Zu heiß? Zu teuer? Verspätung? Weltweit ärgern sich Reisende über die Bahn. WELT ONLINE gibt Ihnen einen Überblick.

Defekte Klimaanlagen haben Reisenden der Deutschen Bahn in diesem Sommer das Leben schwer gemacht. Doch so dramatisch die Fahrten der „Sauna-ICEs“ waren – in anderen Ländern geht es oft noch schlimmer zu. Korrespondenten berichten.

Italien

Die Fenster sind geöffnet, trotzdem stehen den Fahrgästen Schweißperlen auf der Stirn. „Wollen wir das Fenster schließen und schauen, ob die Klimaanlage funktioniert?“, fragt eine ältere Frau. Sie sitzt im Zug von Mailand in Richtung Lecco, am Comer See. Es ist Samstagmorgen, fast jeder Platz ist besetzt. Draußen herrschen mehr als 30 Grad Celsius. Eine Mitreisende nickt. „Probieren wir es.“ Es ist ein oft wiederholtes Ritual in Italiens Regionalzügen: Fenster schließen, schauen ob die Klimaanlage arbeitet. Meist reißen die die Pendler schnell wieder hechelnd die Fenster auf. So auch heute. Im Regionalexpress ein Abteil mit Klimaanlage zu finden ist ein Glücksfall.

Solche Zustände ärgern die Pendler. Denn es geht auch anders. Auf großen Bahnhöfen stehen seit eineinhalb Jahren die Schnellzüge Freccerosse, die roten Pfeile. Von Mailand nach Rom düsen sie in drei Stunden. In den Wagons ist die Luft kühl. Die Toiletten sind sauber. Man erhält einen Sitzplatz. Und in der ersten Klasse Orangensaft und Tageszeitung.

Im Regionalverkehr hingegen erleben Pendler den täglichen Horror. Frühe Züge sind überlastet. Oft kommen sie zu spät oder bleiben auf der Strecke stehen. Dann kommt nicht mal mehr Zugluft in die Wagen. Die Pendler wehren sich. Sie blockieren Gleise, um zu protestieren. In Bergamo verbarrikadierten sie sich in einem Schaffnergebäude. In Genua rief ein Verband dazu auf, defekte Klimaanlagen dem Katastrophenschutz zu melden.

Besserung ist nicht in Sicht, denn der Regionalverkehr hängt am Tropf des Staates. Und Italiens Regierung hat gerade ein Sparpaket durch das Parlament geboxt, das die Subventionen für den Nahverkehr kürzt. Es wird also noch mehr geschwitzt. Andre Tauber

USA

Wer in Amerika einen Zug besteigt darf Schal und Strickjacke nicht vergessen. Denn die Wagen sind Sommer wie Winter auf die gefühlte Temperatur eines Gefrierschranks herab gekühlt. An der Ostküste steckt die Bahn bei Hitzewellen Temperaturen von an die 40 Grad Celsius und die hohe Luftfeuchtigkeit bisher gut weg.

Doch Anfang Juni kam es zu einer ähnlichen Szene wie in den „Sauna-ICEs“ – wenn auch mit anderer Ursache: Zwischen Boston und New York zog ein Passagier ohne Grund die Notbremse. Danach dauerte es mehr als zwei Stunden, bis die Maschinen wieder anfahren konnten. Die Klimaanlage funktionierte in der Zeit nicht. Der Zugführer öffnete die Türen, doch das brachte bei 35 Grad Außentemperatur kaum Linderung. Die Schaffner verteilten Wasser an die 600 Passagiere, die vergleichsweise ruhig blieben.

Amtrak hat seither einen Notfallplan aufgestellt. Die Züge werden mit mehr Wasserflaschen ausgestattet, außerdem dürfen die Schaffner bei Klima-Pannen künftig die Verbindungstüren zwischen den Wagen öffnen, um einen besseren Luftzug zu ermöglichen. Sie sollen die Passagiere dann auch ständig auf dem Laufenden halten um eine Panik zu vermeiden. Alle 30 bis 50 Meilen will Amtrak eine Ersatzlokomotive aufstellen, die einspringen kann, wenn eine andere Maschine wegen der Hitze unterwegs schlapp macht. Viktoria Unterreiner

