Bodo Uebber ist einer der mächtigsten Männer der Luftfahrt. Der EADS-Verwaltungsratschef will bei Großprojekten sparen, aber nicht am Personal.

Die Internationale Luftfahrtmesse ILA in Berlin habe schon etwas Wundersames, sagt Bodo Uebber. Dort würden „wie durch Zufall“ an ganz wenigen Tagen enorm viele Flugzeuge verkauft, scherzt der Vorsitzende des Verwaltungsrats beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Uebber spielt auf die Tradition an, längst getätigte Vertragsabschlüsse mit Pomp auf der ILA, die am Dienstag startet, zu verkünden. Uebber ist einer der mächtigsten Männer der Luftfahrtindustrie. Er empfängt in seinem Büro in der Daimler-Zentrale in Stuttgart-Untertürkheim. Schließlich ist er auch noch Daimler-Finanzvorstand.

Welt am Sonntag: Die Euro-Zone steckt in der Krise. Haben Sie schon durchgerechnet, wie die Welt für EADS, den europäischen Konzern schlechthin, ohne den Euro aussähe?

Bodo Uebber: Solche Überlegungen gibt es nicht. Auch wenn ich hier im Interview nicht als Daimler-Manager sitze, kann ich Ihnen sagen: Das rechnet auch bei Daimler keiner durch, schlicht und einfach, weil wir es faktisch ausschließen. Denn der Weg zurück zu unseren nationalen Währungen wäre ein Rückschritt für Europa.

Welt am Sonntag: Seit gut einem Jahr sind Sie jetzt Vorsitzender des Verwaltungsrats bei EADS. Wie sieht Ihre Bilanz nach turbulenten zwölf Monaten aus?

Uebber: Ich sitze ja schon seit 2007 im Verwaltungsrat, bin dort also kein Neuling. Wir haben mit dem Führungswechsel nahtlos an die Zeit vorher angeknüpft. Unsere Hauptaufgabe ist die strategische Entwicklung von EADS. Die Punkte wie eine stärkere internationale Ausrichtung, eine Erhöhung des Service-Anteils am Umsatz und eine Ausweitung der militärischen Aktivitäten sind ja in der „Vision 2020“ enthalten, die das Management umsetzt.

Natürlich haben wir in den vergangenen zwölf Monaten auch intensiv die großen Programme wie A380, A350, A400M und das Grenzsicherungssystem für Saudi-Arabien begleitet. Dann ging es auch um die Weiterentwicklung des Vergütungssystems, die Optimierung des Risikomanagements und die Stärkung der Compliance-Organisation, der Regeln für sauberes Geschäftsgebaren also.

Welt am Sonntag: Das klingt nach viel Frust. Schließlich läuft keines Ihrer Großprogramme reibungsfrei.

Uebber: Überhaupt nicht. Das sind spannende Herausforderungen, etwa bei den Verhandlungen mit den Bestellnationen über den Militärtransporter A400M, wo Vorstandschef Louis Gallois und ich auch persönlich gefordert waren.

Welt am Sonntag: Wie politisiert ist der Verwaltungsrat? Tun sich da noch deutsch-französische Gräben auf?

Uebber: Der Verwaltungsrat ist viel weniger politisiert, als alle immer denken – man kann sagen, er ist völlig unpolitisch, von Sachfragen getrieben, entscheidet unabhängig von Nationalitäten und Flaggen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals über so etwas wie eine nationale Balance als Grundlage für eine Entscheidung im Verwaltungsrat gesprochen wurde. Das gilt übrigens auch für die Zusammenarbeit zwischen Louis Gallois und mir. Die ist gut.

Welt am Sonntag: Ein Prunkstück der EADS-Tochter Airbus ist der A380. Kürzlich wurde die erste Maschine an die Lufthansa ausgeliefert. Was empfinden Sie in einem solchen Moment?

Uebber: Stolz. Der A380 zeigt den Nerv der EADS. Er ist das effizienteste existierende Flugzeug, steht für Hochtechnologie und Flugzeugbau erster Güte, und das Kunden-Feedback ist exzellent.

Welt am Sonntag: Keine Sorgenfalten auf der Stirn? Jeder dieser Riesenflieger bringt erst einmal große Verluste.

Uebber: Natürlich müssen wir insgesamt die Profitabilität von EADS verbessern – das gilt ohne Frage auch für den A380. Wir müssen jedoch bei diesen Programmen auch die Zeiträume im Auge behalten. Es geht hier um ein Programm über 30 oder 40 Jahre. Da braucht man einen langen Atem. Da lässt sich aber auch die Ertragskraft des A380 entwickeln. Daher: Zugegeben, im Augenblick belastet dieser Flieger noch das Ergebnis. Natürlich müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Das bezieht sich aber eher auf unsere internen Abläufe: Wir müssen unsere Produktion noch besser in den Griff bekommen.

