Hausnotrufsysteme bieten in unvorhersehbaren Situationen schnelle Hilfe. In Deutschland werden sie bisher kaum genutzt. Erst 400.000 Kunden gibt es bundesweit. Dabei helfen sie gerade älteren Menschen, lange in ihrem eigenen Heim bleiben zu können – und im Notfall retten sie Leben.

Es sind die alltäglichen Kleinigkeiten, die Stefan Eisinger das Leben manchmal schwer machen. Kleinigkeiten wie der Gang zur Toilette. "Das gleicht fast schon einer Turnübung", sagt er. Mit dem Rollstuhl zwängt sich der blinde 42-Jährige in das enge Badezimmer, hält neben der Badewanne, hievt sich selbst auf die Kante, von dort auf die Toilette und später wieder zurück. Manchmal rutscht er dabei ab oder verfehlt den Rollstuhl. Weil sich Eisinger in einer solchen Situation nicht selbst helfen kann, drückt er den Alarmknopf, der um seinen Hals hängt. Er weiß: Bald ist jemand da, um ihm zu helfen.

Hausnotrufsysteme bieten Menschen wie Eisinger Sicherheit für unvorhersehbare Situationen. Drückt er den Knopf, wird automatisch eine Zentrale alarmiert. Sofort erscheinen dort die Daten des Kunden auf einem Computerbildschirm: Adresse, Krankheiten, Medikamente, Hausarzt. Nach einem festgelegten Plan verständigt die Zentrale Verwandte, Nachbarn oder Freunde und sagt, dass Eisinger Hilfe braucht. Bei Notfällen ruft sie sofort den Rettungsdienst.

Wohlfahrtsverbände und private Unternehmen bieten in Deutschland verschiedene Hausnotrufsysteme an. Doch obwohl die Systeme auch Leben retten können, finden sie Deutschland kaum Beachtung. Mehr als 400 000 Kunden gibt es bundesweit, nur zwei Prozent der über 65-jährigen sind an den Hausnotruf angeschlossen. In England und Skandinavien sind es bis zu 16 Prozent, beklagen die Wohlfahrtsverbände. Dort übernimmt der Staat die Kosten ab einem Alter von 65 Jahren. Einer britischen Studie aus dem Jahr 2007 zufolge spart das britische Gesundheitssystem dadurch bis zu 110 Mrd. Euro ein.

In Deutschland zahlt jeder dritte Kunde die Beiträge für den Hausnotruf selbst, knapp 18 Euro kostet das durchschnittlich im Monat. Nur wer als pflegebedürftig anerkannt ist, kann die Teilnahme am Hausnotruf bei der Pflegekasse beantragen und bekommt die Kosten erstattet. Voraussetzung ist jedoch, dass der Pflegebedürftige alleine lebt und mit einem normalen Telefon keinen Hilferuf absetzen kann.

Eisinger ist pflegebedürftig, die Kasse übernimmt seine Kosten komplett. Eisinger hat Multiple Sklerose, sein Immunsystem greift das eigene zentrale Nervensystem an. Die Krankheit hat ihn blind gemacht und an den Rollstuhl gefesselt. Als er immer öfter aus seinem Rollstuhl rutschte, tagsüber, wenn seine Partnerin im Büro war und ihm nicht helfen konnte, entschied er sich für den Hausnotruf. Seitdem muss er den Alarmknopf regelmäßig nutzen, vor allem im Badezimmer.

Für den Gerontologen Eckart Schnabel eignen sich Hausnotrufsysteme besonders für alte Menschen. Sie ermöglichen ihnen, lange in den eigenen vier Wänden zu leben. "Die Akzeptanz bei den Senioren ist aber noch nicht sehr ausgeprägt", stellt der Altersforscher fest. Einen Grund dafür sieht er bei den Herstellern selbst. Immer mehr zusätzliche Funktionen bieten sie an, von Sturzsensoren über integrierte Rauchmelder bis hin zu Sensoren, die einen Wasserschaden an die Notfallzentrale melden. "Die Geräte werden dadurch so komplex, dass sie viele Senioren abschrecken", sagt Schnabel.

Wer ein Hausnotrufsystem haben möchte, braucht einen normalen Telefonanschluss und eine freie Steckdose für die Stromversorgung. Kunden sollten bei den Angeboten vor allem auf Kündigungsmöglichkeiten und die Haftung achten. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen empfiehlt, einen Vertrag ohne Mindestlaufzeit zu wählen. Eine Kündigung sollte höchstens mit einer zweiwöchigen Frist zum Monatsende möglich sein.

Eisinger beruhigt die Möglichkeit des Hausnotrufs. "Bis jetzt hat das immer wunderbar funktioniert", sagt Eisinger. Zu einem medizinischen Notfall ist es bei ihm bisher noch nie gekommen.

Quelle: Welt Online