Der frühere Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer spricht über die Verhandlungen zur deutsch-deutschen Währungsunion vor 20 Jahren.
Hans Tietmeyer hat in den vergangenen Wochen lange geschwiegen. Weder zur Schuldenkrise Griechenlands noch zu den Rettungskäufen durch die Europäische Zentralbank (EZB) ließ er sich öffentlich zitieren. Doch angesichts des historischen Datums am 1. Juli hat sich der frühere Bundesbank-Präsident zu einem Gespräch bereit erklärt. An diesem Donnerstag jährt sich die deutsch-deutsche Währungsunion zum 20. Mal. Die D-Mark wurde damals binnen weniger Wochen in der ehemaligen DDR eingeführt. Tietmeyer führte in dieser Zeit die Verhandlungen - und war selbst über das Tempo der Veränderungen überrascht, die zur deutschen Währungsunion führten und wenig später das Ende der Deutschen Demokratischen Republik besiegelten.
WELT ONLINE: Als Helmut Kohl im Februar 1990 die baldige Einführung der D-Mark in der damaligen DDR ankündigte, konnten viele Bundesbürger das nicht glauben. Wie sehr haben Sie sich damals von den Ereignissen überrollt gefühlt?
Hans Tietmeyer: Persönlich war ich zwar erst seit Ende März 1990 nah dran an dem Geschehen, dennoch war dieses Tempo auch für mich überraschend. Ich war wie die meisten Ökonomen zunächst für eine schrittweise Einführung der D-Mark über mehrere Jahre. Wir wussten, mit der D-Mark allein war es im Osten nicht getan. Entscheidend war - wie schon bei der Währungsreform 1948 - gleichzeitig die Marktwirtschaft in der DDR einzuführen. Doch das brauchte Zeit. Denn in der DDR musste ja nicht nur die Währung, sondern auch die Wirtschafts- und Sozialordnung geändert werden.
WELT ONLINE: Aber die Ostdeutschen drängten auf eine schnelle Lösung.
Tietmeyer: Es gab damals diesen Spruch: 'Kommt die DM, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr.' Täglich erreichten uns Nachrichten, dass immer mehr Ostdeutsche in den Westen übersiedelten. Das war eine bewegende Zeit.
WELT ONLINE: Erinnern Sie sich, wie Sie den Tag der Währungsumstellung am 1. Juli 1990 verbracht haben?
Tietmeyer: Ich hielt mich in Bonn bereit und habe am Nachmittag an einem ARD-Brennpunkt teilgenommen. Meine größte Sorge war zunächst, dass es technische Probleme bei der Währungsumstellung geben könnte. Wir hatten ja nur sechs Wochen Vorbereitungszeit. Aber es hat zum Glück alles reibungslos funktioniert.
WELT ONLINE: Viele Ökonomen kritisieren, dass der Wechselkurs zwischen Ostmark und D-Mark zu niedrig war.
Tietmeyer: Bei den Geldbeständen haben wir unser Ziel erreicht, diese wurden insgesamt im Verhältnis 1,83:1 umgestellt. Das war wichtig, weil das die Geldmenge auf ein angemessenes Maß reduzierte. Auch bei der Umstellung von Zahlungsverpflichtungen, wie Löhnen und Gehältern, die entscheidend waren für die Wettbewerbsfähigkeit, habe ich zunächst für ein Umtauschverhältnis von 2:1 plädiert. Aber jede andere als die am Schluss vereinbarte Eins-zu-eins-Lösung hätte die Abwanderungsbewegung in den Westen nur noch beschleunigt. Das war am Ende das entscheidende Argument für diese Lösung.
WELT ONLINE: Hätte man nicht stärker auf die Belange der ostdeutschen Wirtschaft Rücksicht nehmen müssen?
