BP verscherbelt Tafelssilber: Der Konzern will die Ölpest-Strafe durch den Verkauf von Unternehmensteilen finanzieren.
Es ist unklar, ob die Segelregatta vor der Küste Großbritanniens Tony Hayward die gewünschte Entspannung gebracht hat. Im Nachhinein dürfte sie der BP-Chef eher bereut haben. Denn auf diese Weise sorgt er wieder einmal für tagelange Aufregung in den US-Medien. „Ich glaube, wir kommen alle zu dem Schluss, dass Tony Hayward nicht vor einer Zweitkarriere als PR-Berater steht“, kommentierte süffisant Rahm Emanuel, der Stabschef des Weißen Hauses, diesen Freizeitausflug. Gleichzeitig blieb Hayward die einzige Nachricht schuldig, auf die Amerika sehnlich wartet: Dass das Loch endlich gestopft ist.
Doch danach sieht es noch lange nicht aus. Stattdessen wurde die Menge des austretenden Öls erneut nach oben korrigiert. Der Kongressabgeordnete Ed Markey veröffentlichte ein internes Dokument von BP, demzufolge die Katastrophe noch schlimmer sein könnte als bislang angenommen.
Glaubt man dem Papier, könnten aus dem Bohrloch pro Tag bis zu 100.000 Barrel (15,9 Millionen Liter) Öl ins Meer sprudeln. Dies sind zwei Drittel mehr als die pessimistischste Annahme der US-Regierung, die derzeit von bis zu 60.000 Barrel ausgeht. Zu Erinnerung: Anfangs sprachen Experten von gerade einmal 1000 Barrel pro Tag.
BP will Anleihen verkaufen und Kredite aufnehmen
BP hat das Dokument bislang nicht kommentiert, rüstet sich aber für die enormen Kosten, die auf den Konzern zukommen werden. Angeblich versucht BP derzeit, 50 Milliarden Dollar (40 Milliarden Euro) aufzutreiben. Zehn Milliarden Dollar will BP über eine Unternehmensanleihe einsammeln. Von den Banken erhofft sich der Konzern Kredite in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Weitere 20 Milliarden Dollar soll der Verkauf von strategisch unbedeutenden Geschäftsbereichen und Vermögenswerten bringen. Außerdem zahlt der Konzern vorerst keine Dividende an seine Aktionäre, worunter vor allem britische Pensionsfonds leiden.
Bislang steht die Rechnung für die Ölkatastrophe laut BP bei zwei Milliarden Dollar (1,61 Milliarden Euro). An die Fischer und Restaurantbesitzer an der Golfküste, die wegen der Ölkatastrophe unter Verdienstausfällen leiden, hat BP bereits 105 Millionen Dollar an Entschädigung gezahlt. Zudem hat sich das Unternehmen vergangene Woche bereit erklärt, 20 Milliarden Dollar für einen Fonds bereitzustellen, der die Ansprüche der Betroffenen decken soll. US-Präsident Barack Obama machte allerdings unmissverständlich klar, dass es sich dabei keinesfalls um eine Obergrenze für die gesamten Kosten handele.
Geschäftspartner von BP versuchen derzeit, sich mit aller Gewalt von dem Konzern und der Umweltkatastrophe zu distanzieren. Sie fürchten, dass auf sie ebenfalls hohe Strafzahlungen zukommen werden. Denn BP ist der Ansicht, dass alle an der Ölquelle beteiligten Unternehmen für die Kosten aufkommen müssen. Das Partnerunternehmern Anadarko beschuldigt BP nun, sich im Vorfeld der Explosion auf der Bohrinsel Deepwater Horizon „unverantwortlich“ verhalten zu haben.
So gebe es laut Anadarko-Chef James Hackett immer mehr Beweise, dass die Katastrophe vermeidbar und eine direkte Folge des verantwortungslosen Verhaltens von BP gewesen sei. Offenbar habe es sich um grobe Fahrlässigkeit und vorsätzliches Fehlverhalten gehandelt, sagte Hackett. BP müssten daher für die Kosten allein aufkommen. Anadarko ist zu 25 Prozent an der Ölquelle beteiligt, der japanische Konzern Mitsui zu zehn Prozent. BP hält 65 Prozent.
Sicherheitsprobleme auf Ölplattform schon länger bekannt
Nach Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters hat es auf der gesunkenen Ölplattform schon Wochen vor der Explosion Probleme mit der Sicherheit gegeben. Er habe einen Fehler an einer Dichtungsvorrichtung festgestellt und die zuständigen Vorgesetzten informiert, erläuterte Tyrone Benton der „BBC“. Statt das wichtige Teil zu reparieren, habe man es aber einfach abgeschaltet und sich auf eine zweite Sicherheitsdichtung verlassen, berichtete der britische Sender. BP verwies darauf, der Plattform-Besitzer Transocean sei für die Instandhaltung der betroffenen Vorrichtung zuständig gewesen.
An der Golfküste steigt die Frustration der Bewohner über den Umgang mit der Ölpest. Die Gouverneure der vier betroffenen Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama and Florida hatten gefordert, dass zuerst die Anwohner der Küstenregion als Helfer eingestellt werden, damit sie ihren Verdienstausfall ausgleichen können. Dennoch ließen Subunternehmer, die die Aufräumarbeiten organisieren, Arbeiter aus dem ganzen Land vergeblich anreisen. Sie wurden teilweise nach einer Woche wieder entlassen oder nach Hause geschickt.
Der Rest des Landes spürt bislang weder an der Tankstelle noch im Supermarkt eine direkte Auswirkung der Ölpest. Shrimps und Fische, die direkt aus dem Golf von Mexiko stammen, sind zwar deutlich teurer geworden. Doch insgesamt sind die Preise für Meeresfrüchte in den USA stabil geblieben. Amerika importiert 83 Prozent der Meerestiere, die dort auf dem Teller landen. Nur zwei Prozent des heimischen Bedarfs werden tatsächlich aus dem Golf von Mexiko gedeckt.