Lohnt sich der Kauf des neuen iPhones? WELT ONLINE hat es ausprobiert – und bescheinigt Apple einen großen Sprung nach vorn.

Der erste Eindruck täuscht nicht: Das neue iPhone ist schwer. Tatsächlich bringt es sogar zwei Gramm mehr auf die Waage als sein Vorgänger. Dabei ist es 24 Prozent dünner. Apple hat seinem neuen Gerät Glas auch für die Rückseite spendiert, was edler aussieht, sich besser anfühlt als Plastik, aber wohl auch für das zusätzliche Gewicht verantwortlich ist. Derzeit ist das iPhone 4 nur in schwarz verfügbar, später soll es auch eine weiße Version geben. Wer vorher sein iPhone häufig geputzt hat, muss nun wohl noch öfters ran. Denn auf dem Glas sind Fingerabdrücke sichtbar, sobald es angefasst wurde.

Weniger Kratzer

Dafür gibt es künftig weniger Kratzer. Apple hat in seinem Handy Aluminosilikat-Glas verbaut, das 30 Mal härter ist als Plastik. Unser Vergleichs-iPhone ist ein Jahr alt, sieht auf der Rückseite aber eher aus wie ein verkratzter Küchentisch. Mit 9,3 Milimeter soll das iPhone 4 das dünnste Smartphone der Welt sein. Sagt Apple-Chef Steve Jobs, der um Superlative nicht verlegen ist. Wir haben das nicht überprüft, es ist aber wirklich flach. Das dies überhaupt möglich ist, liegt an den Antennen für Wifi, die Satellitenortung GPS und natürlich den Mobilfunkempfang, die nicht mehr im Gerät untergebracht werden mussten. Sie liegen nun im Edelstahlrahmen.

Mehr Schärfe

Das iPhone 4 ist ungleich schärfer als sein Vorgänger. Die Auflösung wurde schlichtweg vervierfacht. Außerdem wird das Licht des Displays weniger gestreut. Fotos vor allem aber Schriften erscheinen auf dem neuen Display mit größerer Schärfe. Längeres Lesen wird dadurch angenehmer. Anwendungen müssen gar nicht erst auf die neue Auflösung angepasst werden. Somit nutzen die mehr als 225.000 Programme in Apples AppStore die neue Schärfe.

Höhere Geschwindigkeit

Viel ist über Apples eigenen Chip A4 nicht bekannt. Der Prozessor wird auch in das iPad eingebaut. Obwohl es schon beim iPhone 3GS nicht mehr zu nennenswerten Wartezeiten beim Starten von Anwendungen gekommen ist, beschleunigt der A4 diesen Vorgang noch einmal. Trotz größerer Leistung soll er aber nicht stromhungriger sein. Tatsächlich aber müssen sich Smartphone-Nutzer heute grundsätzlich von Batterielaufzeiten verabschieden, die über mehrere Tage gehen. Das schafft auch das iPhone 4 nicht.

Wer sicher gehen will, sollte sein Handy jede Nacht an den Strom legen. Obwohl das iPhone 4 flacher ist, konnte ein größerer Akku verbaut werden. Das macht sich zwar bei der Stand-by-Zeit des Gerätes nicht bemerkbar. Aber Nutzer können mit dem neuen iPhone zwei Stunden länger telefonieren, eine Stunde länger surfen oder auch zehn Stunden länger Musik hören als mit dem Vorgängergerät. Auch in den Mobilfunknetzen ist das iPhone 4 schneller unterwegs, zumindest im Upload.

Besseres Auge

Apple hat einen Sprung von drei auf fünf Megapixel gemacht, dabei aber die Größe der Pixel beibehalten. Fotos werden daduch detailreicher. Vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen macht das iPhone deutlich bessere Fotos als der Vorgänger. Sollte es zu dunkel werden, leuchtet ein LED-Licht nähere Objekte aus. Grundsätzlich rauschen die iPhone-4-Fotos trotz der höheren Pixelzahl weniger. Wir haben einem professionellen Fotografen Vergleichsfotos vorgelegt. Sein Urteil: Die Farbsäume sind beim neuen iPhone deutlich geringer geworden, die Randschärfe sei für eine Handy-Kamera beeindruckend.