Tietmeyer: Ich habe mich für eine Reihe von Sonderlösungen eingesetzt, sowohl bei den Löhnen als auch bei den Sozialsystemen. Ich wollte etwa das westdeutsche Tarifvertragsrecht erst nach einer Übergangszeit übertragen, um den Unternehmen zunächst mehr Spielraum zu lassen. Aber letztlich wurde das von beiden Regierungen abgelehnt. Die westdeutschen Sozialsysteme zu übertragen war eine sehr heikle Frage.
WELT ONLINE: Das größte Problem lag doch eher darin, dass Westdeutschland seinen Sozialstaat nicht rechtzeitig reformiert hatte.
Tietmeyer: Ich bestreite das nicht, ich habe diese Reformen ja auch schon vorher gefordert. Allerdings hätten wir diese in den Jahren zuvor anpacken müssen. 1990 waren Reformen dann so kurzfristig nicht mehr möglich.
WELT ONLINE: Was waren weitere Knackpunkte?
Tietmeyer: Ganz entscheidend war das Bankensystem. In der DDR gab es damals kein eigenständiges Bankensystem und keine unabhängige Zentralbank. Wir mussten bei der D-Mark-Einführung also bei Null beginnen. Deshalb war für mich die monetäre Alleinzuständigkeit der Bundesbank nicht verhandelbar. Die DDR hätte gern ihre eigene Staatsbank weiterhin zwischengeschaltet, doch ich war strikt dagegen. Stellen Sie sich vor, am 1. Juli hätte irgendetwas bei der Währungsumstellung und der weiteren Geldpolitik nicht geklappt. Dann wäre das Vertrauen der Menschen in die neue Währung dahin gewesen. Das konnten wir nicht riskieren.
WELT ONLINE: Klingt nach harten Verhandlungen.
Tietmeyer: Ja, in dem Punkt waren wir eisern, aber es gab insgesamt eine gute Atmosphäre. Wir wollten gemeinsam zu einer Lösung kommen, wir waren unter Zeitdruck. Aber verständlicherweise war das Wissen über das jeweils andere System nicht sehr groß. Es gab ja auch kein Modell für die notwendigen Lösungen. Sicher hätten wir rückblickend das eine oder andere besser machen können.
WELT ONLINE: Angefangen bei dem Versprechen "blühender Landschaften"...
Tietmeyer: Das war sicherlich eine problematische Ankündigung, weil das auf beiden Seiten zunächst zu große Erwartungen geweckt hat. Aber insgesamt sind die Weichen in vielen zentralen Punkten vor 20 Jahren richtig gestellt worden. Wir können insgesamt durchaus zufrieden sein.
WELT ONLINE: Das wahre Ausmaß der Misere der DDR-Wirtschaft wurde allerdings erst viel später deutlich.
Tietmeyer: Natürlich konnte zur Wendezeit niemand genau die Lage beurteilen. Ich weiß noch, wie allein die Schätzungen zum DDR-Volksvermögen ständig nach unten korrigiert wurden. Anfangs hieß es noch, dieses liege bei 1,74 Billionen DDR-Mark - und am Ende standen da 330 Milliarden Mark Schulden. Man darf natürlich die Ausgangslage nicht vergessen. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber zugleich ein Sprung von einem sinkenden Schiff. Ich habe schon damals erwartet, dass es mindestens zehn Jahre dauern würde, bis der Wohlstand zwischen Ost und West etwa gleich groß sein würde. Heute muss ich sagen: Wir sind noch immer nicht am Ziel, es dauert sicher noch länger. Aber Ostdeutschland kommt Stück für Stück voran, es gibt Gebiete, die sich sehr dynamisch entwickelt haben.
WELT ONLINE: Den Milliardenhilfen und dem Soli sei dank. Ist das heute noch nötig?
Tietmeyer: Wir müssen schon noch fördern, aber nicht mit der Gießkanne, sondern insbesondere da, wo es nötig ist. Die Infrastruktur im Osten ist inzwischen bereits gut entwickelt, da muss man keine weiteren Milliarden hineinstecken. Wo es in Ostdeutschland weiterhin Strukturprobleme gibt, muss der Staat aber nach wie vor helfen.
