Die Mafia beherrscht ganze Wirtschaftszweige auf Sizilien. Doch mutige Geschäftsleute wollen sich ihrer Kontrolle entziehen.

Mittagshitze in Palermo. Flirrend, stechend, lähmend. Die Straßen sind staubig und verlassen. Kaum jemand ist unterwegs. Schon gar nicht zu Fuß. In den Hauseingängen liegen Katzen, sie blinzeln matt. Die Geschäfte haben die Rollladen heruntergelassen, sie öffnen erst wieder um 17 Uhr. Auf der sonst so quirligen Via Roma sucht eine deutsche Familie nach einem Restaurant. Nicht irgendeines soll es sein, die Urlauber aus Frankfurt orientieren sich an einem Stadtplan, der Restaurants mit dem Label „pizzo-free“ aufführt.

Der „pizzo“ ist das Schutzgeld, das die Mafia von jedem verlangt, der eine wirtschaftliche Aktivität hat, sei es ein Malerbetrieb, eine Apotheke, ein Restaurant, ein Geschäft oder ein Hotel. Die Höhe des Schutzgeldes richtet sich nach der Höhe des Gewinns und wird monatlich eingetrieben. Für viele Unternehmen auf Sizilien ist es nichts anderes als eine zusätzliche Steuer. Doch in der Krise, die den strukturschwachen Süden Italiens besonders hart trifft, schmerzt jede Ausgabe und den „pizzo“ kann man nicht einmal offiziell als Ausgabe deklarieren.

Die Familie aus Frankfurt landet schließlich im Restaurant „Il mirto e la rosa“ von Antonella Sgrillo. Feines Essen in stilvollem Ambiente – die Hausherrin hat Geschmack. Vor allem aber hat sie Mut. Antonella Sgrillo zahlt nicht nur kein Schutzgeld, sondern überzeugt auch immer mehr andere Restaurant- und Ladenbesitzer in Palermo, es ihr gleichzutun. „Erstens ist es würdelos, sich den frechen Forderungen der Mafiosi zu beugen und zweitens ist es geschäftsfördernd, sich der Pizzo-free-Kampagne anzuschließen“, sagt sie mit einem Blick auf die Gäste aus Deutschland. Seit es die „Pizzo-free-touristmap“ gibt, macht sie fast 30 Prozent ihres Umsatzes mit Besuchern aus dem Ausland. „Wir wollen mit unseren Urlaubsausgaben doch nicht die Mafia unterstützen“, erklären die Frankfurter ihre Wahl. Sie logieren in einem Vier-Sterne-Hotel außerhalb von Palermo, ebenfalls schutzgeldfrei. Kontrolliert wird das von einem Komitee des Vereins „Addiopizzo“ auf Deutsch: „Tschüss Schutzgeld“.

Unternehmer wollen saubere Parallelwirtschaft aufbauen

Der Verein bekam weltweite Aufmerksamkeit, als er ganz Palermo mit dem Satz plakatierte: „Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, hat keine Würde“. Seitdem sind sechs Jahre vergangen, und die idealistischen Studenten von damals haben Erfahrung gesammelt und sich international vernetzt. Anfangs wurden sie wenig ernst genommen mit ihrer Idee, eine saubere Parallelwirtschaft aufzubauen, an der die Mafia nichts verdient. Heute haben sie mehr als 400 Mitglieder und einen direkten Draht zur Polizei.

Unternehmer, die ihre Schutzgelderpresser anzeigen wollen, finden bei „Addiopizzo“ kompetente Ansprechpartner und eine professionelle Betreuung von der Anzeige bis zum Prozess. „Diese jungen Leute haben ein Know-how entwickelt, das ich bewundere. Sie stehen für eine Generation Sizilianer, die sich nicht mehr bevormunden lässt und in die Offensive geht, statt sich der Herrschaft der Mafia zu beugen“, sagt Rita Borsellino, Schwester des ermordeten Ermittlungsrichters Paolo Borsellino und Abgeordnete des EU-Parlamentes.