Trotzdem sollte niemand Wunder von der iPhone-Kamera erwarten. Die kleinen Kunststofflinsen in Handys schaffen nie die Optikqualität von echten Digitalkameras. Da macht auch das iPhone 4 keinen Unterschied. Der fünffache Digitalzoom ist praktisch überflüssig, er vergrößert den Bildausschnitt lediglich, was auch später am Computer noch möglich ist. Bei der Anzahl der Pixel sind übrigens SonyEricsson und bald auch Nokia mit zwölf Megapixel deutlich weiter.

Das iPhone 4 ist das erste Apple-Handy, das in HD-Qualität filmen kann, es schafft dabei eine Auflösung von 720p und 30 Bilder in der Sekunde. Die Filme sehen sowohl auf dem Handy-Display als auch auf dem 40-Zoll-Fernsehschirm sehr gut aus. Allerdings gibt es keinen Bildstabilisator, was beim freihändigen Filmen einen gewissen Wackeleffekt hervorruft. Auf das TV-Gerät kommt der Film vom iPhone nur über den Umweg eines Computers. Das direkte Verbinden des Handys mit dem Fernseher zum HD-Flimabspielen ist leider nicht möglich. Zwar kann das iPhone seine Filme drahtlos auf die Videoplattform Youtube laden, aber nicht in HD-Qualität. Unglücklicherweise wird in diesem Fall der Film komprimiert und auf kriselige 360p heruntergerechnet. Der Grund dafür liegt wohl in den Datenumfängen von HD-Videos. Denn ein einminütiger HD-Film, der mit dem iPhone gedreht wurde, belegt gut 80 Megabyte Speicher.

Gesichtszeit

Einen eher ungewöhnlichen Namen hat Apple für die Videotelefonie-Funktion gewählt: Face Time. Zum ersten Mal verfügt das iPhone über eine Kamera, die nach vorn ausgerichtet ist. Die Qualität ist mit ihrer VGA-Auflösung (640 mal 480 Pixel) eher bescheiden, reicht aber zum Videotelefonieren. Apple ist so stolz auf diese neue Funktion, dass Steve Jobs sie bei seiner jüngsten Präsentation als "There is one more thing" tituliert hat, was in der Vergangenheit immer für die großen Überraschungen sorgte. In unserem Test funktionierte "Face Time" einwandfrei.

Nachdem die Verbindung aufgebaut ist, erscheint der Gesprächspartner groß im Display, das eigene Gesicht hingegen in einem kleineren Fenster, das sich mit dem Finger in eine der vier Ecken auf dem Display verschieben lässt. Für die Videotelefonie müssen beide Gesprächspartner in Wlan-Netzen eingebucht sein. Bislang hat sich die Videotelefonie nicht durchsetzen können, obwohl sie als Standard in den Mobilfunknetzen besteht und von einigen Handys anderer Hersteller auch beherrscht wird. Es stellt sich vielmehr die grundlegende Frage, ob sich Gesprächspartner überhaupt sehen wollen und bereit sind, ihre Kommunikationsgewohnheiten dafür zu ändern.

Parallele Anwendungen

Viel Prügel hat Apple dafür einstecken müssen, dass bislang nicht mehrere Anwendungen zeitgleich auf dem iPhone laufen konnten. Die Konkurrenten haben Apple in dieser Sache genüsslich vorgeführt. Seit einigen Tagen hat Apple diesen Schwachpunkt abgestellt. Mit dem neuen Betriebssystem iOS 4 ist Multitasking auf dem iPhone 4 und auf dem Vorgängermodell iPhone 3GS möglich. Auf diese Weise kann beispielsweise im Hintergrund das Internetradio Pandora laufen, während gleichzeitig E-Mails verfasst werden.

In unserem Test funktionierte das einwandfrei. Bislang musste ein Programm geschlossen werden, um ein anderes zu öffnen. Wer künftig zwischen den geöffneten Programmen wechseln will, muss zweimal auf den Home-Button auf der Handy-Vorderseite drücken. Dann werden die aktiven Anwendungen in einem Streifen am unteren Bildschirmrand angezeigt.

