Die Nachfrage nach Altpapier ist überraschend stark gestiegen. Die Chinesen kaufen sämtliches Papier an den Nordseehäfen auf.

Altpapier war in Hamburg lange Zeit ein Reizwort. Denn im Herbst 2008 hatte sich die kommunale Stadtreinigung mit privaten Entsorgungsunternehmen einen regelrechten Kampf um alte Zeitungen, Pappen und Kartons geliefert. Sogar die Gerichte mussten damals in den erbitterten Streit eingreifen. Denn beide Seiten hatten das Papier wie selbstverständlich für sich beansprucht. Mittlerweile hat die Auseinandersetzung ein Ende, Kommune und Privatwirtschaft machen sogar gemeinsame Sache. Mit Branchenriese Véolia hat die Stadtreinigung jüngst das Gemeinschaftsunternehmen HPV – Hamburger Papiervermarktung gegründet. In den kommenden sieben Jahren soll das Joint-Venture das Altpapier der Hamburger Haushalte vermarkten.

Gesammelt werden die jährlich anfallenden 80.000 bis 100.000 Tonnen von der Kommune, den Verkauf übernimmt Véolia. Der Entsorgungskonzern hat reichlich Erfahrung auf den internationalen Märkten und kann dadurch deutlich höhere Preise erzielen als die Kommune, der nach eigenen Angaben Know-how und Mittel für die weltweite Vermarktung fehlen.

Der Zeitpunkt für die Kooperation könnte besser nicht sein. Denn mit Altpapier lässt sich mittlerweile wieder richtig Geld verdienen. 75 Euro bringt derzeit eine Tonne so genannte gemischte Ballen, meldet der Branchendienst Euwid. Auf dem Spotmarkt, auf dem Papiermengen kurzfristig gehandelt werden, lassen sich sogar Preise von 100 Euro und mehr pro Tonne erzielen. Noch vor einem Jahr bekamen die Händler gerade mal fünf bis zehn Euro für 1000 Kilogramm Altpapier. „Wir erleben derzeit eine Trendwende“, bestätigt Burkhard Landers, der Präsident vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). Überraschend kommt diese Entwicklung für Landers nicht. Allein die Geschwindigkeit des Anstiegs hat selbst die Experten überrascht.

Vor allem in Asien ist die Nachfrage groß. „Die Chinesen kaufen sämtliche Nordseehäfen leer“, berichtet ein Händler. In Einzelfällen zahlen die Abnehmer in der Volksrepublik sogar einen zusätzlichen Aufschlag, um die benötigten und gewünschten Mengen zu bekommen. Altpapier ist damit zur Mangelware geworden. Und Nachschub gibt es bislang nur äußerst schleppend. „Der Altpapierbedarf kann nur noch mit großen Anstrengungen gedeckt werden“, sagt Hubert Neuhaus, der Vorsitzende des Fachverbandes Papierrecycling im BVSE.

Sogar von regelrechten Verdrängungsangeboten einiger Anbieter wird in Branchenkreisen bereits berichtet. Denn die Lager der Altpapierhändler, die sich üblicherweise zur Hälfte aus Industrieabfällen und zur Hälfte aus dem Hausmüll der blauen Tonne speisen, sind durch das konjunktur- und wetterbedingt niedrige Aufkommen weitgehend leer. „Die Versorgung erfolgt praktisch just-in-time“, sagt Neuhaus. Entsprechend hoch sei mittlerweile die Nervosität im Markt.

Zwar zieht die Industrieproduktion in Deutschland derzeit wieder an. Die Altpapiermengen steigen aber erst mit Verzögerung. Noch im Frühjahr waren die Vorkommen aufgrund der zuvor monatelangen Produktionsausfälle stark rückläufig. Selbst in den Privathaushalten sind fast 30 Prozent weniger Altpapiermengen angefallen. Der BVSE geht daher von weiter steigenden Preisen für alle neun Altpapier-Sorten aus, also beispielsweise für die gemischten Ballen, für sortenreines Kaufhausaltpapier oder für die besonders teuren Produktionsabfälle aus Druckereien.

Ein neuerlicher Häuserkampf zwischen Privatanbietern und Kommunen, wie es ihn vor eineinhalb Jahren in Hamburg und etlichen anderen Städten noch gegeben hatte, dürfte trotzdem ausbleiben. Denn nach einer überraschenden wie aufsehenerregenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem vergangenen Sommer können die Kommunen die Papiersammlung privater Entsorger mit der blauen Tonne derzeit schon mit einfachsten Mitteln unterbinden.