Schweden

Normalerweise kann man nicht komfortabler und stressfreier von Göteborg oder Kopenhagen nach Stockholm zu fahren als mit dem Zug. Der schwedische Schnellzug X 2000 ähnelt einem im skandinavischen Stil eingerichteten Wohnzimmer, die Sitze sind komfortabel wie Alvar Aalto-Sessel und an jedem Platz gibt es Internetzugang. Die Reisezeit per Bahn ist zwar länger als per Flieger, kann aber bestens zum Lesen, Ruhen oder Arbeiten genutzt werden. Normalerweise. In diesem Jahr kämpft die staatliche Bahn SJ mit dem Wetter. „Am 13. Juli um 12 Uhr erreichte SJ seinen Tiefpunkt“, urteilt die Zeitung Dagens Nyheter. An jenem Dienstag saß ein X 2000 kurz vor Stockholm sechs Stunden lang in sengender Hitze fest. Obwohl es bis zum Hauptbahnhof nur noch zehn Fahrminuten waren, wurden die Passagiere nicht abgeholt. Das Wasser ging zur Neige, die Hitze im Inneren nahm zu. Ein Passagier musste ins Krankenhaus.

Schwedens Bahn hat wieder ein Imageproblem. Schon im Winter gab es massive Probleme, zahlreiche Züge fielen wegen des starken Schneefalls aus. Reisende erreichten ihr Ziel nicht, die Bahnhöfe waren überfüllt. Rund 30 Millionen Euro soll das winterliche Chaos SJ gekostet haben.

Der Bahnkonzern weist die Verantwortung von sich. Man habe den schlimmsten Winter seit 150 Jahren gehabt, sagt SJ-Chef Jan Forsberg. Die für Schneeräumung verantwortliche Verkehrsbehörde Trafikverket sei schuld. Wegen ihr seien auch die vor Stockholm gestrandeten Passagiere nicht schnell abgeholt worden. Nun bemüht sich die Bahn um ihre Kunden. Im Sommer wird mehr Wasser und Essen in den Zügen mitgeführt und das Begleitpersonal verstärkt. Außerdem bekommen die gestrandeten Reisenden rund 90 Euro Entschädigung. Ein zuverlässiger Zug wäre den meisten aber lieber. Clemens Bomsdorf

Frankreich

Sie hat eines der besten Hochgeschwindigkeitsnetze der Welt. Und doch ist die französische Staatsbahn SNCF nicht vor Pannen gefeit. Die Klimaanlagen im Hochgeschwindigkeitszug TGV seien wie die im ICE ebenfalls nur für Temperaturen bis 32 Grad Celsius ausgelegt, erklärt EADS-Chef Louis Gallois, der von 1996 bis 2006 an der Spitze der SNCF stand: „In heißen Sommern hatten auch wir Probleme mit den Klimaanlagen.“

Das Wetter bereitet Bahnfahrern in Frankreich oft Sorgen. So mussten Anfang Juli 1200 Passagiere zehn Stunden in einem Schnellzug von Paris nach Clermont-Ferrand ausharren. Ein Blitzeinschlag hatte die Abfahrt verzögert und der Zug schob eine liegen gebliebene Lok vor sich her. Im Winter kam es wegen eisiger Temperaturen und Schnee bei den TGVs zu Verspätungen von zwei bis sechs Stunden.

Für Ärger sorgte zuletzt die Reservierungsseite der SNCF im Internet. Vor dem langen Pfingstwochenende fiel sie einen ganzen Tag lang aus. Ein anderes Problem sind Streiks: Wird ein Kontrolleur angegriffen, legen seine Kollegen auf der betroffenen Strecke die Arbeit nieder. So wie Ende März in den Nachtzügen, die von Paris Austerlitz nach Südosten fahren. Im April fuhren mehrere Nächte lang keine Nachtzüge im Inland, da die Gewerkschaften mit einem Streik ihrer Forderung nach Einstellung von mehr Mitarbeitern Nachdruck verleihen wollten. Anfang 2009 legten Streiks den Betrieb der Nahverkehrszüge am Pariser Gare St.Lazare mehrere Wochen lang lahm.

Unvergessen ist die Pannenserie vor zwei Jahren. Damals rissen Oberleitungen, so dass einige TGVs Verspätungen von mehreren Stunden hatten. SNCF-Chef Guillaume Pépy ordnete eine Überprüfung der Infrastruktur an. Ergebnis: Viele Oberleitungen sind veraltet. Die Renovierung wird mindestens vier Jahre dauern und 400 Millionen Euro kosten. Gesche Wüpper

Belgien

Wer sich an den 18.Dezember 2009 erinnert, dem könnte der Schweiß ausbrechen. Damals blieben vier Eurostar-Züge im Tunnel unter dem Ärmelkanal hängen. Die Außentemperatur lag bei minus zehn Grad Celsius, im Tunnel hingegen herrschten 25 Grad. Die Elektronik der Züge verkraftete das entstehende Schmelzwasser nicht. Paff, aus, Ende. Mehr als 2000 Frauen, Männer und Kinder steckten fest, bis zu 15 Stunden lang. Die Klimaanlage fiel aus, die Temperaturen stiegen auf subtropische Grade, am Ende funktionierten in den 18 Waggons nur noch zwei WCs, das Wasser ging aus, Passagiere übergaben sich in den Gängen.