Es weht ein anderer Wind durch Palermos Wirtschaftsleben, das bestätigt auch Ivanhoe Lo Bello, der Präsident des Industriellenverbandes in Sizilien. Gemeinsam mit einer Handvoll gleichgesinnten Unternehmern hat er eine folgenschwere Wende innerhalb des mächtigen Arbeitgeberverbandes eingeleitet. Statt Stillschweigen über Verbindungen zwischen Unternehmen und der Mafia zu bewahren, hat Lo Bello das Thema Schutzgeld zur Chefsache erklärt. Seitdem gilt: Wer den „pizzo“ zahlt, wird ausgeschlossen. Langjährige Verbandsmitglieder mussten erfahren, dass das keine leeren Worte sind. Trotz Anfeindungen hält Lo Bello an seinem Kurs fest: „In einer modernen Wirtschaftsordnung ist kein Platz für Schutzgeldzahlungen. Wir müssen dieses unselige System endlich hinter uns lassen.“

„Der pizzo ist das subtile Mittel, um uns immer wieder daran zu erinnern, wer hier regiert“, sagt Andrea, der gemeinsam mit seiner Freundin Noemi eine Pension im Herzen Palermos führt. In Sizilien regiert nicht der Staat, sondern die Mafia. Und wer es hier zu etwas bringen will, ohne die Fürsprache der Bosse zu erbitten, hat es schwer. Trotzdem steigt die Zahl der Sizilianer, die sich gegen das bestehende System wehren. Es sind junge Unternehmer wie Andrea, der sich mit seiner Zimmervermietung selbst Arbeit geschaffen hat. Schutzgeld zu zahlen kommt für ihn nicht in Frage. „Ich wäre kein freier Mann mehr, sondern ein Sklave der Mafia und außerdem verdiene ich mit dem „pizzo-free“-Zertifikat besser. Ich habe das Haus voll mit Touristen, die der Mafia kein Geld in den Rachen werfen wollen.“ Andrea lacht.

Viele Wirtschaftszweige sind von der Mafia unterwandert

Dass es einmal ein wirtschaftlicher Vorteil sein wird, Mitglied in der Anti-Schutzgeld-Vereinigung „Addiopizzo“ zu sein, hätte bei ihrer Gründung vor sechs Jahren niemand geglaubt. Bis dahin riskierte ein Unternehmer, der seine Schutzgelderpresser anzeigte, nicht nur sein Leben, sondern auch den wirtschaftlichen Ruin. Der Bauunternehmer Maurizio Vara hat das selbst erlebt. Seine Firma machte Bankrott, nachdem er 2002 zur Polizei gegangen war. Die Lieferanten weigerten sich plötzlich, ihm Baumaterial zu liefern, Kunden zogen ihre Aufträge zurück, Nachbarn grüßten nicht mehr.

„Ich war ein Aussätziger und stand mit meiner Familie vollkommen allein da“, erinnert sich der 40-Jährige. „Mein Fehler war, dass ich auf die ersten Forderungen eingegangen war und zahlte. Aber die Summen wurden immer höher, außerdem sollte ich bestimmte Leute bei mir einstellen. Irgendwann spazierten die Mafiosi bei mir ein und aus, nahmen sich Baumaterial und Maschinen wie es ihnen gefiel und bei Protest wurde nicht lange gefackelt.“ Für Maurizio Vara öffnete sich die Hölle. Die Reifen seines Autos wurden zerstochen, die Fabrikhalle angezündet. Als sie ihm auflauerten und ihn bedrohten, entschloss er sich zur Anzeige. Seine Firma habe er damals verloren, aber seine Würde wieder gewonnen, sagt er heute. Der Beitritt zu „Addiopizzo“ war für ihn ein selbstverständlicher Schritt.

