Infolge der Ölpest hat sich der Börsenwert von BP halbiert. Doch die Politik kann sich den Tod des Konzerns nicht leisten.

Mit BP geht es bergab. Der größte europäische Ölkonzern, einst Aushängeschild der britischen Industrie, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. 20 Milliarden, 60 Milliarden, 100 Milliarden Dollar: Die Schätzungen über die zu erwartenden Kosten der vom Konzern mitverschuldeten Ölpest im Golf von Mexiko scheinen keine Grenze zu kennen. Am Finanzmarkt werden BP-Anleihen inzwischen wie Ramsch behandelt. Ausfallversicherungen für sie sind fast so teuer wie die von ukrainischen Staatsanleihen. Seit der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ am 20. April verlor die BP-Aktie mehr als die Hälfte an Wert. Wie lange hält der Konzern das noch durch?

Spätestens als sich BP-Chef Tony Hayward diese Woche nach Abu Dhabi aufmachte, um dort nach Kapitalgebern zu suchen, gibt es in der Gerüchteküche wenig Halten. Die Londoner „Times“ berichtete, dass sich die britische Regierung bereits auf das Ende des größten einheimischen Industriekonzerns vorbereite. Angeblich hat die US-Notenbank Fed sogar schon untersuchen lassen, ob BP „systemrelevant“ sei – und ein Zusammenbruch des Konzerns ähnliche Konsequenzen am Finanzmarkt hervorrufen würde wie vor bald zwei Jahren der Kollaps von Lehman Brothers.

Auch Spekulationen über eine feindliche Übernahme kamen auf: Shell, Exxon, Total stünden bereit, hieß es. Christian Brütsch und Matthew Hulbert vom Zentrum für Sicherheitspolitik der ETH Zürich sahen BP im „Handelsblatt“ bereits in den Händen von Petrochina: „Die Aktionäre der BP würden ein Übernahmeangebot der Chinesen kaum ausschlagen. Das beste Angebot wird den Zuschlag erhalten, egal ob es aus Houston, Tripolis oder Peking kommt.“

BP garantiert Europas Unabhängigkeit von Russland

Doch die Realität sieht nach Auffassung vieler Experten anders aus. BP wird weder sterben noch in die Hände der Chinesen oder einer anderen Macht fallen. Und das nicht nur, weil der Konzern mit einem Jahresgewinn von mehr als 25 Milliarden Dollar wahrscheinlich selbst die pessimistischste Kostenentwicklung der Ölpest über mehrere Jahre abstottern könnte.

Vor allem wird BP überleben, weil der Konzern mehr ist als ein normales, gewinnorientiertes Privatunternehmen. BP ist ein für London wie Washington unverzichtbares Vehikel der Energie-Außenpolitik und einer der wenigen Garanten Europas für Unabhängigkeit von Russland und dem Kartell Erdöl exportierender Länder, Opec. „Die Briten und die Europäer haben enormes strategisches Interesse am Überleben von BP“, sagt Friedbert Pflüger, Professor für internationale Politik am Londoner King’s College: „Die EU muss ihre energiepolitische Unabhängigkeit sichern und darf Drittstaaten nicht die Energieversorgung überlassen.“

Die enge Bindung zwischen Politik und BP reicht zurück bis in die Anfänge des 1909 gegründeten Konzerns. 1914 stand die BP-Vorläuferin, die Anglo-Persian Oil Company, vor dem Bankrott, weil der kaum entwickelte Automarkt nicht genug Nachfrage hervorbrachte. Für die lebenswichtige Absatzgarantie sorgte dann der Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, indem er die Kriegsschiffe der Royal Navy von Kohle- auf Ölbefeuerung umstellte. Danach wuchs und gedieh British Petroleum.

Selbst nachdem Premierministerin Margaret Thatcher 1987 die restlichen 30 Prozent BP-Aktien im Staatsbesitz privatisiert hatte, blieb der Konzern ein Instrument britischer Industrie- und Außenpolitik. Denn dem Konzern gehört der größte Teil der Energie-Infrastruktur im Land. Dazu zählt auch ein Leitungssystem, das mehr als 50 Öl- und Gasfelder in der Nordsee verbindet. Zuletzt kassierte der Fiskus in Großbritannien 5,8 Milliarden Pfund (knapp sieben Milliarden Euro) Steuern von BP – ein Betrag, mit dem die Regierung den Etat ihres Entwicklungshilfeministeriums komplett finanzieren kann.

Auch als Türöffner für die übrige Industrie des Königreichs wird der Ölkonzern häufig genutzt: Als BP 2007 versprach, rund 900 Millionen Pfund in die Erschließung libyscher Gasfelder zu investieren, revanchierte sich Diktator Muammar al-Gaddafi umgehend mit einer Bestellung britischer Rüstungsgüter im Wert von 350 Millionen Pfund.

