Nur wenige Wochen hatten die Bundesbanker Zeit, die D-Mark nach Ostdeutschland zu bringen. Dabei erlebten sie manche skurrile Geschichte.
Gerhard Kruse wird diesen Tag nie vergessen. Am Morgen des 1. Juli 1990 lief der Leiter der Weimarer Bundesbank-Filiale durch die Goethe-Stadt und beobachtete das Treiben um ihn herum: Er sah, wie bei herrlichem Sonnenschein die Menschenschlangen vor den Volksbanken und Sparkassen immer länger wurden. Er sah die jubelnden DDR-Bürger, als sie aus den Banken kamen und ihre ersten DM-Scheine in der Hand hielten. "Wir waren alle glücklich, dass wir das erleben durften", sagt Kruse heute.
Als am 1. Juli 1990 in der DDR die D-Mark eingeführt wurde, lagen hinter Kruse turbulente Wochen. Weniger als fünf Monate hatten er und die gesamte Bundesbank Zeit, die DM in den Osten zu bringen. Die Bundesbanker mussten viele Probleme überwinden – und erlebten manche skurrile Geschichte.
Peter Walter war damals Leiter der Bundesbank-Hauptkasse und für die logistischen Vorbereitungen zuständig. Er war gerade im Ski-Urlaub, als er Anfang Februar hörte, dass Bundeskanzler Helmut Kohl zum 1. Juli eine Währungsunion plane. "Ich hab unsere Banknoten und Münzenbestände überschlagen und gedacht: Das reicht nie, den Plan können wir vergessen", sagt Walter. Doch zurück aus dem Urlaub war klar: Irgendwie musste es gehen. Die Landeszentralbanken, die die Bundesbank damals in jedem Bundesland hatte, übernahmen Partnerschaften für neue Filialen im Osten. Die Bundesbanker sollten ihren Ostkollegen von der Staatsbank beibringen, wie ein markwirtschaftliches Zahlungs- und Bankensystem funktioniert. Denn echte Geschäftsbanken gab es in der DDR zuvor nicht.
Kruse wechselte damals freiwillig von Mainz nach Weimar, er war mit 60 Jahren einer der Ältesten, der rüber ging. Aus Karrieresicht war der Wechsel ein Rückschritt. "Aber ich war ein Ostflüchtling, hatte dort viel Verwandtschaft. Es war klar, dass ich da mitmachen musste", sagt er.
Im Osten angekommen, fehlte es vielfach an den einfachsten Dingen. Die Stromversorgung war so schwankend, dass die Geldzähl-Maschinen nicht funktionierten. Telefone gab es kaum. Die maroden DDR-Straßen hielten teilweise dem Gewicht der schweren Geldtransporter nicht stand. Sogar Flieger aus der Landwirtschaft wurden eingesetzt, um die DM zu transportieren.
Auf einem Geldtransport passierte auch der wohl größte Fauxpas: Mitten auf einer Fahrt gingen die Türen des Transporters auf, den dahinter fahrenden Autos flogen Geldbündel im Wert von 30 bis 40 Millionen DM entgegen. Laut einem Bundesbank-Mitarbeiter ist das Geld aber wieder eingesammelt worden. In der "Vorläufigen Verwaltungsstelle" in Ostberlin, wo die Bundesbank ihre Ost-Zentrale errichtet hatte und die zuvor Sitz des SED-Politbüros war, wurden derweil DDR-Utensilien verhökert. Unter anderem ging Honeckers Citroen weg. Ebenfalls kurios war, dass die Bundesbanker in einer Ost-Filiale erst lange nach ihrem Einzug feststellten, dass die Abhöranlagen der Staatssicherzeit (Stasi) nicht entfernt worden waren und jede ihrer Bewegungen noch überwacht wurde.
An anderer Stelle hatte die Bundesbank ebenfalls mit einer großen DDR-Organisation zu tun, allerdings gewollt. Das größte Problem für die Bundesbanker vor Ort war, das viele Bargeld sicher zu verwahren. Normal sind die Tresore, in denen mehrere Milliarden DM lagern, mit Schließvorrichtungen verriegelt, zu denen es jeweils drei Schlüssel gibt. Als Walter in Leipzig ankam, gab es dort jedoch nur jeweils einen Schlüssel. "Wo die anderen waren, wusste niemand." Daraufhin bewachte ein halbes Jahr lang die Nationale Volksarmee (NVA) die Staatsdruckerei.
Den Stichtag 1. Juli hatten die Bundesbanker akribisch vorbereitet. Die Show stahl ihr an dem historischen Tag allerdings zeitweilig die Deutsche Bank. Ein Banker war auf die Idee gekommen, bereits um 0 Uhr einen Schalter zu öffnen, wo sich die DDR-Bürger gegen ihre Ausstellungsquittung DM besorgen konnten. "Da bereitet die Bundesbank alles vor, aber auf den ersten Bildern, die um die Welt gingen, prangte überall das Symbol der Deutschen Bank", sagt Siegfried Guterman, damals Bundesbank-Pressesprecher.
Sonst ging alles glatt, bis auf ein paar Kleinigkeiten: In Gera ging einer Volksbank schon früh das Bargeld aus. Walter saß gerade in einer Sparkasse gegenüber. Der Filialleiter der Volksbank kam herüber und fragte, was er jetzt machen solle. Walter schlug vor, die Sparkasse soll der Volksbank gegen einen Zins Geld leihen. "Die haben alle mich angeguckt, ich sollte den Zins festlegen. Aber ich habe gesagt: Leute, das müsst Ihr selbst regeln, das ist Marktwirtschaft", sagt Walter.
Als der 1. Juli vorbei war, war er ebenso wie Kruse geschafft und glücklich. Kruses Arbeit in Weimar endete anders als geplant noch nicht. "Die Staatsbanker kannten sich nicht darin aus, wie man den Zahlungsverkehr mit Banken abwickelt." So blieb er bis zur Pensionierung. "Ich hätte mir keinen interessanteren Abschluss vorstellen können."