WELT ONLINE: Die D-Mark ist Geschichte. Verstehen Sie, dass so viele Deutsche ihr noch immer nachtrauern?
Tietmeyer: Ich kann verstehen, dass viele Bürger an der D-Mark hängen, weil sie damit auch den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes verbinden. Aber der Blick in die Vergangenheit wird oft auch beschönigt. Der Weg in die europäische Währungsunion war insgesamt durchaus richtig und notwendig.
WELT ONLINE: Helmut Kohl wurde oft vorgeworfen, die Wiedervereinigung erkauft zu haben, indem er die D-Mark opferte.
Tietmeyer: Das halte ich für falsch. Helmut Kohl wollte die Vereinigung nicht gegen die Europäer machen, sondern die deutsche Wiedervereinigung in den europäischen Integrationsprozess einbauen. Seine These lautete: Deutsche Vereinigung und europäische Integration sind zwei Seiten einer Medaille.
WELT ONLINE: Hat die deutsche Währungsunion die europäische beschleunigt?
Tietmeyer: Dafür spricht einiges, aber das deutsche Ja zum Euro war sicher kein Preis für die deutsche Wiedervereinigung. Denn die deutsche Seite hat an ihren zentralen Bedingungen für den Euro auch in den folgenden Maastricht-Verhandlungen weitgehend festgehalten. Allerdings gab es damals bei einigen europäischen Partnern auch Befürchtungen vor einem zu starken wiedervereinigten Deutschland. Insgesamt dürfte so das zeitliche Zusammentreffen der innerdeutschen und europäischen Verhandlungen den Maastricht-Prozess vermutlich auch gefördert haben.
WELT ONLINE: Brauchen wir in Europa eine politische Union, damit der Euro funktionieren kann?
Tietmeyer: Dafür habe ich zunächst schon in den 60er-Jahren plädiert. Aber darüber gab es schon in der damaligen Sechsergemeinschaft keine Einigung. Für Maastricht wurde dann gegen Ende der 80er-Jahre ein anderes Konzept erarbeitet: Zwar ein unabhängiges gemeinschaftliches Zentralbanksystem, aber keine weitergehende Aufgabe der politischen Souveränität der Teilnehmerländer, sondern eine Auswahl der Mitgliedstaaten anhand von Konvergenzkriterien sowie eine gemeinschaftliche Überwachung der nationalen Fiskalpolitiken. Leider ist man sowohl bei der Auswahl der Mitgliedstaaten als auch bei der Überwachung zu großzügig gewesen. Ich habe schon früh immer wieder auf diese offene Flanke hingewiesen.
WELT ONLINE: Wie kann man sie schließen?
Tietmeyer: Die Konvergenzkriterien müssen künftig strenger als bisher angewendet werden. Gleichzeitig müssen die Euro-Staaten stärker finanzpolitisch überwacht werden. Neben einer wirklich unabhängigen Überwachung, die von der EU-Kommission allein kaum gewährleistet werden kann, ist auch eine rechtzeitige und effizientere Bestrafung unerlässlich. Die EZB hat in der vergangenen Woche hierfür interessante Vorschläge vorgelegt. Ich hoffe nur, dass sie bald damit Gehör findet. Denn hier sind Entscheidungen dringlich.
WELT ONLINE: Anders als zuletzt Ihre Amtsvorgänger Helmut Schlesinger und Karl Otto Pöhl haben Sie sich mit Kritik am Vorgehen der EZB während der Schuldenkrise zurückgehalten. Warum dieses Schweigen?
Tietmeyer: Nach meiner Erfahrung hilft es in der Regel nicht, wenn man den Beteiligten gute Ratschläge über die Medien zukommen lässt. Ich berate lieber intern, wann immer ich gefragt werde. Und das geschieht auch oft. Aber öffentlich will ich mich insbesondere zu Zentralbank-Fragen nicht äußern.