Die wildgewordenen Aktien- und Devisenmärkte sind zur Gefahr für sich selbst und die Staaten geworden. Selbst Profis können ihre Produkte und die daraus entstehenden Bedrohungen nicht mehr kontrollieren. Mit sechs neuen Regeln könnten der Handel für alle erheblich sicherer werden.
Schon zwei Monate nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers trafen sich die Regierungschefs der G20-Staaten und berieten, wie das Finanzsystem reformiert werden muss. Sie einigten sich damals, Mitte November 2008, auf rund 50 Maßnahmen.
Doch je mehr Zeit ins Land ging, je mehr sich die Börsen und die Wirtschaft erholten, desto schwächer wurde die Position der Verfechter umfassender Reformen. Paul Volcker, der ehemalige US-Notenbankchef, scheiterte ebenso mit seinen radikalen Vorschlägen für eine Aufspaltung der großen Banken wie die deutsche Regierung mit ihrem Wunsch nach einer stärkeren Kontrolle von Hedgefonds.
Die Griechenlandkrise der vergangenen Wochen hat nun jedoch deutlich gemacht, dass der Finanzmarkt nach wie vor anfällig ist - auch wenn in diesem Fall die Ursache der Krise ganz klar nicht im System lag, sondern in den Versäumnissen der griechischen Regierungen in der Vergangenheit. Dennoch zeigte sich hier erneut, dass das Finanzsystem immer noch so verfasst ist, dass es die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen kann.
Um dies zu verhindern und einige der Auswüchse zu beschneiden, sind umfassende Reformen notwendig. Das meiste liegt dabei schon auf dem Tisch, vieles scheint inzwischen auch in Bewegung zu kommen. So wollen die EU-Staaten offenbar in der kommenden Woche eine stärkere Kontrolle der Hedgefonds beschließen. Diese sind jedoch im Vergleich zu Banken, Notenbanken und Pensionsfonds die kleineren Marktteilnehmer.
Die gewichtigen Reformvorschläge drohen weiter zu versanden, wie beispielsweise die Trennung des Eigenhandels von den Banken. "Das wäre ein sichereres Bankensystem", sagte vor wenigen Tagen der ehemalige Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, dessen Staat sich anschickt zum neuen Finanzzentrum Asiens aufzusteigen. Doch die USA und Großbritannien fürchteten, dass dann Banken in andere Länder abwandern könnten. Das wollten sie verhindern.
1. Eigenhandel der Banken vom übrigen Geschäft abtrennen
Das Geschäft der großen Banken hat nur noch wenig mit dem zu tun, wie sich Otto Normalverbraucher ein Geldinstitut vorstellt. Den Großteil ihrer Gewinne erzielen sie nicht mit Tagesgeldkonten oder Krediten an Kleinunternehmer, sondern damit, dass sie an den Finanzmärkten Wetten eingehen, und zwar längst nicht mehr nur im Auftrag ihrer Kunden, sondern auch auf eigene Rechnung. Im Prinzip sind die großen Banken damit riesige Hedgefonds, und dies ist auch ein Grund, warum die Pleite einer solchen Bank solch enorme Folgen für das Finanzsystem hätte und sie vom Staat gerettet werden müssen.
Als Vorteil des Eigenhandels wird angeführt, dass auf diese Weise der Handel mit vielen Papieren liquider wird, diese damit erst auch für Privatanleger minütlich handelbar werden. Der ehemalige US-Notenbankchef und heutige Obama-Berater Paul Volcker wollte den Eigenhandel von den Banken trennen. Diese sollten sich wieder auf ihr eigentliches Geschäft beschränken, der Eigenhandel ausgelagert werden in eigene Unternehmen, die dann eigenständige Hedgefonds wären. Doch diese Pläne wurden schon für den entsprechenden Gesetzentwurf abgeschwächt. Der Eigenhandel sollte nur noch verboten sein, wenn die Bank dabei zu große Risiken eingeht. Dieser Entwurf wurde jedoch vom US-Senat kürzlich abgelehnt.
