkrise eine Milliardenübernahme die andere – dabei greifen die Manager tief in die Kasse: Im Januar legte der Schweizer Pharmakonzern Novartis ein 50-Milliarden-Dollar-Angebot für den US-Konkurrenten Alcon vor. Zuvor hatte der Schweizer Pharmariese Roche rund 44 Mrd. Dollar für das US-Biotech-Unternehmen Genentech bezahlt, Pfizer sicherte sich im Frühjahr 2009 für gut 70 Mrd. Dollar den US-Konkurrenten Wyeth. Wenige große Konzerne werden künftig den Ton in der Branche angeben. Und was damit gemeint ist, hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr zu spüren bekommen. Sie sah sich bei den Verhandlungen um den Kauf von Impfstoffen gegen die Schweinegrippe einer Marktmacht von nur drei Anbietern gegenüber und musste letztlich die Preise akzeptieren, die von den Firmen verlangt wurden. Das war nur ein Vorgeschmack darauf, was der Politik in den nächsten Jahren durch Medikamenten-Oligopole blühen könnte.
Rezeptfrei wird teurer
Die neuen Sparrunden werden diesen Trend forcieren, auch in Deutschland. „Konkrete Zahlen liegen noch nicht auf dem Tisch“, heißt es bei einem deutschen Pharmaunternehmen. „Daher können wir die genauen finanziellen Folgen noch nicht abschätzen.“ Kurzfristig werden die Pharmahersteller die Umsatzverluste aller Sparmaßnahmen der Bundesregierung von gut 1,5 Mrd. Euro nicht so ohne weiteres wegstecken können. Auch wenn Pharmariesen wie etwa der Bayer-Konzern die Belastungen von gut 15 Mio. Euro im Deutschland-Geschäft wegen ihrer Größe noch kompensieren können, sieht es bei anderen Firmen nicht so gut aus. „Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Unternehmen Preisanpassungen im Bereich der verschreibungsfreien Medikamente prüfen, um die Umsatzverluste zu kom?pensieren. Aber das kann auch nicht jede Pharmafirma wegen ihres Portfolios machen“, sagt Unternehmensberater Klingler. Konkret bedeute dies: Rezeptfreie Medikamente einer Firma werden teurer, rezeptpflichtige Arzneimittel billiger. Letztlich würde der Patient damit zur Kasse gebeten.