Zwar fördert BP mit rund zwei Millionen Fass Öl pro Tag weniger als drei Prozent der Weltproduktion. Doch die regionale Bedeutung für die gesamte europäische Energie- und Außenpolitik spiegelt sich in dieser Zahl nicht wider. Denn auch wenn die Investitionen des Konzerns stets strengen internen Rendite-Maßstäben folgen: Fast stets dienen die BP-Aktivitäten zugleich den politischen Interessen der Europäischen Union.

So war es, als BP 2003 als einer der ersten West-Konzerne Milliarden in Russland investierte und mit dem Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP die wirtschaftliche und politische Öffnung des Riesenreichs voranbrachte. Und so war es auch im Jahr 2005, als BP Milliarden in den Bau der Transkaukasischen Pipeline zwischen Aserbaidschan und der Türkei steckte und so dazu beitrug, die Abhängigkeit Europas von russischen Erdöl-Importen zu verringern.

BP ist wichtigster Lieferant der US-Armee

Dass Großbritannien und die EU einem Zusammenbruch oder dem Ausverkauf von BP zusehen würden, ist damit fast ausgeschlossen. „Die Chinesen versuchen mehr und mehr, sich weltweit Energiequellen zu sichern“, beschreibt Politikwissenschaftler Pflüger den Kampf ums Öl: „In diesem Wettbewerb müssen wir mithalten können und jedes private Unternehmen, das auf unserer Seite kämpft, ist essenziell.“ Daher sei auch die EU gefordert, BP zu schützen: „Mit dem Thema darf die britische Regierung nicht alleingelassen werden.“

Und allein wird London nicht bleiben. Auch für die amerikanische Politik ist das Überleben von BP entscheidend – und das nicht nur, damit der finanzstarke Konzern auch langfristig für die Aufräumkosten der Ölpest geradestehen kann. Seit der Fusion mit dem amerikanischen Konzern Amoco 1998 ist BP immerhin größter Öl- und Gasproduzent der USA. Allein der Wert des Betriebsvermögens im Land wird auf 47 Milliarden Dollar geschätzt. BP ist zweitgrößter Pipeline- und Tankstellenbetreiber in den USA und der wichtigste Lieferant von Treib- und Kraftstoffen für die Streitkräfte. US-Analysten halten es daher für unwahrscheinlich, dass Washington diesen Partner pleitegehen oder in die Hände eines chinesischen Staatskonzerns fallen lassen würde.

Hinzu kommt, dass die amerikanische Regierung ohnehin auf private Ölkonzerne angewiesen ist, wenn sie die Importabhängigkeit vom instabilen Nahen Osten verringern will. Denn mehr als 80 Prozent der weltweiten Ölreserven liegen bereits in der Hand staatlicher Konzerne wie Saudi-Aramco oder Petrochina. Rainer Wiek, Herausgeber des Energie-Informationsdiensts in Hamburg, glaubt daher auch, dass BP im Zweifel auf staatliche Unterstützung aus dem Westen bauen kann. „Die Regierungen haben ein starkes Interesse daran, dass das Verhältnis zwischen staatlichen und privaten Produzenten auf dem Ölmarkt nicht noch ungünstiger wird“, sagt Wiek.

Tatsächlich hatte die Regierung von Obama-Vorgänger George W. Bush vor Jahren nur private Konzerne eingeladen, die amerikanische Ölproduktion deutlich auszuweiten. Washington hatte Erfolg: Im vergangenen Jahr legte die amerikanische Eigenproduktion so stark zu wie niemals zuvor in der Geschichte. Rund zwölf Prozent mehr Öl holten die Unternehmen aus dem amerikanischen Boden – während die Ölproduktion in den meisten anderen Förderländern eher rückläufig war. Der gesamte politisch gewünschte Zuwachs der heimischen Förderung stammte dabei freilich aus dem Golf von Mexiko – und hier vom größten Investor vor Ort, nämlich BP.

Angesichts dieser Abhängigkeiten hat sich die Stimmung in den USA bereits gewandelt. Kurz nach der Katastrophe hatte Barack Obama seinem Zorn freien Lauf gelassen, das Verhalten der Schuldigen als „lächerlich“ bezeichnet und danach gefragt, wem er wegen der Katastrophe „in den Hintern treten“ solle. Fast hatte man den Eindruck, dass er BP am liebsten mit der Plattform hätte untergehen sehen. Doch der Tonfall des Präsidenten hat sich gewandelt. Mittlerweile preist Obama BP als stabilen Konzern: „Und es ist in unser aller Interesse, dass dies auch so bleibt.“

Quelle: Welt Online