Radikales Umdenken nach der BP-Katastrophe: US-Firmen wollen den Markt für Erneuerbare Energien erobern.
Amerikas Zukunft trägt den botanischen Namen „Miscanthus giganteus“, zu Deutsch: Riesen-Chinaschilf. Zumindest wäre das so, wenn es nach Phillip Jennings ginge, einem ehemaligen Highschool-Lehrer aus dem US-Bundesstaat Georgia, der vor 13 Jahren sein Hobby zum Beruf machte und Farmer wurde.
Aber er ist nicht nur irgendein Farmer; Phillip Jennings ist in seiner Branche eine Berühmtheit: Er hat sich auf Rasen spezialisiert – in allen Züchtungen, für alle Klimazonen, in allen Preisklassen. Seine Grasplatten schmücken mittlerweile Golfplätze in aller Welt: in Europa, Asien, in der Karibik und im Nahen Osten. Er nennt sich selbst den „Sodfather“, ein Wortspiel, das so viel heißen soll wie: der liebe Gott der Grasnarben.
Bescheidenheit ist für Phillip Jennings nichts und das Motto „think big“ gilt auch für sein neuestes Projekt: Auf seiner Farm in Soperton, einer Kleinstadt im Osten von Georgia, hat Jennings China-Riesenschilf gepflanzt, und zwar in einer patentierten Sonderzüchtung, die er „Freedom“ getauft hat. Freiheit, weil er mit seinem Supergras den Markt für erneuerbare Energien ankurbeln und dazu beitragen will, dass Amerika unabhängig vom Öl wird. Er ist überzeugt: „Wir werden die Welt in eine grüne Zukunft führen.“
Das will auch US-Präsident Barack Obama. „Die Öl-Tragödie an unserer Küste zeigt, dass es allerhöchste Zeit ist, eine Zukunft mit sauberen Energien zu schaffen.“ Doch nicht erst seit der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ hat in den USA eine Energie-Trendwende eingesetzt. Bereits Ex-Präsident George W. Bush trieb die Produktion von Bioethanol voran; die Solarindustrie florierte, und Kalifornien verhängte als erster US-Bundesstaat strenge Vorschriften zum Klimaschutz.
Unter Obama gewinnt der Öko-Trend aber weiter an Fahrt: Seine Regierung stellte 70 Milliarden Dollar für die Entwicklung von sauberen und effizienten Energien bereit; weitere Fördergelder sollen folgen. Das Ziel ist, den Anteil von erneuerbaren Energien an der Gesamtversorgung des Landes bis 2012 auf zehn Prozent, bis 2025 auf 25 Prozent zu steigern.
Amerika hat den Trend zu sauberer Energie erst spät für sich entdeckt – und das Kyoto-Protokoll zur Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis heute nicht ratifiziert. Doch treiben die USA die Entwicklung von alternativen Energien jetzt umso schneller, mit viel Ehrgeiz und Unternehmergeist voran. Wie schon so oft zuvor, so übernimmt Amerika auch diesmal den Großteil des Knowhows aus Europa und treibt die Produkte dann im eigenen Land zu Marktreife und Kommerzialisierung.
Mit ersten Erfolgen: Die Wüstenlandschaften von Arizona, Kalifornien, Colorado und Nevada sind von riesigen Solarfeldern durchzogen; blau schimmernde Platten auf den Dächern der Häuser gehören hier längst zum Straßenbild. In Texas sind ganze Landstriche mit Wäldern aus Windrädern gepflastert, die weit in den Horizont hineinwachsen. Die Kapazität der Windkraft hat sich in den USA seit dem Jahr 2000 verzehnfacht; 2008 löste Amerika Deutschland als Weltmarktführer in den Windkraftprodukten ab. Die größte Hoffnung liegt allerdings auf der Biomasse. 53 Prozent aller erneuerbaren Energien in den USA entfallen auf organische Substanzen. Bis 2030 sollen nach dem Willen der Regierung 20 Prozent aller Treibstoffe in Amerika aus Biomasse gewonnen werden.
Der landwirtschaftlich geprägte Südosten ist der Kern des neuen Energiemarktes in Amerika. Vor allem der Staat Georgia mit seinen reichen Ressourcen, einer hoch entwickelten Infrastruktur, renommierten Forschungseinrichtungen und einem unternehmensfreundlichen Klima hat sich zu einem Zentrum für die Gewinnung von Energie aus Biomasse entwickelt.
Mit zehn Millionen Hektar nutzbarer Wälder – das ist ein Drittel der Fläche des gesamten Staates – hat Georgia mehr Forstland als jeder andere Bundesstaat. Zwar ist die Nachfrage nach Holzpellets und Holzchips in den USA selbst noch gering, doch entwickelt sich eine vielversprechende Exportbranche.
