Die deutsche Politik diskutiert über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Das könnte die staatlichen Finanzprobleme sogar noch verschärfen.

Wenn der Staat mehr Geld will, muss man eben trickreicher werden, findet Justin Urquhart-Stewart. Der 55-jährige Brite ist ein fröhlicher Typ, der gern rote Hosenträger anhat, viel lacht und oft im britischen Fernsehen als Börsenkommentator auftritt. Er kennt sich mit Geld aus, schließlich berät seine Londoner Firma Seven Investment Management wohlhabende Menschen, die gern noch wohlhabender werden möchten. In den vergangenen Monaten war es vor allem eine Frage, die seine Kunden umtrieb: Wie vermeide ich es, 50 Prozent Steuern zu zahlen?

Im April hat die britische Regierung den Spitzensteuersatz von 40 auf 50 Prozent erhöht. Jeder Brite, der mehr als 150.000 Pfund verdient, muss nunmehr oberhalb dieser Grenze von jedem Pfund die Hälfte an den Staat abgeben. „50 Prozent ist eine psychologische Grenze, ab der die Leute nicht mehr bereit sind zu zahlen“, weiß Urquhart-Stewart aus Erfahrung. Stattdessen werden sie kreativ. „Wir haben einige Kunden, die Sabbaticals nehmen oder für ein paar Monate einen Business-Kurs an der Universität belegen. Einige Kunden haben auch Teilzeitregelungen verhandelt und spezielle Verträge, bei denen sie heute weniger verdienen und in fünf Jahren dafür eine größere Gehaltserhöhung bekommen.“

Auch in Deutschland wollen Politiker den Spitzensteuersatz anheben. Die SPD hat schon einen konkreten Vorschlag vorgelegt, der Spitzensteuersatz soll demnach von 42 Prozent „in Richtung 50 Prozent“. Und auch in der schwarz-gelben Koalition wird eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes inzwischen nicht mehr ausgeschlossen.

Nur wäre solch eine Erhöhung „vor allem Symbolpolitik“, wie Clemens Fuest sagt, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Wirtschaftsexperten zufolge bringt eine Erhöhung enttäuschend wenig Mehreinnahmen, weil sie zugleich Arbeitsanreize mindert und die Steuermoral schädigt.

Wie viel neue Aufschläge dem Fiskus eintragen könnten, lässt sich kaum abschätzen. Theoretisch ist es sogar möglich, dass ein Hochsteuerstaat an einen Punkt kommt, an dem er mit weiteren Erhöhungen nicht mehr Geld einnimmt, sondern weniger – eine Erkenntnis, die auf den amerikanischen Ökonomen Arthur Laffer zurückgeht. Empirischen Untersuchungen aus jüngerer Zeit zufolge ist Deutschland so weit noch nicht. Aber moderate Erhöhungen nützen dem Fiskus im Zweifel nicht viel – während Entlastungen nicht viel kosten müssen. Beispiel Körperschaftsteuer: Die Sätze fielen in den vergangenen Jahren von rund 50 auf 30 Prozent. Das Aufkommen blieb aber fast unverändert. Experten wie Clemens Fuest erklären dies damit, dass Unternehmen bei niedrigeren Sätzen zunehmend darauf verzichten, Gestaltungsspielräume auszunutzen.

Deutlich mehr Einnahmen brächte eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer nur, wenn nicht zugleich auch die Gehaltsgrenze, ab der er gilt, nach oben verschoben wird. Dann aber, warnt Winfried Fuest, ein Steuerexperte vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln, „würde die Belastung für alle Steuerzahler steigen, denn um den linear-progressiven Steuertarif einzuhalten, müssten dann die Tarife für alle Steuerzahler angehoben werden“. Nicht zuletzt aus diesem Grund wollen auch die Sozialdemokraten einen Großteil jener, die jetzt als Spitzenverdiener gelten, von vornherein verschonen: Die Einkommensgrenze, von der an der neue Spitzensteuersatz greift, soll laut SPD-Vorschlag von knapp 53.000 Euro für Alleinstehende auf 85.000 Euro steigen.


Betroffen wäre dann zum einem eine recht kleine Gruppe von gut verdienenden Festangestellten: Leute, die bei ihrer Steuererklärung relativ wenig Möglichkeiten haben, ihre Belastung zu mindern. Und die sich dem verschärften Zugriff des Fiskus daher im Grunde nur auf eine Weise entziehen können: indem sie weniger arbeiten – zum Beispiel, weil sie Nebentätigkeiten einstellen oder bezahlte Überstunden zurückfahren.

Die zweite Gruppe der Betroffenen bestünde aus Selbstständigen und Unternehmen. Etwa 85 Prozent aller Betriebe in Deutschland sind Personengesellschaften und zahlen neben Gewerbe- auch Einkommensteuer. Sie können einer höheren Besteuerung zwar teilweise ausweichen, wenn sie Gewinne einbehalten und nicht entnehmen. „Aber in internationalen Standortvergleichen hätte ein so hoher Steuersatz psychologisch eine verheerende Wirkung“, warnt der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg von der Universität Hannover.

Außerdem spielt für Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidungen in Zeiten der Globalisierung die Besteuerung ihrer Arbeitnehmer eine immer wichtigere Rolle, argumentiert Homburg. Wenn nämlich Arbeitgeber ihren Fachkräften oder Arbeitern aufgrund hoher Einkommensteuern mehr zahlen müssen, um sie im Unternehmen zu halten, überlegen sie sich sehr genau, wo sie investieren.

Wohl nur eine Verzweiflungstat

Eine Erhöhung wäre letztlich eine wenig durchdachte Verzweiflungstat, bei der eine Steuergruppe gegen eine andere ausgespielt werden würde, findet Homburg. Auch wäre dies nicht förderlich, um die so dringend benötigten Spitzenkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Das war einst einer der Gründe, warum ausgerechnet die rot-grüne Koalition den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt hatte. Das Ganze nun wieder zurückzudrehen, hielte Homburg für einen Rückschritt: „Der Spitzensteuersatz sollte deshalb nicht erhöht, sondern besser auf 39 Prozent gesenkt werden.“

Die richtig Betuchten wären von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes ohnehin gar nicht so sehr betroffen. Sie nämlich erzielen vor allem Kapitaleinnahmen und zahlen darauf keine Einkommen-, sondern Abgeltungsteuer. „Wenn man die Reichen wirklich an den Kosten der Finanzkrise beteiligen will, machen andere Dinge viel mehr Sinn“, sagt Steuerexperte Winfried Fuest. Denkbar sei beispielsweise, dass negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht mehr bei der Steuererklärung von anderen Einkommen abziehbar sind.

Clemens Fuest kann sich auch vorstellen, den Satz zu senken, ab dem der Reichensteuersatz von 45 Prozent greift. Derzeit liegt dieser für Singles bei gut 250.000 Euro. „Dies darf die Politik allerdings nur unter der Bedingung machen, dass sie solch skandalöse Subventionen wie den niedrigen Mehrwertsteuersatz für Hoteliers wieder abschafft“, mahnt der Regierungsberater. Doch davon will zumindest die Union weiterhin nichts wissen.

Quelle: Welt Online