Welt am Sonntag: Die Ertragskraft von Airbus ist nicht nur beim A380 gering, der Gewinn niedrig. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorge?

Uebber: Ich sehe eher die Chancen, die EADS hat – und die sind groß. Die Produkte stimmen, das Wachstum im Markt wie das beim Passagier- und Frachtaufkommen stimmt. Wir haben also alle Möglichkeiten, langfristig profitabel zu wachsen.

Welt am Sonntag: Der niedrige Euro-Kurs müsste Ihnen helfen. Sie produzieren in Euro und verkaufen in Dollar.

Uebber: Auf den ersten Blick ist das auch so einfach – wenn der Kurs so bleibt. Die Frage aber lautet: Wie nachhaltig ist eine solche Entwicklung? Der Euro ist im Übrigen zwar gerade wieder schwächer, aber nicht auf einem niedrigen Niveau.

Welt am Sonntag: Wo sehen Sie den idealen Wechselkurs?

Uebber: Der Euro sollte im Bereich um 1,20 Dollar liegen. Ich wünsche mir im Übrigen nicht, dass der Euro zu schwach wird. Dann ginge es nämlich darum, wie Europa wirtschaftlich noch dasteht und damit ganz simpel um die Frage, ob wir überhaupt noch genug fliegen.

Welt am Sonntag: Daimler hält 22,5 Prozent der Stimmrechte und 15 Prozent der Aktien an EADS. Warum halten Sie trotz der finanziellen Belastungen etwa durch den A400M an dieser Beteiligung fest?

Uebber: Man kann doch nicht das Ergebnis eines Jahres zum Maßstab für eine Beteiligung machen. Für mich steht fest, dass EADS eine tolle Zukunft hat – das langfristige Wachstum ist intakt! Der Wert von EADS wird steigen, und daran wollen wir als Daimler partizipieren.

Welt am Sonntag: Wie lange will Daimler noch an EADS beteiligt sein?

Uebber: Wir haben uns dafür keinen Zeitraum gesetzt.

Welt am Sonntag: Inwieweit ist dieses Engagement politisch motiviert? Sie springen ja letztlich für die Bundesregierung ein, um die deutsch-französische Parität zu gewährleisten.

Uebber: Unsere Beteiligung ist kein politisches Engagement, sondern ein Daimler-Engagement. Wir sind mit den französischen und spanischen Anteilseignern Gründerväter von EADS. Natürlich gab es am Anfang bei EADS die Notwendigkeit, eine gewisse Balance zu halten im Unternehmen zwischen den Nationen. Das war der erste Schritt.

Welt am Sonntag: Immerhin ist der französische Staat direkt beteiligt.

Uebber: Der verhält sich wie ein normaler Aktionär – und das kann ich als Vorsitzender des Verwaltungsrates gut beurteilen.

Welt am Sonntag: Sie hatten vorhin die „Vision 2020“ angesprochen, das große Strategiepapier von EADS. Wird daraus infolge der Wirtschaftskrise nun die „Vision 2025“ oder „2030“?

Uebber: Wir halten an unseren Zielen fest. Natürlich haben wir viele Diskussion darüber, wie sich die Staatshaushalte entwickeln. Und in der Krise haben die Wachstumskurven von Passagier- und Frachtaufkommen einen Knick erhalten. Doch jetzt geht's auch wieder nach oben. Auch wenn der Weg zum Ziel vielleicht anders aussehen wird: Die Ziele wie Verdoppelung des Umsatzes, höhere Margen, größere Anteile bei öffentlichen Aufträgen und Services-Leistungen bleiben. Und die Aufgabe fürs Management lautet: nicht zu schnell aufgeben und flexibel bleiben.

Welt am Sonntag: Eines Ihrer Ziele lautet, besser in den USA Fuß zu fassen. Nachdem der Tankerauftrag der US-Luftwaffe schon an Boeing verloren schien: Werden Sie am 9. Juli ein verbindliches Angebot für den 35-Milliarden-Dollar-Auftrag abgeben?

Uebber: Davon gehe ich aus. Sollten wir den Auftrag gewinnen, dann kämen wir auch unserem Ziel näher, mehr Produktion in der Dollarzone aufzubauen. Louis Gallois wettet darauf, dass wir den Tankerauftrag erhalten. Da ich ihm voll vertraue, gehe ich die Wette mit.

Welt am Sonntag: EADS arbeitet gerade auf vielen Großbaustellen: Der Riesenflieger A380 bringt Verluste, der Militärtransporter A400M kommt verspätet, das Langstreckenflugzeug A350 muss noch zum Fliegen gebracht werden. Übernehmen Sie sich nicht?

