Eine simple Plastiktasche soll genervte Besitzer des iPhone 4 beruhigen. Apples Imageprobleme sind damit nicht gelöst.

Im Nachhinein könnte es ein schlechtes Zeichen gewesen sein. Als Apple-Chef Steve Jobs im Juni mitten in seiner Präsentation auf der Bühne des Moscone Center West in San Francisco den Anschluss verlor mit seinem gerade enthüllten iPhone 4. Mit diesem Telefon habe der Konzern den „größten Sprung nach vorn“ gemacht seit Einführung des Apple-Handys 2007, sagte Jobs noch. Und dann passierte nichts. Ausgerechnet vor mehr als 5000 Software-Entwicklern und Journalisten hatte sein von vielen als „Jesus“-Phone getauftes Handy ein Empfangsproblem.

Das ist die Stunde Null des bislang wohl größten Image-Desasters von Apple. Denn von nun an läuft alles schief. Bereits kurz nach dem Marktstart am 24. Juni schreien die ersten Käufer auf. Ihr Problem: Hält man das iPhone in der linken Hand, bucht es sich aus dem Mobilfunknetz aus. In Gebieten mit schwachem Handy-Empfang brechen Telefonate ab, das Internet-Handy ist offline, viele Programme schlichtweg nicht mehr nutzbar. Aus dem teuren Highend-Smartphone mit Kultstatus wird ein Briefbeschwerer aus Glas und Edelstahl.

Ausgerechnet die Firma, deren Name zuerst genannt wird, wenn es um die Verbindung von Elektronik und Design geht, hat einen Fehler gemacht. Um das Handy möglichst dünn zu bauen, verlegten die Ingenieure und Designer die Antennen schlichtweg nach außen. Wie ein Rahmen aus Edelstahl umziehen sie nun das Smartphone. Kommen sie jedoch an der unteren linken Seite mit einer menschlichen Hand in Berührung, was bei einem Handy ja durchaus passieren kann, sinkt die Empfangsleistung stark ab. Im schlimmsten Fall bricht die Verbindung komplett zusammen. Schnell war dafür auch ein Name gefunden: „Todesgriff.“

Apple-Chef Jobs spricht von einem branchenweiten Problem

Blogger und Journalisten in den USA sind sich einig: Apple hat ein „Antennagate“, einen handfesten Skandal in Anlehnung an die Politikaffäre „Watergate“, die schließlich einen US-Präsidenten zu Fall gebracht hat. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz machte Apple-Chef Jobs am Firmensitz im kalifornischen Cupertino klar: „Es gibt kein Antennagate.“ Die gesamte Branche habe dasselbe Problem. Nur 0,55 Prozent aller Nutzer des neuen iPhones hätten sich in dieser Sache an Apple gewandt.

Auch andere Handys verlören Empfangsstärke, wenn sie in die Hand genommen würden. Der Apple-Chef ging sogar noch weiter: „Es ist derzeit nicht möglich, ein Smartphone ohne Schwachstellen zu bauen.“ Zum Beweis führte er in einem Video einige Geräte der Konkurrenz vor, darunter auch ein Blackberry. Die Reaktionen beim Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) ließen nicht lang auf sich warten. Apple versuche, RIM in sein selbstgemachtes Debakel hineinzuziehen, hieß es dort. Das sei nicht akzeptabel.

Unwahrscheinlich auch, dass sich Apple-Nutzer mit Apples Äußerungen zufrieden geben. Viele reagierten empört auf die Erklärungsversuche. „Gebt zu, dass ihr Mist gebaut habt“, schreibt ein Leser der Technologie-Website Gizmodo. „Statt einen Designfehler einzugestehen, versucht er abzulenken“, kommentiert ein anderer beim Online-Magazin iPhone-Ticker.de Jobs Auftritt.

Jeder Käufer bekommt eine Schutzhülle geschenkt

Letztlich hat der Konzern aber kein Fehlverhalten eingestanden. Trotzdem soll jeder Käufer des neuen iPhones eine Schutzhülle dazu geschenkt bekommen, die genau die Stelle am Telefon abschirmt, die nicht berührt werden soll. Wer bereits ein iPhone 4 gekauft hat, kann die Schutzummantelung kostenlos nachbestellen. Wer schon eine Hülle gekauft hat, bekommt das Geld zurück. Wozu aber ein solches Geschenk, wenn Apple nichts falsch gemacht hat?

