Die Ferieninsel Sylt ist bei Touristen dermaßen beliebt, dass jedes freie Fleckchen an Urlauber vermietet wird.
Auf Sylt, Deutschlands beliebtester Insel mit dem teuersten Bauland, den elegantesten Villen und mehr Nobelkarossen als sonst irgendwo, herrscht Wohnungsnot. Mehr als 800 Insulaner sind derzeit auf der Suche nach einer Bleibe. Einige von ihnen campieren sogar in zugigen Wohnwagen auf Zeltplätzen, andere in 20-Quadratmeter-Kellerräumen für monatlich 700 oder 800 Euro.
Hinzu kommen je nach Jahreszeit zwischen 3000 und 4000 Arbeitnehmer, Kellner, Gärtner und Handwerker, die Tag für Tag mit dem Zug zwischen dem teuren Eiland und dem günstigeren Festland pendeln. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt auf Sylt, fahren zum Schlafen nach Klanxbüll oder Niebüll, weil sie sich auf der Insel ein kein eigenes Bett leisten können.
Jörg Matthiessen ist Verkaufsleiter im Hotel „Windrose“ in Wenningstedt auf Sylt. Er kommt morgens aus Niebüll mit der Deutschen Bahn über den elf Kilometer langen Hindenburgdamm auf die nordfriesische Insel. Matthiessen und seine Freundin wohnen auf dem Festland in einer 90-Quadratmeter-Wohnung für rund 550 Euro. „Auf Sylt würde sie das Drei- oder Vierfache kosten“, lächelt er gequält. Wie ihm geht es vielen der rund 21.000 Einwohner und der insgesamt bis zu 10.000 Gastarbeiter:
Es fehlt auf der teuren, an ihrer schmalsten Stelle aber nur etwa 300 Meter breiten Sandbank in der Nordsee an Platz für diejenigen, die keine größeren Vermögen besitzen. Der Insulaner Klaus-Peter Schulz sucht schon seit Monaten: „Auf Sylt eine bezahlbare Wohnung zu finden ist fast unmöglich.“ Das liegt an der Touristenflut, die von Jahr zu Jahr neue Höchstmarken erreicht. Weil die rund 40.000 Gästebetten und 16.000 Zweitwohnsitze die mehr als 800.000 Urlauber, die jährlich über die 99 Quadratkilometer herfallen, nicht mehr aufnehmen können, wird jede Garage, jedes Kinderzimmer und jeder Holzschuppen zu einer Ferienimmobilie umfunktioniert. Am Brandenburger Strand soll jetzt ein Klinkerbau mit 24 Wohnungen einer Luxusimmobilie weichen.
Mit privatem Bauland wird spekuliert, für günstigen Wohnungsneubau fehlt es „schlicht und einfach an Baugrund“, wie Dirk Schmidt von der Gewoba Nord Baugenossenschaft konstatiert. Die baut zwar in List in den nächsten beiden Jahren je 19 Mietwohnungen, aber das wirkt wie eine Handvoll Sand zum Inselschutz gegen die Herbststürme der Nordsee.
Die latente Wohnungsnot der Einheimischen hat auch das Kommunale Liegenschafts-Management (KLM) in Westerland auf den Plan gerufen. Aber auch die 258 Einheiten, die bis zum Jahr 2015 im Süden der Gemeinde für rund 33 Millionen Euro entstehen sollen, sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. KLM-Architekt Rudi Stiewe beklagt, dass die an dieser Stelle bestehende Neue-Heimat-Siedlung aus den 50er-Jahren in einem „desolaten Zustand“ ist. Komplett abreißen könne man sie aber wiederum nicht, „denn es fehlt an Ausweichwohnungen“. Man suche derzeit sämtliche Liegenschaften Westerlands nach möglichen zusätzlichen Bauflächen ab, denke auch daran, Bebauungen zu verdichten, aber das Grundproblem bleibt: Sylt ist zu klein.
Von der Wohnungsmisere auf Sylt profitieren die nahen Immobilienmärkte auf dem Festland – insbesondere die Orte Niebüll, Leck, Langenhorn und Klanxbüll, letzter Halt des Zuges vor Sylt. „Klanxbüll hätte normalerweise nur 20 Einwohner“, schmunzelt Jörg Matthiessen. „Aber das Dorf hat einen Bahnhof, von dem aus man schnell nach Sylt kommt, und deswegen jetzt schon fast 1000 Einwohner.“ Weil inzwischen jedoch auch an der nordfriesischen Küste Bauland „knapp bemessen“ ist, wie Dirk Schmidt sagt, steigen hier die Miet- und Kaufpreise ebenfalls.
Die höchsten Immobilienpreise Sylts werden in Kampen erzielt. Hier kosten frei stehende Häuser bis zu 15 Mio. Euro. Das Hamburger Maklerunternehmen Grossmann & Berger hatte im Frühjahr sogar einen Spitzenpreis von 25 Mio. Euro für ein Objekt in Spitzenlage notiert. Weltweit unerreicht dürfte der Quadratmeterpreis für die Reetdachhütte „Waterküken“ am Kampener Watt sein: Die ist nur 30 Quadratmeter groß, soll aber 4,8 Mio. Euro kosten. Der Grund: Zu dem Häuschen gehört ein 2400 Quadratmeter großes Grundstück. Anbauen aber ist verboten. Noch.