Bessere Ordnung

Zu den ersehnten Neuerungen des iPhone-Betriebssystems iOS 4 gehört auch die Möglichkeit, Ordner anzulegen. Bisher verteilten sich die Icons für höchstens 180 Anwendungen auf elf Seiten, zwischen denen mit einem Fingerwisch geblättert werden konnte. Dabei ging schnell die Übersicht verloren. Nun können Ordner gebildet werden, insgesamt passen jetzt 180 Ordner mit 2160 Anwendungen auf die iPhone-Seiten. Sobald ein Icon auf einen anderen geschoben wird, landen beide in einem Ordner, der beliebig benannt werden kann.

Auch die Verwaltung mehrerer E-Mail-Konten ist nun einfacher, weil die Nachrichten alle in einer E-Mail-Box zusammenlaufen. Zusammenhängende Konversationen werden nun auch zusammen in sogenannten Threads dargestellt. Wer übrigens längere Mails schreiben muss, kann beim iOS 4 auch mit dem iPhone zusammen eine drahtlose Bluetooth-Tastatur benutzen.

Deutlichere Sprache

Natürlich kann das iPhone 4 auch normal telefonieren. Tatsächlich ist die Sprachqualität noch einmal verbessert worden. Vor allem der Angerufene hört seinen Gesprächspartner deutlicher. Das liegt an einem zweiten Mikrofon an der Oberseite des iPhones direkt neben dem Kopfhörer-Eingang, dessen Aufgabe es ist, die Hintergrundgeräusche herauszufiltern. Insbesondere bei Gesprächen im Straßenverkehr ist diese Funtion hilfreich. Apple ist hier allerdings eher ein Nachahmer, das Google-Handy Nexus One verfügt schon länger über eine zweites Mikrofon zur Geräuschunterdrückung.

Fazit: Während der Übergang vom iPhone 3G zum iPhone 3GS eher klein war, hat das iPhone 4 einen großen Sprung gemacht, der den Umstieg eher rechtfertigt als beim Vorgänger. Insbesondere das Display ist in seiner Schärfe kaum noch vergleichbar und setzt einen neuen Standard. Die Kamera macht nun Fotos, die auch im DIN-A-4-Ausdruck noch gut aussehen und sie filmt in einer Auflösung, die den großen Flachbildfernsehern stand hält. Unglücklicherweise ist es nicht einfach, die Filme auch auf den Fernseher zu bekommen. Apple hätte dafür ein Kabel beilegen sollen. So muss man nun den Umweg über den Computer gehen. Ob sich die Videotelefonie durchsetzt, ist noch nicht klar. Zumal derzeit nur iPhone-4-Nutzer untereinander diese Funktion nutzen können. Das müsste sich schnell ändern.

Alte Kritikpunkte bleiben bestehen: Der Akku ist nach wie vor nicht auswechselbar und bei aktiver Nutzung nach einem Tag am Ende. Nach wie vor fehlen Standard-Schnittstellen wie USB oder ein Speicherkarteneinschub. Trotzdem hat Apple ein Gerät vorgelegt, das auch über die Benutzerführung hinaus nun der Konkurrenz etwas entgegenzusetzen hat. Der jährliche Innovationszyklus des iPhones lässt Herstellern wie HTC genug Zeit, Apple bei der Hardware-Ausstattung zu überholen. Das Rennen hat nun erneut begonnen.

Das iPhone 4 gehört zu den teuersten Smartphones seiner Klasse. In Großbritannien wird das Gerät frei für alle Mobilfunknetze im Apples Online-Store verkauft und kostet in der 32-Gigabyte-Version etwa 720 Euro. Es wird jedoch nur an eine britische Adresse geliefert. In Deutschland besteht auch beim iPhone 4 die exklusive Partnerschaft mit T-Mobile weiter, hier verkaufte iPhones sind somit nur im Telekom-Netz nutzbar. Mit einem T-Mobile-Mobilfunkvertrag über 24 Monate kosten die beiden iPhone-Versionen (16 und 32 Gigabyte) je nach Monatstarif zwischen einem und knapp 400 Euro.

Quelle: Welt Online