Tatsächlich hat das Unternehmen beim Umgang mit der Öffentlichkeit großen Nachholbedarf. Der Konzern ist so verschlossen wie kein anderes Technologieunternehmen dieser Größe. Apple bloggt nicht, Apple twittert nicht, und Apple erlaubt auch keine Fragen bei seinen Produktpräsentationen. Steve Jobs gibt kaum Interviews und spricht seit Jahren nicht mehr mit Journalisten außerhalb der USA. Andere Apple-Manager stehen zwar in seltenen Fällen für Gespräche bereit, allerdings nur unter der Voraussetzung, nicht zitiert zu werden. Auch zu dem Artikel in dieser Zeitung wollte sich Apple auf Anfrage nicht äußern. Mehr könnte sich ein Unternehmen kaum zuknöpfen.

Auch nachdem sich die Kundenbeschwerden über abgebrochene Gesprächsverbindungen beim iPhone 4 häuften, schwieg der Konzern. Dann empörte Jobs die Apple-Nutzer mit einer knappen E-Mail, in der er riet, das iPhone doch auf andere Art anzufassen. Eine Woche später veröffentlichte das Unternehmen einen „Brief von Apple bezüglich des iPhone 4“ und gab als Grund für die Probleme eine falsche Anzeige der Empfangsstärke auf dem Display der Handys an. Ein äußerst ungeschicktes Vorgehen, warf das Unternehmen seinen Kunden damit doch praktisch vor, einem Phantomschmerz aufgesessen zu sein. Ein Software-Update soll die falsche Anzeige inzwischen beheben, die Empfangsschwäche ändert sich dadurch nicht.

Apple bietet Rücknahme an

Noch vor der Pressekonferenz war Apple zunehmend unter Druck geraten. Im Hilfeforum auf der Apple-Website gibt es inzwischen mehr als 1000 Einträge zum Antennenproblem, einige Nutzer meldeten sogar, dass Apple Einträge gelöscht habe. In den weitaus meisten Beiträgen schreiben die iPhone-4-Nutzer zwar, dass sie das Antennenproblem an ihrem Gerät nicht nachvollziehen können. Doch es gibt auch andere Stimmen, wie die von „Zebra1“: „Euer Handy ist fehlerhaft. Nehmt es zurück und ersetzt es.“ Eine Rücknahme 30 Tage nach Kaufdatum hat Apple bereits angeboten.

Dass sich das Desaster nicht totschweigen lässt, war spätestens klar, als das renommierte amerikanische Verbrauchermagazin „Consumer Reports“ dem neuen Apple-Handy die Kaufempfehlung verweigerte. Das amerikanische Pendant zur deutschen Stiftung Warentest ersparte der Design-Ikone keine Peinlichkeit und riet in einem Video auf seiner Internet-Seite zur Lösung des Problems, die entsprechende Stelle am iPhone mit einem hässlichen Isolierband abzukleben. Spätestens damit war das Antennagate in aller Munde.

Am vergangenen Donnerstag schrieb sogar der US-Senator Chuck Schumer aus New York einen Brief an Steve Jobs: „Ich fordere Apple auf, iPhone-4-Kunden eine schriftliche und klare Erklärung mit dem Grund für das Empfangsproblem zu geben und sich öffentlich für eine kostenlose Lösung zu verpflichten.“

Noch kurz vor Jobs öffentlichem Auftritt am Freitag gab es Spekulationen über einen Rückruf der Geräte, wie es sie in der Automobilbranche wegen Sicherheitsmängeln häufiger gibt. Für Apple wäre das ein teures Unterfangen gewesen. Ein Analyst von Bernstein Research schätzte die Kosten dafür auf 1,2 Milliarden Euro ein. Keine Summe, die Apple in die Knie zwingen würde, sie entspricht nur 3,5 Prozent der Barschaft des Konzerns. Die Lösung mit einer kostenlosen Schutzummantelung, die Schätzungen zufolge etwa drei Dollar pro Stück kostet, spricht jedoch eher dafür, dass Apple gar nicht weiß, wie das Problem an zurückgeholten Geräten gelöst werden könnte.