Andere aus seiner Branche schließen sich der Organisation gegen das Schutzgeld erst seit kurzem an. Der Bausektor ist stark von der Mafia unterwandert und über öffentliche Aufträge auch an korrupte Mitarbeiter der Verwaltung und Politiker gebunden. Maurizio Vara will bei den gezinkten Ausschreibungen nicht mehr mitmachen, sondern sich voll auf Privatkunden konzentrieren. Sein neues Unternehmen ist kleiner als die frühere Firma, aber mit 200.000 Euro Gewinn im Jahr ist es auf einem guten Weg. Vara schwebt eine alternative Bauwirtschaft vor, wo vom Ziegelstein bis zum Heizkörper alles aus pizzo-free-Produktion stammt.

„Zusammen sind wir stark“, sagt der dreifache Vater und denkt mit Dankbarkeit an einen Kollegen, den er über „Addiopizzo“ kennengelernt hat und der ihm einen Auftrag weiterleitete, mit dem er sein Business neu starten konnte. Für sein neustes Projekt, eine Reihenhaussiedlung, hat er sich die Lieferanten aus der Mitgliederliste von „Addiopizzo“ ausgesucht. „Was fehlt, ist ein Zementhersteller und ohne den geht es leider nicht“, ärgert sich Maurizio Vara. Doch er ist optimistisch. „Addiopizzo“ gewinnt immer mehr Anhänger, nicht nur in Palermo, sondern in ganz Sizilien. Vor allem seit der reuige Mafioso Giuseppe di Maio ausgesagt hat, dass die Mafia bei den Mitgliedern von „Addiopizzo“ schon gar nicht mehr versucht, Schutzgeld zu erpressen, weil sie weiß, dass das zur Anzeige führt, häufen sich die Aufnahmeanfragen.

Sizilianer träumen vom Wirtschaftswunder ohne Mafia

Aber erst, wenn es mehrere Mitglieder aus der gleichen Branche in einem Ort gibt, werden die Namen veröffentlicht. „Wir sind um die Sicherheit unserer Mitglieder besorgt und werden sicher nicht leichtsinnig“ sagt Veronica Chisari, eine Studentin mit dunklem Pagenkopf. Jüngst haben sie und ihre Mitstreiter einen eigenen Laden eröffnet. In der „Bottega dei sapori“ werden Waren von mehr als 30 Produzenten verkauft, alle garantiert schutzgeldfrei. Kleidung, Bücher, Wein, Nudeln, Olivenöl und die echt sizilianische „Caponata“ im Glas, eine süßsauer zubereitete Speise aus Paprika, Auberginen, Kapern und Zwiebeln. Die Lebensmittel tragen fast alle das Siegel der Organisation „Libera Terra“, die landwirtschaftliche Produkte von konfiszierten Mafialändereien vermarktet. Das Angebot richtet sich an kritische Konsumenten, Vorbild ist der Erfolg des „fairen Handels“ mit Kleinproduzenten in unterentwickelten Ländern.

Der schutzgeldfreie Wirtschaftskreislauf gewinnt immer mehr an Fahrt. So haben drei der Gründer von „Addiopizzo“ inzwischen auch einen alternativen Reiseveranstalter aufgebaut, der geführte Sizilienreisen anbietet, ohne der Mafia Geld zuzuführen. „Die Idee ist uns durch Anfragen in unserem Online-Gästebuch gekommen“, sagt Edoardo, der berufsmäßig amerikanische Touristen durch Sizilien begleitet. „Immer mehr Leute schrieben uns, sie wollten nach Sizilien kommen und fragten, wo sie übernachten könnten, was es zu sehen gäbe und so weiter. Also haben wir mit Hilfe unserer Mitglieder aus der Tourismusbranche ein Paket geschnürt. Im August kommen die ersten beiden italienischen Gruppen.“ Im Oktober wird es die erste zehntägige Sizilienreise für Besucher aus Deutschland geben. „So schaffen wir Arbeitsplätze und stärken die Unternehmen, die ihr Geld ohne die Mafia verdienen wollen“, sagt Edoardo stolz. Sein Traum: ein sizilianisches Wirtschaftswunder, ohne Mafia.

Quelle: Welt Online