Die Euro-Krise treibt immer mehr Anleger in Wohnimmobilien – vor allem in Ballungszentren. Dabei erreichen die Preise in großen Städten mittlerweile ein ungesundes Niveau. Zudem haben sich viele Anleger viel zu wenig mit den Risiken auseinandergesetzt. Denn die historisch hohen Preise könnten schon bald unter Druck geraten.
Angst ist kein guter Ratgeber bei einer wichtigen Investitionsentscheidung. Und doch lassen sich viele Immobilienkäufer davon leiten. Staatsschulden und Inflationsängste sorgen für einen ungebremsten Nachfrageschub in den Städten. Auch die Sorge um Wirtschaft und Wohlstand treibt die Menschen in die eigene Immobilie. Fast wie orientierungslose Insekten wimmeln die Kaufinteressenten in den Ballungszentren herum und setzen sich damit nur weiteren Gefahren aus. Denn ausgerechnet der Fall, für den sie sich absichern – eine steigende Inflation – könnte einen Strich durch die Finanzplanung machen.
„Anleger verkaufen wegen der Euro-Krise zunehmend Aktien und Staatsanleihen und legen ihr Geld stattdessen in Wohnimmobilien an“, berichtet Günter Vornholz, Leiter Immobilienresearch bei der NordLB-Tochter Deutsche Hypo. „In den Großstädten sind Eigentumswohnungen und Miethäuser in guten und sehr guten Lagen als Kapitalanlageprodukte derzeit hoch begehrt“, bestätigt Jürgen Michael Schick, Vizepräsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Treibende Kraft sind allerdings größtenteils Investoren. Beim selbst genutzten Eigenheim ist die Nachfrage noch überschaubar.
Kein Wunder: Die stetig wachsenden Zahlungsverpflichtungen der Euro-Staaten machen schwindelig. 750 Milliarden Euro umfasst inzwischen das Rettungspaket für klamme Mitglieder der Währungszone. Für bis zu 148 Milliarden Euro davon bürgt Deutschland beziehungsweise muss notfalls eine solche Summe stemmen. Noch Anfang Mai war lediglich von 22,4 Milliarden Euro die Rede. Viele Anleger fürchten, dass die Spirale immer höherer Lasten am Ende in einer Geldentwertung münden wird.
An Umsatzzahlen auf dem unübersichtlichen Immobilienmarkt lässt sich das zwar nicht ablesen – jedoch an der Vergabe von Baudarlehen und teilweise an der Preisentwicklung. „Die Sorgen der Menschen um einen Anstieg der Inflationsrate und um die Stabilität des Euro treiben die Nachfrage nach Wohnimmobilien“, sagt Heinz-Helmut Müller, Direktor der Immobilien der Berliner Sparkasse. „Bei der privaten Immobilienfinanzierung stieg unser Neugeschäftsvolumen in den ersten vier Monaten des Jahres um 34 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.“ Nicht anders ist die Situation in anderen Großstädten: „Miethäuser sind als Anlageobjekt heiß begehrt“, sagt Christian Wittke, Immobilienanlage-Experte der Berenberg Bank. „Die Nachfrage ist auch bei Eigentumswohnungen außerordentlich hoch“, sagt Ulrike Zobel, Immobilienexpertin der Hamburger Sparkasse. In Stuttgart und München seien die Preise für Mehrfamilienhäuser so stark gestiegen, dass „die Mieten nur noch Renditen von knapp vier Prozent abwerfen“, sagt Volker Gerstenmaier, persönlich haftender Gesellschafter der Stuttgarter Privatbank Ellwanger & Geiger.
Zusätzlich befeuert wird der Boom noch durch die derzeit außergewöhnlich niedrigen Hypothekenzinsen. Tobias Just, Analyst bei Deutsche Bank Research: „Das billige Fremdkapital erhöht die Attraktivität von Immobilieninvestments.“ Institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen stoßen wegen der Griechenlandkrise im großen Stil südeuropäische Staatsanleihen ab und legen ihr Kapital stattdessen in Pfandbriefen deutscher Hypothekenbanken an. Dadurch können diese sich billig refinanzieren und buhlen mit niedrigen Zinsen um die Gunst der Kunden. Der seit vielen Monaten niedrige Leitzins bildet den entsprechend flachen Sockel.
Für Hypothekendarlehen mit zehnjähriger Laufzeit beträgt der Durchschnittszins derzeit nur 3,67 Prozent – und liegt damit fast auf Rekordtief. Die Zahl bezieht sich auf Angebotszinsen, die einen hinsichtlich Bonität idealen Kreditnehmer voraussetzen. Doch auch innerhalb dieser Idealwelt zeigt der Blick zurück, wie stark sich die Kreditkosten insgesamt verändert haben: Im Mittel der vergangenen zehn Jahre betrugen die Zehn-Jahres-Zinsen 5,58 Prozent.
