Die Anzall der Ausfälle von Arbeitnehmern aufgrund psychischer Leiden ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Dazu führen viele Faktoren.
Deutschlands Arbeitnehmer fehlen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz. Die Anzahl solcher Krankheitsfälle ist im vergangenen Jahr auf einen Höchststand gestiegen, wie der Fehlzeiten-Report 2010 ergab. Die Forscher des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) werteten dafür die Krankheitsdaten von 9,7 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitgliedern aus. „Die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen ist in den vergangenen zwölf Jahren um fast 80 Prozent gestiegen“, sagte der Mitherausgeber der Studie und stellvertretende Geschäftsführer des AOK-Instituts, Helmut Schröder, der „Süddeutschen Zeitung“. Die seelischen Störungen liegen dem WIdO-Report zufolge mittlerweile an vierter Stelle bei den Ursachen für eine Erkrankung Berufstätiger.
Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts
Insgesamt waren sie der Fehlzeiten-Studie zufolge im vergangenen Jahr Grund für 8,6 Prozent der ausgefallenen Arbeitstage der AOK-Mitglieder. 2008 betrug der Wert noch 8,3 Prozent. Seelisch bedingte Erkrankungen sind für die längsten Fehlzeiten verantwortlich. „Bei einer Atemwegserkrankung fehlt ein Beschäftigter im Schnitt 6,5 Tage, bei einer psychischen Erkrankung sind es fast 23 Tage“, erläuterte Schröder. Psychische Erkrankungen drohen nach Ansicht der IG Metall zur „Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts“ zu werden.
Nach Einschätzung der Bundespsychotherapeutenkammer wurden psychische Krankheiten jahrzehntelang übersehen oder nicht richtig diagnostiziert. Arbeitslose seien drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Krankheitsgrund Nummer eins bleiben der Studie zufolge mit großem Abstand Leiden an Muskulatur und Skelett. Sie sind für ein Viertel aller Erkrankungen verantwortlich. Meist handelt es sich um Rückenbeschwerden.
Druck im Job erhöht das Risiko
Die Ursachen für die deutliche Zunahme der psychischen Probleme vermuten Gewerkschaften, Betriebsärzte und Psychologen in einer stark veränderten und beschleunigten Arbeitswelt. „Überall wird das Personal ausgedünnt. Die Mitarbeiter haben es mit immer mehr unerledigten Aufgaben zu tun“, sagte der Wirtschaftspsychologe Manfred Oetting. „Auch die Chefs selbst geraten immer mehr unter Druck und geben das an ihre Mitarbeiter weiter.“ Stress am Arbeitsplatz kann zu vielen Erkrankungen führen. Besonders häufig seien Depressionen, auch Magen- oder Rückenschmerzen könnten auftreten, sagte die Psychologin Julia Scharnhorst. Solche psychischen Erkrankungen seien vor allem ein Problem in Großstädten.
„Dort gibt es mehr Single-Haushalte und weniger soziale Unterstützung als Stresspuffer.“ Die meisten Fehlzeiten unter den AOK-Mitgliedern hatten Straßenreiniger und Müllmänner. Sie waren mit 28,8 Tagen im Schnitt rund einen Monat krank. Zu den geringsten Fehlzeiten kam es unter Hochschullehrern. Nach der Statistik sind Frauen häufiger, aber kürzer krank. Männer leiden vermehrt unter Muskel-Skelett-Erkrankungen und Verletzungen, Frauen eher unter Atemwegserkrankungen und Depressionen.