Außerdem wachsen auf den landwirtschaftlichen Flächen neben Getreide auch Soja, Raps, Rutenhirse und eben: Chinaschilf – alles Pflanzen, die sich wegen ihrer ergiebigen Photosynthese gut für die Gewinnung von Biomasse eignen. Georgia gewährt Steuervorteile und vergibt im Eilverfahren Lizenzen für Firmen, die sich der Entwicklung von erneuerbaren Energien widmen wollen. Mehr als zwei Mrd. Dollar Investitionen sind bis heute für Biomasse-Projekte geflossen.
Dabei lockt die Unternehmer vor allem die Aussicht auf ein gutes Geschäft in einer Branche mit Zukunft. Auch Phillip Jennings, der Golfrasen-Magnat, ist kein Öko-Ritter, sondern Business-Pionier mit einer Nase für lukrative Trends. Im Geschäft mit dem Chinaschilf wittert er jedenfalls Gewinn: „Bei Biomasse zählt allein der Ertrag.“ Forscher der Universität von Mississippi, bei denen Jennings seine Sonderzucht in Auftrag gab, kamen zu dem Ergebnis, dass „Freedom“ mehr Ernte einbringt als vergleichbare Energiegräser.
Bereits in den 90er-Jahren hatten deutsche Forscher das Potenzial von Riesen-Chinaschilf als nachwachsender Rohstoff untersucht – und für enttäuschend befunden. Phillip Jennings lässt sich davon nicht abschrecken. Im amerikanischen Süden herrschten eben ganz andere klimatische Bedingungen, sagt er. Im vergangenen Jahr hat er 230 Hektar mit Wurzelstöcken bepflanzt. Nach der ersten Ernte im kommenden Winter will er 40?000 Hektar mit Schilf bepflanzen und dann in ganz großem Stil in das Geschäft mit der Biomasse einsteigen.
Phillips Jennings ist Mitte 40, untersetzt, ein Mann mit hitzerotem Gesicht, blitzblanken Augen und sehr weißen Zähnen. Das Ringelshirt spannt sich über den opulenten Bauch, die Sonnenbrille baumelt am Bändchen über seiner Brust. Er steht inmitten seiner Gräser, breitet die Arme aus, so als wolle er das Wachstum beschwören. „Ein Hektar Freiheitsgras kann vier bis fünf amerikanische Haushalte ein Jahr lang mit Strom und Treibstoff versorgen.“
Ob diese Rechnung nun so genau stimmt oder nicht, tatsächlich ist den Testergebnissen der Forscher zufolge der Superschilf ergiebig und äußerst genügsam: Das Gras erträgt Hitze, benötigt wenig Wasser und wächst auch auf nährstoffarmen Sandböden. Es kann bis zu 4,3 Meter hoch werden. Je nach Reife und Standort kann ein Hektar Schilf bis zu 62 Tonnen Biomasse produzieren, die zu Cellulose-Ethanol, also zu Biotreibstoff, oder zu Strom verbrannt werden.
Doch das Projekt ist jung, die erste große Ernte steht noch aus, und außer optimistischen Prognosen kann Phillip Jennings keine Aussagen über den realen Ertrag machen. Immerhin hat er die Lizenz zum Anbau von Freedom-Schilf bereits an einige der großen US-Energieversorger verkauft.
Nicht alle Energieexperten sind indes so begeistert vom Potenzial der Biomasse wie Großfarmer Jennings. Neben den häufig geäußerten Sorgen um die Verdrängung von Nahrungspflanzen durch Energiepflanzen warnen Kritiker vor einer wirtschaftlichen Fehlkalkulation. „Energie ist nicht gleich Energie“, sagt Sam Shelton von der Universität Georgia Tech in Atlanta. Tatsächlich wird ein großer Teil des Treibstoffbedarfs in den USA heute und wohl noch auf absehbare Zeit mit Öl gedeckt und Biomasse kann nur eine stetig wachsende Ergänzung zu fossilen Brennstoffen sein. „Alle Windturbinen, Solarpanel und Atomkraftanlagen der Welt helfen nicht, unser Transportsystem in Bewegung zu halten.“
Tatsächlich macht auch bei der Produktion von Biomasse die Logistik mehr als 15 Prozent der Gesamtkosten aus. „Mit einer cleveren Technologie alleine hat man noch kein gutes Geschäft“, sagt Ross Harding von der Beratungsfirma Energy Launch. Gemeinsam mit dem Herty Advanced Material Development Center, das sich in Trägerschaft des Staates Georgia befindet, arbeitet Harding daran, Biomasse, vor allem Holzprodukte, für den Massenmarkt zu optimieren und Wege in die Wertschöpfungskette zu entwickeln.
„Energie ist das größte Geschäft der Welt“, sagt Harding. Und deshalb ist er überzeugt, dass saubere Energie eine Branche mit großer Zukunft ist. Dabei seien die wahren Profiteure jedoch nicht die Energiehersteller, „sondern diejenigen, die die Infrastruktur entwickeln“. Schließlich hätten ja auch beim Goldrausch im 19. Jahrhundert nicht die Besitzer der Goldminen das große Geld gemacht, sagt Harding. „Die wirklichen Gewinner waren die, die Straßen bauten und Saloons betrieben, die Spitzhacken und Schaufeln verkauften.“