Fazit: Banken müssen wieder konkursfähig werden, indem ihre Größe so gestutzt wird, dass ein Bankrott nicht das gesamte System in den Abgrund reißt. Die Abtrennung des Eigenhandels vom Kerngeschäft wäre dafür die richtige Maßnahme.
2. Ungedeckte Leerverkäufe verbieten, plus Meldepflichten
Leerverkäufe geben Anlegern die Möglichkeit, auf sinkende Kurse zu setzen. Das Prinzip ist einfach: Man leiht sich beispielsweise bei einem Fonds die Aktien eines Unternehmens aus, verkauft sie und kauft sie später günstiger wieder zurück, um sie zurückzugeben. So hat man aus dem Kursverlust einer Aktie Profit geschlagen. Ganz genau so funktioniert dies auch bei Staatsanleihen oder anderen Wertpapieren.
Diese Art der Spekulation hat den Geruch des Bösartigen, weil sie aus der Malaise eines Unternehmens - oder auch von Staaten wie im Falle Griechenlands - noch Gewinn schlägt. Dabei hat sie durchaus eine heilsame Funktion, denn Leerverkäufer werden nur dann aktiv, wenn sie wittern, dass irgendwo etwas schiefläuft. Sie sind somit eine Art Frühwarnsystem.
Leerverkäufe werden dann zum Problem, wenn sie ungedeckt sind, wenn also jemand eine Aktie verkauft, ohne diese vorher geliehen zu haben. Denn auch das ist heute möglich. Dadurch können theoretisch sogar mehr Aktien verkauft werden, als es überhaupt gibt. Dies kann zu erheblichen Verwerfungen führen. Ein Vorteil ist, dass durch zusätzliche, ungedeckte Leerverkäufe der Handel liquider und effizienter wird.
Fazit: Weltweit müssen ungedeckte Leerverkäufe verboten werden, so wie es die Bundesregierung in einem Gesetzentwurf plant. Die Gefahr, dass die Liquidität darunter etwas leidet, ist hinnehmbar. Das Gesetz sieht auch Meldepflichten vor, wenn mehr als 0,2 Prozent des Aktienkapitals leer verkauft werden. Dieser Weg ist richtig.
3. Versicherung von Krediten beschränken
Das Kürzel kennen inzwischen sogar viele, die sich selten mit Finanzmärkten befassen: CDS. Diese Kreditausfallversicherungen machten gerade in der Griechenlandkrise Furore. Denn mit ihnen können sich Investoren gegen den Ausfall eines Schuldners versichern, auch gegen die Pleite eines Staates. Dies klingt auf den ersten Blick sinnvoll, so wie es auch sinnvoll sein kann, sich gegen ein Abbrennen des eigenen Hauses zu versichern.
Allerdings wurde das Instrument in den vergangenen Jahren zunehmend zweckentfremdet. Immer häufiger kauften Investoren CDS, ohne dass sie überhaupt einen Kredit vergeben hatten, den sie absichern mussten. Sie nutzten die CDS schlicht für Wetten, so wie beim Fußball-Toto wetteten sie darauf, dass ein Schuldner pleitegeht, und andere hielten dagegen. So wurden Mitte 2008 CDS im Wert von rund 60 Billionen Dollar zwischen den Banken gehandelt - so viel wie das Bruttoinlandsprodukt der gesamten Welt.
Man kann den Sinn der CDS grundsätzlich bezweifeln. Warum sollte sich ein Gläubiger gegen den Ausfall eines Kredites versichern? Als Kreditgeber gleicht er das Risiko schließlich über den Zins aus - das ist das Grundprinzip der Arbeit von Banken, dafür sind sie da. Die Pleite eines Schuldners ist eingerechnet, das heißt sie sollte es sein.