Konkurrenten können sich Häme nicht verkneifen

Mit einer gewissen Häme blicken Apples Konkurrenten auf ihren erfolgreichen Gegenspieler. Microsofts Chief Operating Officer Kevin Turner konnte es sich in seiner Keynote-Ansprache zur Worldwide Partner Conference (WPC) nicht verkneifen: „Es sieht danach aus, dass das iPhone 4 ihr Vista sein könnte, und mir ist es recht.“ Mit Windows Vista hatte Microsoft eine böse Schlappe erlitten. Mit Blick auf die Markteinführung des hauseigenen Handy-Betriebssystems sagte Turner dann: „Es gehört zu den Dingen, die ich ihnen heute versichern möchte, dass sie ein Windows Phone 7 benutzen können, ohne sich sorgen zu müssen, wie sie es halten, um ein Gespräch zu führen.“

Auch Motorola spielte in ganzseitigen Tageszeitungsanzeigen für sein Droid-X-Mobiltelefon auf Apples Problem an: „Das Handy kommt mit einer Doppelantenne. Die erlaubt es Ihnen, das Handy beim Telefonieren so zu halten, wie auch immer Sie es halten wollen.“ Und Konkurrent Nokia schließlich macht sich im firmeneigenen Blog darüber lustig, auf wie viele verschiedene Weisen man ein Handy halten kann, um dann mit den Sätzen zu enden: „Natürlich können Sie das alles ignorieren, weil Sie in Wirklichkeit Ihr Nokia-Gerät halten können, wie sie wollen. Und Sie werden dabei nicht das Empfangssignal verlieren.“ Sogar David Letterman machte in seiner Late Show Scherze über das iPhone 4.

Eigentlich sollte eine solche Panne Apple nicht unvorbereitet treffen, denn Zeit zum Üben gab es schon in der Vergangenheit. So brachte das Unternehmen 2005 einige Geräte der ersten Generation des iPod Nano mit einem Display auf den Markt, das allzu schnell so sehr verkratzte, dass darauf kaum noch etwas zu erkennen war. Es kam zu einer Sammelklage, die außergerichtlich mit einer Entschädigung beigelegt wurde. Auch bei der Einführung des kostenpflichtigen Internet-Dienstes MobileMe Mitte 2008 gab es größere Schwierigkeiten. Apple verschenkte am Ende einige Freimonate.

iPhone ist das wichtigste Apple-Produkt

Offenbar muss sich der Konzern erst daran gewöhnen, kein Angreifer mehr zu sein, sondern zum Establishment zu gehören. Beim Börsenwert hat er den großen Konkurrenten Microsoft bereits im Mai überholt. Kein anderer Hersteller wächst mit Smartphones so schnell wie Apple – und verdient dabei auch noch so gut. Inzwischen macht das iPhone sogar 40 Prozent des Konzernumsatzes aus und ist mit Abstand das wichtigste Apple-Produkt.

Derart mächtige Unternehmen ziehen Kritiker an. Jobs weiß das sehr genau, wie er verriet: „Es liegt in der Natur des Menschen. Wenn jemand oder eine Organisation wirklich groß wird, versuchen Leute, sie wieder zu zerstören.“ Tatsächlich könnte der Konzern die Rolle des Lieblings schnell verlieren. Der Umgang mit dem Antennenproblem ist nur ein Treiber dafür, zuvor attackierte Jobs den Softwarehersteller Adobe, indem er die Webtechnologie Flash von seinem iPhone und vom iPad ausschloss.

Als unangemessen sahen viele Kritiker auch die Reaktion auf den verlustig gegangenen iPhone-Prototypen, die in einer Hausdurchsuchung bei einem Mitarbeiter der Webseite Gizmodo gipfelte. Nicht zuletzt mit strengen Regeln für den Zugang zum Appstore für iPhone- und iPad-Programme bringt Apple immer wieder Entwickler gegen sich auf. Inzwischen blicken Regulierungsbehörden in den USA und in Europa genauer auf das Geschäftsgebaren des Unternehmens. Apple – soviel wird deutlich – macht es seinen Kritikern mit seinem Verhalten und mit seiner Verschlossenheit zunehmend einfacher.

Quelle: Welt Online