Zwar laufen bereits zwei Beschwerden bei der Europäischen Kommission, zum einem vom BVSE und zum anderen vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). Zudem zweifelt selbst das Bundeskartellamt an der Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung. Immerhin warnt die Bonner Behörde bereits vor einer Übermacht der Kommunen gegenüber der privaten Konkurrenz. Die Privatwirtschaft bleibt dennoch vorsichtig und wartet ab, ob von EU-Seite nun auch ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik angestrengt wird. Das allerdings scheint nicht unwahrscheinlich. Denn die EU wittert eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung, zumal sie Altpapier für einen Wertstoff und nicht für beseitigungspflichtigen Müll hält, den im Rahmen der so genannten Daseinsfürsorge allein die Kommune abholen dürfte. Brüssel hat daher schon ein offizielles Auskunftsersuchen an die Bundesregierung geschickt.

Geht die EU tatsächlich gegen das Urteil von Deutschlands höchstem Verwaltungsgericht vor, dürfte es Unternehmen wie Remondis, Véolia oder Alba wieder im großen Stil in die hochprofitable Altpapier-Sammlung ziehen. Immerhin wird der Bedarf an alten Pappen und Kartons nach Einschätzung von Branchenexperten in den kommenden Jahren nochmals deutlich steigen. Denn Altpapier ist für die Papierfabriken mittlerweile der wichtigste Rohstoff bei der Produktion. 2009 zum Beispiel lag die entsprechende Einsatzquote schon bei rund 70 Prozent, meldet der BVSE. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als noch vor zehn Jahren. „Müll ist heute längst nicht mehr nur Abfall, sondern eine wichtige Rohstoffquelle“, heißt es dazu bei Branchenriese Remondis.

Die Westfalen gehörten damals zu den Hauptbeteiligten der zum Altpapier-Krieg hochstilisierten Auseinandersetzung. Mittlerweile holt Deutschlands größter Entsorger die blauen Tonnen nur noch dort ab, wo die Sammlung stillschweigend geduldet wird oder die Kommunen das Unternehmen beauftragt haben, weil sie selbst über keine eigene Infrastruktur für die Sammlung verfügen. Auf diese Weise wird selbst in den entlegendsten Winkeln der Republik das alte Papier erfasst.

Trotzdem reichen die Mengen für die Neu-Produktion in den 168 deutschen Papierfabriken nicht aus. Deutschland ist daher seit 2007 Netto-Importeur für Altpapier – und bekommt den aktuellen Mangel voll zu spüren. „Die Lage ist angespannt“, sagt Andreas Geiger vom Verband Deutscher Papierfabriken (VDP). Die Folge sind zum einen Lieferengpässe. Einige Papiersorten sind nicht vor August/September zu haben. „Kurzfristige Großbestellungen sind kaum noch darstellbar“, bestätigt Steffen Schnizer, der Geschäftsführer des mittelständischen Faltschachtel-Anbieters Cartondruck.

Zum anderen hat der Mangel zu teils erheblichen Preiserhöhungen geführt. „Wir müssen die gestiegenen Rohstoffkosten weitergeben“, beschreibt Geiger. Erste Aufschläge von bis zu zehn Prozent für Papier und Karton hat es in den vergangenen Monaten bereits gegeben, weitere sollen schon bald folgen. Zumal es nicht nur Probleme mit dem Altpapier-Nachschub gibt. Auch andere Grundmaterialien wie Zellstoff haben sich seit Jahresbeginn um gut die Hälfte verteuert, melden Branchenexperten. Gründe dafür sind die hohe Nachfrage in China, Streiks in wichtigen Lieferländern wie Finnland und Schweden oder das Erdbeben vor wenigen Wochen in Chile, das knapp zehn Prozent des weltweiten Zellstoffs produziert. „Es ist vorerst nicht davon auszugehen, dass sich die Situation wieder entspannen wird“, sagt daher Yvonne Fertig-Nievergelt, die Marketing-Leiterin des Schweizer Papierhändlers Antalis.

Trotz dieser steigenden Preise lohnt es sich für die deutschen Verbraucher nicht, ihre Zeitungen, Pappen und Kartons nun selbst zu verkaufen. „Dafür sind die Mengen einfach zu klein“, heißt es beim BVSE. „Dann liegen die Transportkosten zum Wertstoffhof am Ende um ein Vielfaches über den Erlösen.“ Und schließlich musste sich selbst die Stadtreinigung Hamburg schon Hilfe für die Vermarktung von Altpapier holen.

Quelle: Welt Online