Schokolade und Fruchtgummis sind großteils deutsche Qualitätsprodukte. In Brasilien, Ghana oder der Ukraine etwa kennen die Hersteller das Handwerk nicht so gut. Der Senior-Experte Joachim Grzemba gibt dort sein Wissen an kleine und mittlere Betriebe weiter. Dabei vermittelt er auch deutschen Firmen neue Aufträge.
Mit gemischten Gefühlen betritt Joachim Grzemba am Morgen das Süßigkeiten-Labor in Gramado/Südbrasilien. Der 66-jährige gelernte Konfektmacher will der Belegschaft vorführen, wie Fruchtgummis hergestellt werden. Denn am Vortag ist das nicht gelungen, obwohl die Rezeptur gestimmt hat, und auch jetzt steht Grzemba vor einer flüssigen Masse, bei der nur wenig an die bunte Süßigkeit erinnert.
Nach einiger Zeit findet er die Lösung bei der Klimaanlage, die nachts abgeschaltet war. In dem heißen und feuchten Land erklärt er den Menschen, dass die Klimaanlagen nicht für sie, sondern für die Qualität der Produkte ständig angeschaltet sein müssen. Den Mitarbeitern ohne das nötige Know-how hat Grzemba innerhalb eines vierwöchigen Einsatzes beigebracht, was er über Fruchtgummi-Herstellung weiß.
Seit der hochgewachsene Deutsche mit schneeweißem Haar vor acht Jahren in den Vorruhestand geschickt wurde, lässt er sich vom Senior Experten Service (SES) rund um den Erdball senden – und arbeitet dort ehrenamtlich. In der Organisation unterstützen mehr als 8000 Ruheständler aus 50 Branchen weltweit kleine Firmen und soziale Einrichtungen. Anreise, Unterkunft und Dolmetscher finanziert der SES, dafür arbeiten die Senioren unvergütet. Zu den Experten zählen fast 900 Ingenieure, aber nur zwei Konfektmacher.
So wartet auf Grzemba weltweit Arbeit: Er war gut ein Dutzend Mal für mehrere Wochen in Unternehmen in Südamerika, Osteuropa oder Afrika. Denn als „Fachkraft der deutschen Süßwarenwirtschaft“ beherrscht er sein Metier. Nach Lehre und Studium war er ab 1968 Produktionsleiter unter anderem bei Sarotti, Wissoll und dem Berliner Chocolatier Rausch. Er sagt, er liebe das Geschäft mit den Süßwaren und die Möglichkeit, Menschen aus verschiedenen Kulturen kennen zu lernen.
Die Menschen, die in die Produktion von Süßwaren einsteigen oder sie erweitern wollen, seien immer von ihren Ideen begeistert, erklärt er. Hin und wieder fehle es aber an entsprechenden Geräten und fast immer an Fachwissen. „Deutschland und noch einige Länder in Europa sind hierbei, was Maschinenbau und Handwerk angeht, immer noch führend“, sagt Grzemba. Und das schon seit langem: In einem Schokoladenbetrieb im südbrasilianischen Porto Alegre ist er auf eine Dampfaufbereitungsanlage aus Gummersbach gestoßen – aus dem Jahr 1913 und noch funktionsfähig.
Im Jahr 2009 war Grzemba in La Paz, dem bolivianischen Regierungssitz. In der Millionenstadt auf fast 4000 Metern Höhe hatte einer der größten Eisenwarenhändler des Landes einen Schokoladenbetrieb geerbt. Die 14 Mitarbeiter wollten edle Kakao-Produkte für diejenigen herstellen, die sich in Bolivien Schokolade leisten können.
„Aber um etwa Marzipan herzustellen, haben sie mir seltsame Früchte vorgehalten und sie als eine südamerikanische Variante von Mandeln bezeichnet“, sagt Grzemba und berichtet, wie sie auf dem Markt Mandeln und Pistazien kauften und sogar Mozartkugeln hergestellt haben.