Uebber: Es wäre sicher besser, wenn nicht all diese Großprogramme gleichzeitig auf uns zukämen. Es war, als sie nacheinander geplant wurden, nicht abzusehen, dass sie am Ende alle auf das gleiche Zeitfenster zusammenrutschen. Natürlich diskutieren wir auch im Verwaltungsrat, ob die Kapazitäten im Management und bei den Ingenieuren ausreichen. Unsere Schlussfolgerung ist da ziemlich simpel: Wir müssen das schaffen – es gibt keine Alternative.

Welt am Sonntag: Sie haben Kapazitätsgrenzen angesprochen. Wie sehr macht Ihnen der Fachkräftemangel in Deutschland zu schaffen?

Uebber: Wir haben großen Bedarf an Ingenieuren. Wir stellen ein, allein 3000 Menschen dieses Jahr in Deutschland, hauptsächlich Ingenieure. Deutschlands Wirtschaft braucht gut ausgebildete Ingenieure von unseren Hochschulen, zusätzlich müssen wir aber auch Fachkräfte importieren.

Welt am Sonntag: Wie wichtig ist der Standort Deutschland noch? EADS will internationaler werden. Das könnte Arbeitsplätze hierzulande kosten.

Uebber: Seit unserer Gründung vor zehn Jahren haben wir 15000 Stellen in Europa aufgebaut. Natürlich müssen wir auch dorthin gehen, wo wir unsere Produkte verkaufen, nach China, in den Nahen Osten, nach Indien, in die USA. EADS muss internationaler werden. Das ist aber nicht nachteilig für das Wachstum in Deutschland. Hier werden wir anteilig mitwachsen. Der Kern von EADS wird europäisch bleiben.

Welt am Sonntag: Ein Grund für das Bekenntnis zu Europa ist doch die Subventionspolitik. Warum müssen Staaten den Flugzeugbau überhaupt fördern?

Uebber: Weil es hier um enorme Summen geht, die allein nicht zu stemmen sind. Staaten begleiten einen Teil der Finanzierung des zivilen Flugzeugbaus, und diese Unterstützung zahlen wir ja allerdings dann mit Gewinn für die Staaten zurück. Unsere Industrie kann nur so funktionieren: Die Zahlen sind zu groß. Unter dem Strich ist das für die Staaten ein gutes Geschäft – nicht nur finanziell, sondern auch wegen der entstehenden Technologiebasis und der damit verbundenen Arbeitsplätze.

Welt am Sonntag: Zwischen den USA und der EU gibt es bei der Welthandelsorganisation WTO einen Streit um die Rechtmäßigkeit von Subventionen für Boeing und Airbus.

Uebber: Wenn möglich, sollte der WTO-Streit relativ schnell beigelegt werden. Ich wünschte, wir hätten keinen Konflikt um einen Subventionswettlauf. Wir streiten uns, während China, Russland und Brasilien aufholen und uns Konkurrenz machen. Wir sollten begreifen, dass es auch anderen Wettbewerb gibt. Das Schlimmste wäre, wenn wir uns so lange streiten, bis die anderen stark sind. Mein Rat: Statt der WTO-Auseinandersetzung sich auf den Wettbewerb konzentrieren.

Welt am Sonntag: Die Krise hat alle gefangen gehalten. Ist sie schon vorüber?

Uebber: Wir haben ein Übergangsjahr. Momentan hellt es sich etwas auf. Wir müssen aber aufmerksam bleiben: Die Weltwirtschaft ist noch nicht zu hundert Prozent stabil, die Märkte sehr volatil. Leider gibt es da jenseits rationaler Analysen auch psychologische Effekte.

Welt am Sonntag: Wenn Sie die Finanz- mit der Eurokrise vergleichen: Wann war der psychologische Effekt größer?

Uebber: Im vergangenen Jahr. Im März 2009 hat doch keiner mehr so richtig gelächelt. Niemand wusste, wo der Boden ist. Heute können wir sagen: Wir haben den Boden mal getestet, wir wissen wo er ist. Das macht einen etwas sicherer. Aus der Krise hat auch ein Unternehmen wie EADS enorm viel gelernt. Wir wissen, wie wir durch so große Krisen gehen können. Ich bin daher vorsichtig optimistisch.

Welt am Sonntag: Zehn Jahre EADS liegen hinter uns. Was bringt das kommende Jahrzehnt für den Konzern?

Uebber: EADS wird auch dann noch eine Klasse für sich sein. Mit einzigartigen Produkten wie dem A380, dem A350, unbemannten Flugzeugen, die Standards setzen. In zehn Jahren, werden wir uns wiedersehen und darüber reden, wie erfolgreich wir gewesen sind. Zehn Jahre? Ja, das könnte ich noch schaffen. (lacht)

Quelle: Welt Online