Der Finanzminister will die Sommerpause für einen Dreh an der Ökosteuer nutzen. Nun gehen Industrie und Gewerkschaften auf die Barrikaden.
In Zeiten größter Not darf man bei der Wahl seiner Verbündeten nicht zimperlich sein. Das zeigt sich auch derzeit wieder: Der jüngste Coup von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sorgt dafür, dass sich in der Wirtschaft eine ungewöhnliche Allianz bildet. Gewerkschafter und Industrieverbände stehen zusammen gegen Schäubles Versuch auf, die für die Unternehmen geltenden Ausnahmen von der Ökosteuer zusammenzustreichen.
„Aus Sorge um Arbeitsplätze in Deutschland und aus Sorge um den Erhalt der in Deutschland noch geschlossenen Wertschöpfungsketten appellieren wir an die Bundesregierung, von einer weiteren Verteuerung der Energie für die Industrie abzusehen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und des Bundesverbands der Industrie (BDI).
Das Papier soll der Bundesregierung morgen zugestellt werden und liegt der „Welt am Sonntag“ vorab vor. Die Unterzeichner, IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis und BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf, warnen vor der schleichenden „Deindustrialisierung“ Deutschlands. „Es muss gelten, den Industriestandort Deutschland zu stärken, doch die Vorschläge zu einer weiteren nationalen Verteuerung der Energie für die Industrie bewirken das Gegenteil“, heißt es weiter. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl schloss sich dem Aufruf ebenso an wie der Verband der Chemischen Industrie und der Bundesverband Baustoffe, Steine, Erden.
Geradezu „geschockt“ hatten die Wirtschaftsvertreter in der abgelaufenen Woche einen „Diskussionsentwurf“ aus dem Hause Schäuble zum Sparpaket der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen müssen. Darin hatte der Bundesfinanzminister vorgeschlagen, die 1999 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung konzipierte Ökosteuer noch einmal zu verschärfen. Die Erleichterungen, die Sozialdemokraten und Grüne dem produzierenden Gewerbe noch zugestanden hatten, um dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden, sollen nach dem Willen Schäubles nun weitgehend zusammengestrichen werden.
Dazu gehören vor allem die ermäßigten Energie- und Stromsteuersätze. Weil eine breite, öffentliche Diskussion der Steuerpläne während der parlamentarischen Sommerpause nicht zu erwarten ist, soll das Vorhaben noch vor Ende August vom Kabinett abgesegnet werden, glauben die Wirtschaftsverbände.
Kippen die Ökosteuer-Ausnahmen, droht nach den Berechnungen des BDI insbesondere bei mittelständischen, energieintensiven Betrieben eine Kostenexplosion. So muss ein Unternehmen der Papierindustrie mit 500 Mitarbeitern und einem Jahresausstoß von gut 380.000 Tonnen derzeit rund 518.000 Euro jährlich an Strom- und Energiesteuern zahlen. Nach Schäubles Plänen würde diese Steuerbelastung bis 2012 um 593 Prozent steigen – auf dann mehr als 3,5 Millionen Euro jährlich.
Schlimmer noch sieht es bei einem kleinen Zement-Mahlwerk mit 30 Mitarbeitern aus, das derzeit jährlich 23?800 Euro Energiesteuern abführt. Setzt sich der Bundesfinanzminister durch, steigt die Steuerlast hier bis 2012 um 750 Prozent auf 202.400 Euro.
Geradezu grotesk wirken die Ausmaße, die die geplante Ökosteuer-Novelle auf die Betriebe der Metallindustrie haben würde. Eine real existierende kleine Gießerei mit angeschlossenem Walzwerk, die heute 6470 Euro jährlich für Energie und Strom an den Fiskus abführt, würde ab 2012 sogar 78.290 Euro berappen müssen – eine Kostensteigerung um 1110 Prozent innerhalb von nur zwei Jahren. Daher sieht sich der Papierunternehmer Christopher Grünewald, der auch Vorsitzender des BDI-Ausschusses Energie- und Klimapolitik ist, vor die Grundsatzfrage gestellt, „ob energieintensive Branchen hierzulande auf Dauer überhaupt noch eine Chance haben“.
Die Empörung der Wirtschaftsverbände ist besonders groß, weil sie sich eigentlich durch einen Regierungsvertrag geschützt fühlten. Im November 2000 hatte die damalige Bundesregierung mit den Industrieverbänden eine „Klimavereinbarung“ unterzeichnet, die noch bis Ende 2012 Gültigkeit hat. Inhalt: Die Betriebe verpflichteten sich, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen wie Kohlendioxid bis zum Jahr 2012 um 21 Prozent zu senken.
Im Gegenzug werde sich die Politik „dafür einsetzen, dass der Wirtschaft auch bei der Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform im internationalen Vergleich keine Wettbewerbsnachteile entstehen“, wie es im Vertrag wörtlich heißt. Die Bundesregierung, so die Begründung, habe die Anstrengungen der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge „bereits beim Einstieg in die ökologische Steuerreform berücksichtigt“.
Schöne Worte, die jetzt offenbar nicht mehr zählen sollen. Schäubles Ökosteuer-Pläne „stellen einen Bruch der geltenden Klimaschutzvereinbarung dar“, heißt es in der Erklärung von Gewerkschaftern und Industrieverbänden. Die zugesagten Emissionsminderungen „wurden von der Wirtschaft erreicht.“ Jetzt müsse auch die Politik ihren Teil der Abmachung erfüllen.
Kommt es wirklich zum Bruch der Klimavereinbarung, dürfte das der Bundesregierung wohl die letzten Sympathien der Wirtschaft rauben. „Der Bundesfinanzminister darf den Aufschwung nicht durch eine kurzsichtige Steuererhöhung verspielen“, schimpft Klaus Engel, der Vorstandsvorsitzende der Evonik Industries AG. Mit dem Sparkurs wollte die Bundesregierung ja gerade die Zukunft sichern. „Nun will sie an das Geld der Firmen, das diese dringend für Investitionen und Wachstum brauchen.“
Die Bundesregierung müsse daher die Regelung im Interesse aller überdenken, fordert Engel, der auch Vizepräsident des Verbandes der Chemischen Industrie ist: „Sonst kann Deutschland mit viel zu hohen Energiepreisen und immer höheren Steuern weltweit nicht bestehen.“
Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr?
Ulrich Grillo, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM), wird noch deutlicher: „Welcher Unternehmer kann mit der Verdopplung bis Verachtfachung der Energiekosten leben und darauf aufbauend Investitionen am Standort Deutschland tätigen?“ Die von der Bundesregierung „im Eilverfahren und ohne fachlichen Dialog avisierten höheren Energiesteuern würden den Zweck der Ausnahmeregelungen von der Ökosteuer, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, ins Gegenteil verkehren“, glaubt Grillo.
Der Grund der Entlastung sei für die energieintensiven Unternehmen ja nicht weggefallen. „Ganz im Gegenteil“, so Grillo. Bei den in den letzten Jahren gestiegenen politischen Kosten durch Ökosteuer, Erneuerbare-Energien-Gesetz und Emissionshandel seien „die Entlastungskürzungen bei der Ökosteuer eine Gefahr für die stromkostenempfindlichen Unternehmen in Deutschland“.