Der rasche deutsche Aufschwung hat Ökonomen weltweit beeindruckt. Die heimische Wirtschaft bleibt von den Problemen der Nachbarn verschont.
Wer erfolgreich ist, wird gerne kopiert – das gilt selbst für ganze Volkswirtschaften: Singapur wolle das deutsche Mittelstandsmodell nachbauen, erklärte jüngst Philip Yeo, der oberste Standortentwickler des asiatischen Stadtstaats. Dass die deutsche Industrie trotz des schweren Konjunkturabsturz im vergangenen Jahre auf Massenentlassungen verzichtet hat; das hat Ökonomen weltweit nachhaltig beeindruckt. Und auch in den vergangenen Tagen haben sich Ökonomen verblüfft die Augen gerieben, als die jüngsten Wachstums-Zahlen aus deutschen Ämtern und Unternehmen auf ihren Computerbildschirmen aufleuchteten. Denn die deutsche Wirtschaft erholt sich schneller und stärker als von vielen Volkswirten erwartet. Und auch in den kommenden Monaten könnte Deutschland weiter die Konjunkturlokomotive Europas bleiben, denn die hiesige Industrie profitiert besonders stark vom weltweiten Aufschwung – und bleibt von den volkswirtschaftlichen Problemen verschont, mit denen einige europäische Nachbarn kämpfen.
Nach der Zwangspause durch den eisigen Winter, hat die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal rasant an Fahrt aufgenommen: Die Industrie hat im Mai fast 14 Prozent mehr produziert als im Vorjahr – es war der zweitstärkste Zuwachs seit der Wiedervereinigung. Die Exporte lagen im Mai sogar um ein Drittel höher als im Vorjahresmonat – so stark waren sie zuletzt im Jahr 2000 gestiegen. Und die Auftragsbücher der Industrie sind auch für die kommenden Monate gut gefüllt.
So überraschend positiv ist die Entwicklung, dass viele Ökonomen ihre Konjunkturprognosen nach oben revidiert haben – und zwar ungewohnt kräftig. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel beispielsweise hatte im März noch prognostiziert, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 1,2 Prozent wachsen würde, inzwischen gehen die Ökonomen davon aus, dass es um satte 2,1 Prozent nach oben geht. Zuletzt hat die Commerzbank ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,8 Prozent auf 2,5 Prozent angehoben und gehört damit zu den optimistischsten Häusern. Liegen die Prognosen richtig, würde Deutschland weit schneller wachsen als die anderen großen Volkswirtschaften des Euroraums und schneller als der gesamte Euroraum, der um gut ein Prozent wachsen soll.
Dass Deutschland die Wachstumslokomotive des europäischen Kontinents würde; das hätte Mitte vergangenen Jahres kaum jemand erwartet; schließlich musste die deutsche Wirtschaft vergangenes Jahr den tiefsten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg verkraften. Jetzt allerdings profitiert sie besonders stark von der globalen Erholung. Weltweit hat in den vergangenen Monaten die Konjunktur angezogen, ganz besonders in Asien. Und weil es dort wirtschaftlich wieder besser läuft, investieren Firmen in neue Anlagen, Maschinen und Fahrzeuge – eben jene Produkte, mit denen die deutsche Industrie die Welt versorgt. „Das Geschäftsmodell Deutschland lebt wieder“, jubelt Alexander Koch, Volkswirt bei der Bank UniCredit. „Die hiesige Industrie profitiert von den weltweiten Fiskalprogrammen und der guten Entwicklung der Weltwirtschaft.“ Zusätzlich beflügelt der niedrige Euro-Kurs die Geschäfte deutscher Unternehmen mit dem Rest der Welt. „Im Moment leben wir konjunkturell von China und Asien“, sagt Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „Diese Länder haben mit massiven Konjunkturpakten ihre Konjunktur hochgeputscht und ziehen uns mit nach oben.“