Den Banken bieten die Papiere jedoch einen bilanztechnischen Vorteil. Denn wenn sie den Kredit mit einem CDS absichern, dann wirkt das in der Bilanz so, als würde der Kredit gar nicht existieren - und sie können anschließend mit dem gleichen Eigenkapital weitere Kredite vergeben. Auf diese Weise können sie wesentlich mehr Kredite vergeben, ohne das eigene Risiko zu erhöhen - scheinbar. Denn letzten Endes ist das Risiko ja nicht verschwunden, es wurde nur im weltweiten Finanzsystem weitergegeben. Wohin, ist angesichts des schwunghaften CDS-Handels allerdings nicht mehr festzustellen.
Verteidiger der CDS-Papiere führen an, dass ihre Kurse frühzeitige Signale geben. So hätten die Kreditausfallversicherungen auf Griechenland beispielsweise schon in einem sehr frühen Stadium gezeigt, dass es dort große Probleme gebe. Allerdings: Die gleichen CDS signalisierten auch jahrelang, dass griechische Anleihen kein wesentlich höheres Risiko darstellen als deutsche. Und dies war offensichtlich ein völlig falsches Signal.
Fazit: In jedem Fall muss der Markt transparent gemacht werden, indem der CDS-Handel nicht mehr unbeobachtet zwischen den Banken stattfindet, sondern auf einer öffentlichen Börse, damit stets klar ist, wo das Risiko liegt. Zudem sollten nur noch jene CDS kaufen dürfen, die damit eigene Kredite absichern, um reine Wetten zu verhindern. Schließlich sollte überlegt werden, ob die Bilanzierung der Banken verändert wird, sodass sie auch dann Eigenkapital für einen Kredit hinterlegen müssen, wenn sie ihn über ein CDS abgesichert haben, um eine Kreditaufblähung zu vermeiden.
4. Hedgefonds mit anderen Fonds gleichstellen
Wer als normaler Sparer sein Geld einem Fonds anvertraut, bekommt umfassende Informationen - wo der Fonds das Geld anlegt, in welche Papiere, welche Strategie er verfolgt, alles zusammengefasst in regelmäßigen Geschäftsberichten. Der Staat legt zudem fest, was die Fonds dürfen und was nicht.
Für Hedgefonds gilt all das nicht - sie sagen nicht, wo und wie sie investieren, und unterliegen keiner Kontrolle. Ihren Sitz haben sie meist auf den Cayman Islands oder Bermudas, die Manager sitzen in London oder New York. Keiner weiß, was sie eigentlich machen, oft nicht einmal ihre Anleger. Sie verwalten rund 1,5 Billionen Dollar, sie spekulieren aber zusätzlich mit einem Mehrfachen an Kredit. Deutschland und andere EU-Staaten wollen diese Fonds schon lange an die Kandare nehmen. Die USA und Großbritannien zeigen sich jedoch störrisch. Zum einen, weil dort die meisten der Fondsmanager sitzen und New York und London zu Finanzzentren der Welt gemacht haben. Zum anderen, weil die Vermögenden dieser Länder ihr Geld oft in solchen Fonds liegen haben.
Das Risiko, das die Fonds für die Stabilität des Finanzmarkts darstellen, ist umstritten. Einerseits waren sie weder treibende Kräfte bei den Turbulenzen Ende 2008 noch rund um die aktuelle Krise. Andererseits führt ihre Spekulation oft zu extremen Verzerrungen am Markt, wie während der Ölpreis-Hausse Mitte 2008 und bei den Kurskapriolen der VW-Aktie im Oktober 2008. Hedgefonds wehren sich gegen stärkere Transparenz, da so ihre Strategien öffentlich und sie um Gewinnmöglichkeiten gebracht würden. Genau dies spricht jedoch für die Transparenz.