Die Situation weckt Erinnerungen an die Lage am US-Wohnimmobilienmarkt vor dem Crash. Damals hatten ebenfalls extrem niedrige Zinsen zunächst einen Boom ausgelöst, dessen Ende die globale Finanzkrise einleitete. Freilich macht die laxe Kreditvergabe an schwache Schuldner den entscheidenden Unterschied. Was die Preise angeht, ziehen Experten allerdings Parallelen. „Der Markt wirkt zum Teil überhitzt“, warnt Ellwanger-&-Geiger-Gesellschafter Gerstenmaier. In den Großstädten haben sich Miethäuser und Eigentumswohnungen zuletzt kräftig verteuert. „In Ballungszentren mit steigenden Einwohnerzahlen haben die Preise ein Rekordniveau erreicht“, sagt Robert Anzenberger, Vorstand des Immobilien- und Finanzierungsvermittlers PlanetHome. „Nie zuvor waren Objekte im mittel- bis hochwertigen Segment so teuer wie heute.“
Wo der Verdacht auf gutes Geschäft besteht, drängeln sich die Käufer. So auch bei Zwangsversteigerungen. In guten Lagen Hamburgs beispielsweise treiben sich die Mitbieter schnell mal auf siebenstellige Summen.
Dass der Markt auf diesem Niveau verharren kann, glaubt Anzenberger nicht: „Sobald sich die Wirtschaft durchgreifend erholt, sinken die Preise.“ Die Europäische Zentralbank werde dann die Zinsen anheben, um die Inflation im Zaum zu halten. Damit würden sich Hypothekendarlehen verteuern – und zwangsläufig die Immobilienwerte unter Druck bringen.
Gerstenmaier rät den Immobilieneignern unter den Ellwanger-&-Geiger-Kunden deshalb, jetzt Kasse zu machen, so lange der Preisdruck noch anhält: „Wer vor dem Jahr 2000 ein Miethaus oder eine vermietete Eigentumswohnung erworben hat, sollte den Boom nutzen, um Gewinne einzufahren.“ Denn nach Ablauf der Spekulationsfrist von zehn Jahren muss die Profitspanne aus früherem Kauf- und heutigem Verkaufspreis nicht versteuert werden.
Sollten die Preise von Miethäusern und Eigentumswohnungen deutlich fallen, lassen sich die Wertverluste nur teilweise durch Mietsteigerungen ausgleichen. Denn das restriktive deutsche Mietrecht verhindert, hohe Anhebungen. „Sie sind nur im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete möglich“, erläutert Deutsche-Hypo-Experte Vornholz. Selbst in Großstädten seien deshalb nur Mietsteigerungen von ein bis zwei Prozent pro Jahr zu erwarten. Vornholz: „In Kleinstädten und Regionen mit schrumpfender Einwohnerzahl werden die Mieten in den kommenden Jahren sogar fallen.“
Diese Märkte sind vom gegenwärtigen Immobilienboom allerdings sowieso nicht erfasst. „Gefragt sind ausschließlich Eigentumswohnungen sowie Miet- und Geschäftshäuser in Ballungszentren mit steigenden Einwohnerzahlen“, sagt IVD-Vize Schick. An Objekten in strukturschwachen, vom Bevölkerungsschwund geplagten Regionen gebe es kein Interesse. Auch Eigenheime im Grünen sind nicht auf der Liste der Käufer.
Nicht zuletzt gibt es große Unterschiede zwischen dem Verhalten von Vermietern und Selbstnutzern. Nach Berechnungen des Verbands deutscher Pfandbriefbanken sanken die Preise von selbst genutztem Wohneigentum im Bundesschnitt im ersten Quartal um 0,9 Prozent. Der Grund liegt für Vornholz auf der Hand: „Wegen der unsicheren Wirtschaftslage schrecken viele Familien davor zurück, jetzt ein Haus zu erwerben.“ Das bezeugen auch die jüngsten Zahlen der Bundesbank. Wegen der rückläufigen Nachfrage von Eigennutzern fiel das Gesamtvolumen der an Privatanleger ausgereichten Hypothekendarlehen im ersten Quartal um 2,5 Milliarden Euro auf 787,5 Milliarden Euro. Selbstnutzer haben sich dem Insektenschwarm also nicht angeschlossen. Noch nicht.