In einigen Branchen ist der Import-Sog aus China besonders stark. Die Volkswirte der UniCredit haben berechnet, dass beispielsweise die Exporte der deutschen Autobauer nach China in den ersten vier Monaten des Jahres um fast 170 Prozent gestiegen sind. Besonders die Autos der Edelhersteller BMW, Audi und Daimler sind bei der wachsenden chinesischen Oberschicht so beliebt, dass die deutschen Hersteller hierzulande Zusatzschichten planen. Auch andere Branchen profitieren vom starken chinesischen Wachstum: Die Elektroindustrie konnte ihre Ausfuhren in das Boomland um fast 46 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern, die Metallindustrie um 19 Prozent. Die Bedeutung Chinas für deutsche Unternehmen steigt dabei permanent; bleiben die gegenwärtigen Wachstumsraten nur annähernd auf dem gegenwärtigen Niveau, wird Deutschland bald mehr nach China als in die USA exportieren. „Die USA sind nicht mehr der Treiber der Weltwirtschaft. Dort müssen die privaten Haushalte, die Unternehmen und der Staat konsolidieren, deshalb werden die USA als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen an Bedeutung verlieren“, sagt IMK-Direktor Horn.
Gleichzeitig kämpft Deutschland nicht mit den volkswirtschaftlichen Problemen, unter denen die europäischen Nachbarländer leiden. „In Deutschland gab es vor dem Ausbruch der Finanzkrise keine volkswirtschaftlichen Übertreibungen“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Wir hatten keinen Immobilienboom und die Konsumenten hierzulande sind anders etwa in Großbritannien nicht hoch verschuldet. Deshalb ist Deutschland ohne Ballast in die Erholung gekommen und wächst deshalb stärker als im langfristigen Trend.“ Tatsächlich wird Deutschland in diesem Jahr stärker wachsen als es Ökonomen langfristig erwarten; das Trendwachstum beziffern Ökonomen auf ein bis eineinhalb Prozent. In Großbritannien, Spanien oder Irland müssen hingegen der private Sektor und die Regierungen ihre Finanzen in Ordnung bringen, Ausgaben reduzieren und Schulden abstottern. Das Geld, das in den Schuldendienst fließt, fehlt in der Wirtschaft und das schwächt die Konjunktur. Das Wachstum der Länder an der Euro-Peripherie wird deshalb schwach bleiben, die Volkswirtschaften in Spanien und Griechenland dürften sogar schrumpfen. Zudem müssen sich diese Länder volkswirtschaftlich neu aufstellen: „Länder, die Immobilienblasen hatten, profitieren weniger stark als Deutschland von der globalen Erholung“, sagt UniCredit-Volkswirt Koch. „Diese Volkswirtschaften leiden vor allem darunter, dass die verschwundenen Arbeitsplätze in der Immobilien-Wirtschaft nicht wiederkommen werden.“
In Deutschland hingegen waren die Verbraucher in den vergangenen Monaten eine Stütze für die Konjunktur. „Die überraschend günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hilft dem Konsum“, sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Ohne diesen positiven Einfluss wäre der private Konsum nach dem Auslaufen der Abwrackprämie stärker gefallen.“
Wie lange diese positive Entwicklung anhält, darüber sind sich Ökonomen allerdings uneins. Anders als viele US-Ökonomen befürchten Volkswirte hierzulande zwar keinen erneuten Konjunktureinbruch – einen sogenannten Double Dip. Aber ein schwächeres Wachstum in der zweiten Jahreshälfte halten viele von ihnen für wahrscheinlich. „Die größten Gefahren für das Wachstum drohen von außen“, sagt UniCredit-Volkswirt Koch. „Die größten Risiken sind die Probleme der Nachbarländer im Euroraum und die Abkühlung der Weltwirtschaft.“ Der IWF hatte zuletzt gewarnt, dass die Risiken für die Weltkonjunktur zugenommen hätten.