Fazit: Es gibt keinen Grund, warum Hedgefonds anders behandelt werden sollten als Fonds für Privatanleger. Für eine effektive Aufsicht ist es zudem wichtig zu wissen, wer wo spekuliert und mit welchem Kreditanteil, um eventuelle Risiken erkennen zu können.
5. Derivatehandel beschränken über Finanztransaktionssteuer
Der Begriff "Derivat" geht auf das lateinische Wort "derivare" = ableiten zurück. Diese Finanzinstrumente wurden also von einer Basis abgeleitet. Der Käufer kann so auf Marktbewegungen spekulieren, ohne das zugrunde liegende Basisinvestment selbst zu besitzen, also beispielsweise auf eine Aufwertung des Dollar, ohne selbst Dollar zu kaufen.
Grundsätzlich helfen Derivate, den Finanzmarkt effizienter und flexibler zu machen. Das Problem ist allerdings ihr Volumen. Ihr Wert wird heute auf etwa 600 Billionen Dollar geschätzt - das ist das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Welt. Wenn hier etwas schiefgeht, kann das Konsequenzen haben, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Der US-Investor Warren Buffet bezeichnete daher Derivate als "Massenvernichtungswaffen".
Verteidiger der Instrumente werfen ein, dass die wirklichen Verbindlichkeiten nur bei rund vier Billionen Dollar lägen. Dazu rechnen sie beispielsweise Risiken heraus, die sich gegenseitig neutralisieren. Dies ist korrekt, allerdings nur so lange die Märkte funktionieren. Genau dies war jedoch nach der Pleite von Lehman Brothers nicht mehr der Fall und brachte den Finanzmarkt an den Rand des Abgrunds.
Fazit: Das Volumen der Derivate ist auf ein kontrollierbares Maß zurückzuführen. Dazu beitragen kann eine Finanztransaktionssteuer, da viele Derivate nur kleinste Gewinne abwerfen. Sie lohnen sich nur bei millionenfachen Transaktionen. Selbst eine geringe Steuer auf jede Transaktion macht den Handel daher schon unattraktiv.
6. Unkontrollierten Handel zwischen Computern unterbinden
Menschen spielen an den Börsen heute kaum noch eine Rolle. Rund die Hälfte der Aktienkäufe und -verkäufe werden inzwischen von Computern ausgelöst und mit Computern ausgeführt. Dies wird auch Hochfrequenzhandel genannt. Die Systeme analysieren permanent Millionen von Börsendaten. Erkennen sie ein Muster, das eingespeicherten Algorithmen entspricht, lösen sie automatisch eine Order aus. Es geht nicht um die Unternehmen, was sie produzieren, wie sich ihre Lage entwickelt. Es ist ein reiner programmtechnischer Vorgang.
Verteidiger der Systeme führen die Liquidität als Argument an, die so entstehe. Aktien würden häufiger gehandelt, Anleger könnten schneller reagieren. Kritiker wenden ein, dass dies einen hohen Preis habe. Denn in den USA erfassen beispielsweise Computer Kaufaufträge und nutzen die etwa 30 Millisekunden, die die Übermittlung des Auftrages dauert. Innerhalb dieser extrem kurzen Zeitkaufen sie die jeweiligen Aktien dem Investor vor der Nase weg und bieten sie ihm gleich wieder an - zu einem leicht höheren Preis. Dies ist nach Auffassung von Experten eigentlich Insider-Handel. Hinzu kommt, dass Computersysteme Abstürze auslösen können, wie am 6. Mai, als diverse US-Aktien in wenigen Minuten um bis zu 90 Prozent abstürzten, ohne echten Grund, nur aufgrund automatischer Verkäufe durch Computer.
Fazit: Der volkswirtschaftliche Nutzen der Hochgeschwindigkeits-Systeme ist nicht erkennbar, sie können dem Markt sogar schaden. Daher sollte automatisierter Computerhandel, der keiner menschlichen Kontrolle unterliegt, unterbunden werden.