Nach vier Wochen mit ihm halten die Mitarbeiter stolz eine Packung von „Chocolates Belmore“ hoch. Die tägliche Produktion von nur 50 Kilogramm Schokolade wird in drei Geschäften in La Paz verkauft – neben importierten Produkten von Lindt und Suchard.
Wenige Wochen später war Grzemba schon im westafrikanischen Ghana und hatte ganz andere Herausforderungen zu lösen. Mitten im Urwald arbeiteten dort 120 Menschen an einer elektronischen Produktionsanlage. Wenn in Kürze alles glatt läuft, soll es im Schichtbetrieb bis zu 300 Arbeitsstellen geben. Bisher haben sie dort einmal am Tag Stromausfall.
„Ich weiß noch nicht, wie das funktionieren soll“, sagt Grzemba. In der modernen Fabrik werden aus Kakaobohnen, die früher exportiert wurden, Halbfabrikate hergestellt, sprich: Kakaomasse, -butter und -pulver. Diese können teurer an die Schokoladenfirmen im Ausland verkauft werden. „Ghana versucht es selbst und sorgt so für eine Wertschöpfung im eigenen Land“, erklärt der Senior-Experte.
Nutzen für die deutsche Wirtschaft
Seine Aufgaben im Ausland sind keine klassische Entwicklungshilfe, schließlich wurde der SES 1983 mit Unterstützung der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung gegründet. Als Stiftung der deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit ist er aber auch eine gemeinnützige GmbH. Die Einsätze dienen verschiedensten Zwecken.
In Grzembas Fall nützen sie auch den deutschen Betrieben, zu denen er weiter Kontakt hält. Als er in der ostukrainischen Stadt Charkiw gesehen hat, dass minderwertiges Marzipan verwendet wurde, vermittelte er der Berliner Firma Lemke einen Auftrag.
„Die liefern jetzt ihr Qualitätsmarzipan an diese ukrainische Konditorei, die in das Schokoladen-Geschäft einsteigen will“, sagt er und preist das als Chance für deutsche Traditionshersteller an: „Der westeuropäische Markt ist gesättigt, wir können doch nur noch in andere Länder investieren.“
Seinem Reihenhaus in der Berliner Welterbe-Wohnsiedlung Britz sieht man das Engagement rund um den Globus kaum an. Nicht exotische Figuren, sondern Bilder der näheren Umgebung fallen dort auf. Dafür klingelt das Telefon häufig. „Ich bin froh, dass meine Frau Renate dieses ständige Engagement unterstützt und manchmal gegen Ende eines Einsatzes für einen Urlaub nachkommt“, sagt er, nachdem er einen Anruf vom SES angenommen hat.
Ihr ruhiges Häuschen gerate oftmals zur Vermittlungszentrale: „Wenn in den Einsatzgebieten Ressourcen fehlen, versuche ich, Kontakt zu Maschinen- oder Verpackungsfirmen herzustellen.“ Derzeit hält Grzemba in Europa die Augen offen nach einer gebrauchten Mogul-Maschine, die in Brasilien Gelee, Fruchtgummi und Cremes herstellen kann. „In einem hygienisch so sauberen Betrieb, wie ich ihn in Europa nicht gesehen habe“, sagt er.
Derzeit versuche er, sich auf das nächste Projekt vorzubereiten: Mitte April geht es in einen Schokoladenbetrieb nach Mexiko-Stadt. Bisher liegt nur ein Reiseführer auf seinem Tisch, über seine Aufgabe wisse er nur, dass die Firma ihre Qualität verbessern will.
Es kann sein, dass er an der Rezeptur bei einem Fertigwerk tüfteln wird. Sich über einzelne Pralinen in Handarbeit zu bücken, sei genauso möglich. „Aber genau diese immer wieder völlig neuen Herausforderungen machen mir Spaß“, sagt er. Grzemba wünscht sich, dass er noch die vollen neun Jahre mit dabei sein kann, bis mit 75 Jahren beim SES Schluss ist.