Für viele der 60.000 Reisenden, die am folgenden Montag in London, Brüssel oder Paris festsaßen, geriet die Idee einer Rückkehr per Fähre zum Albtraum. Wegen des Schnees gab es in England zunächst keine Regionalzüge nach Dover. Dort sperrte die Polizei schließlich das Hafenterminal wegen Überfüllung. Kilometerlange Autoschlangen bildeten sich, zunehmend aggressive Reisende warteten in einem umfunktionierten Zollgebäude. Auf dem Festland schließlich waren die Autobahnen in Frankreich und Belgien vereist und die Busfahrt, die Eurostar für Passagiere kurzfristig organisiert hatte, dauerte unendlich lang. Normalerweise dauert die Fahrt Brüssel-London 1 Stunde 56 Minuten. An jenem Dezembertag wurden daraus 18 Stunden. Längst fährt der Eurostar wieder. Meistens sogar pünktlich. Stefanie Bolzen

Spanien

Mit hohen Temperaturen hat die Bahn in Spanien viel Erfahrung. Auch in den ICE und Talgo 350-Zügen der staatlichen Eisenbahngesellschaft Renfe sind die Klimaanlagen schon ausgefallen, allerdings ohne schwerwiegende Folgen. „Wenn es einen Zwischenfall gibt, hält der Zug sofort bei der nächsten Station und wird durch einen neuen ersetzt“, sagt ein Renfe-Sprecher. Schließlich herrschten auf den Süd-Strecken, etwa nach Sevilla zuweilen 50 Grad Celsius, da könne man kein Risiko eingehen.

„Sollten die Passagiere durch einen eventuellen Zugtausch Verspätungen erleiden, erstatten wir ihnen die Tickets“, sagt der Sprecher. Die Renfe hat außerdem sich der Pünktlichkeit verschrieben. Kommt ein Schnellzug 15 Minuten später als geplant an, gibt es 50 Prozent des Reisepreises zurück, bei 30 Minuten wird das ganze Ticket erstattet. Im Übrigen leidet man in Spaniens Zügen normalerweise nicht unter zu hohen Temperaturen, sondern dem Gegenteil: dass die Klimaanlage zu kalt eingestellt ist und man während der Fahrt friert. Ute Müller

Indien

Defekte Klimaanlagen zählen für Bahnreisende in Indien zu den eher kleinen Problemen. Schlimmer sind die massiven Sicherheitsmängel: Allein in den vergangenen zwölf Monaten starben fast 250 Menschen. Ursache ist unter anderem die marode Infrastruktur der indischen Bahn, deren Ursprünge in den 1840er-Jahren liegen.

Anders als sein deutsches Pendant wird der Staatskonzern Indian Railways noch vom Eisenbahnministerium geführt. Mit ihren 1,6 Millionen Mitarbeitern gilt sie als bürokratisch und ineffizient. Zum Ärger der 13 Millionen Inder, die täglich mit dem Zug reisen. Selbst Geschäftskunden macht es die Bahn nicht leicht. So fehlten im Bahnhof von Neu Delhi Anfang Juli an einem Fernzug nach Süden drei Wagen der teuren, klimatisierten AC-Klasse. Da sie ihre Bett-Plätze wie üblich Wochen im Voraus gebucht hatten, gerieten die Reisenden in Panik. Ein Bahnsprecher sagte der „Times of India“, alle hätten einen Platz bekommen.

Der war möglicherweise ungemütlich. In einfachen Wagenklassen gibt es statt Klimaanlagen vergitterte Fenster ohne Scheiben. Immerhin kommt es dort seltener zu Rattenplagen, sagt ein Bahnsprecher: „In Schlafwagen ohne Klimaanlage werfen die Passagiere die Reste ihres Mittag- und Abendessens aus dem Fenster. Aber in den AC-Wagen werden die benutzten Teller unter die Sitze geschoben.“ Das locke Ratten, Kakerlaken und Schaben an.

Angesichts der Reisedauer ist Essen im Zug normal. So braucht der „Trivandrum Express“ für die 712 Kilometer von der IT-Hochburg Bangalore nach Thiruvananthapuram im Süden 17 Stunden – stundenlange Verspätung nicht eingerechnet. Daniel Zwick

Quelle: Welt Online